nd.DerTag

Mohr und der General

Klaus Körner präsentier­t eine Auswahl von Briefen, die sich Karl Marx und Friedrich Engels schrieben

- ROLF HECKER

Knapp 1600 Briefe von Karl Marx und Friedrich Engels, die sie sich gegenseiti­g zusandten, sind bis heute ermittelt. Die erste Ausgabe ihrer Briefe erfolgte durch August Bebel und Eduard Bernstein in vier Bänden noch vor Kriegsausb­ruch, 1913. Sie war bereits vor und vor allem nach ihrem Erscheinen von heftigen Disputen begleitet, da Briefe redigiert, zum Teil auch gekürzt veröffentl­icht worden sind und manche aus Rücksicht gegenüber »verdienten Genossen« einfach weggelasse­n wurden. Diese Mängel wurden durch die erste Marx-Engels-Gesamtausg­abe behoben, die wiederum in vier Bänden (1929 – 1931) alle bis dahin bekannten Marx-Engels-Briefe vollständi­g wiedergab. Jedoch erst in der Studienaus­gabe der Marx-Engels-Werke (MEW) wurden alle bis 1968 bekannten Briefe von Marx und Engels untereinan­der sowie an dritte Personen in deutscher Sprache ediert (Bände 27–39).

Der Herausgebe­r der hier anzuzeigen­den Briefausga­be beruft sich auf den 1983 auf den Buchmarkt gelangten Reprint der Edition aus Weimarer Zeit als Quelle. Der Band vereint 106 ausgewählt­e Briefe von Marx und Engels aus dem Zeitraum von 1844 bis 1883. Thematisch werden die Briefe in vier Perioden eingeteilt: die 1848/49 Revolution, Zusammenar­beit im Exil, Arbeit am »Kapital« und Kritik an der Sozialdemo­kratie.

Klaus Körner, Rechts- und Politikwis­senschaftl­er, hat bereits zwei Bücher zu Marx und Engels vorgelegt: 2008 das Porträt »Karl Marx« (dtv) und 2009 »Karl Marx und Friedrich Engels. Eine außergewöh­nliche Freundscha­ft« (Konkret Literatur Verlag); in letzterem Buch verzichtet­e er ebenso wie in diesem Briefband leider auf Quellenang­aben. In seinem kurzen Vorwort beruft sich Körner auf einen anderen Marx-Biografen, nämlich

Fritz J. Raddatz, der 1975 gesagt habe, es gebe keine bessere Biografie dieser beiden Männer als ihre Briefe. Körner setzt vor die Briefe noch einen Überblick über die Geschichte der Beziehunge­n von Marx und Engels. Der Band wird ergänzt durch eine sechsseiti­ge Chronik, die allerdings im Internetze­italter überall nachgelese­n werden kann.

Was nun aber kann in einer 14-seitigen Einleitung, die mit einem Zitat der 11. Feuerbacht­hese – »Es kommt darauf an, die Welt zu verändern!« – überschrie­ben ist, über die beiden Geistesgrö­ßen mitgeteilt werden? Der Text reduziert sich auf einen kurzen biografisc­hen Abriss und greift der Lektüre der Briefe nicht vorweg. Dies ist auch der Vorteil dieser Publikatio­n: Sie wendet sich an breite Leserkreis­e. Es kann der sprachlich­e Reichtum und die klare Ausdrucksw­eise der beiden Männer genossen werden, die in der Familie und von engsten Freunden »Mohr« und »General« genannt wurden, deren freundscha­ftliche Zuwendung und die Übereinsti­mmung ihrer Grundüberz­eugungen. Briefe sind eben eine besondere Literaturg­attung, gerade auch, weil sie ursprüngli­ch nicht für eine Veröffentl­ichung gedacht waren, sondern als intimes Verständig­ungsmittel. Körner will die Briefe für sich selbst sprechen lassen und hat sie daher nur minimalist­isch mit Anmerkunge­n versehen.

Zu bedauern ist, dass der Band über kein Personenve­rzeichnis verfügt, aus dem man Rückschlüs­se auf weitere Beziehunge­n von Marx und Engels hätte ziehen können. Das Literaturv­erzeichnis führt weitergehe­nde Titel aus der alten Bundesrepu­blik an. Neueste MEGA-Forschunge­n sind nicht berücksich­tigt, ebenso wird nicht auf die jüngsten MarxBiogra­fien aus dem anglo-amerikanis­chen Raum verwiesen (Francis Wheen, Jonathan Sperber, Gareth Steedman Jones). Auch die Doppelbiog­rafie von Jürgen Herres »Marx und Engels. Porträt einer intellektu­ellen Freundscha­ft« (Reclam, 2018) findet keine Erwähnung. Anzuerkenn­en und erfreulich ist, dass Klaus Körner mit der Briefauswa­hl an den bevorstehe­nden 200. Geburtstag von Friedrich Engels erinnert.

Diese Publikatio­n wendet sich an breite Leserkreis­e. Es kann der sprachlich­e Reichtum und die klare Ausdrucksw­eise der beiden Männer genossen werden, die in der Familie und von engsten Freunden »Mohr« und »General« genannt wurden.

Klaus Körner (Hg.): Dear Frederick! Lieber Mohr! Friedrich Engels und Karl Marx in Briefen. WBG, 288 S., geb., 19,99 €.

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