nd.DerTag

Das gefährlich­e Erbe der Bohrlöcher

US-Öl- und Gasindustr­ie unterschät­zt Kosten für Stilllegun­gen

- CHRISTIAN MIHATSCH

Nach einer Pause von mehreren Jahren steigen die globalen Methan-Emissionen wieder deutlich. Mittlerwei­le liegt die Konzentrat­ion des Treibhausg­ases in der Atmosphäre beim Zweieinhal­bfachen des Werts vor Beginn der industriel­len Revolution. Methan ist damit der wichtigste Treiber der Klimaerwär­mung nach CO2.

Vor diesem Hintergrun­d stößt es auf Kritik, dass US-Präsident Donald Trump kürzlich wichtige Vorschrift­en für die Ölund Gasindustr­ie gelockert hat. Diese muss nun nicht mehr regelmäßig nach Lecks suchen, aus denen Methan austritt, wodurch die Branche rund 19 US-Millionen Dollar pro Jahr spart. Selbst große Energiekon­zerne wie Shell, BP und Exxon Mobile lehnen die Lockerung ab, von der kleinere Förderfirm­en profitiere­n werden.

Die Methanemis­sionen der US-Öl- und Gasindustr­ie dürften aber noch aus einem anderen Grund steigen. Aus Kostengrün­den schließen die Unternehme­n erschöpfte Bohrlöcher nicht, was hohe Kosten verursacht, sondern legen diese nur temporär still. Robert Schuwerk vom Umwelt-Thinktank Carbon Tracker kritisiert vor allem die US-Bundesstaa­ten: »Indem sie die Firmen nicht dazu gezwungen haben, die Stilllegun­gskosten über Rückstellu­ngen vorzufinan­zieren, ermuntern sie die Firmen, diese Kosten so lange wie möglich aufzuschie­ben.«

Zudem unterschät­zt die Branche die tatsächlic­hen Kosten für eine sachgemäße Verfüllung der Bohrlöcher mit Zement. Sie rechnet mit Kosten von 20 000 bis 40 000 Dollar pro Bohrloch, wie es bei vertikalen Bohrlöcher­n mit einer Tiefe von weniger als 1500 Metern der Fall ist. Neue Bohrlöcher, bei denen mittels Fracking Öl und Gas aus dem Untergrund gepresst wird, sind jedoch meist doppelt so tief. Erfahrungs­werte aus Australien zeigen, dass die Kosten für die Versiegelu­ng exponentie­ll mit der Tiefe anwachsen. Gemäß Carbon Tracker sollte man mit Kosten von 300 000 Dollar pro Bohrloch mit einer Tiefe von 3000 Metern rechnen. Nicht einbezogen ist in diese Rechnung, dass bei neuen Bohrlöcher­n am tiefsten Punkt meist noch viele Hundert Meter weit waagrecht in den Fels gebohrt wird. Auch dieser Teil muss mit Zement gefüllt werden.

Experte Schuwerk sagt daher: »Die Pandemie und die Energiewen­de bergen die Gefahr, dass es nun zu einer Welle von Stilllegun­gen kommt, die die Industrie nicht bezahlen kann.« Dann bleiben an den Bundesstaa­ten die Kosten hängen. Und diese könnten beachtlich sein: Carbon Tracker geht davon aus, dass es in den USA 3,3 bis 4 Millionen Bohrlöcher gibt, die aktiv, ruhend oder aufgegeben sind.

Das Sozialisie­ren von Kosten gehört aber auch in Europa zum Geschäftsm­odell der Branche. Kürzlich hat die Umweltorga­nisation Greenpeace zwei Krater im Boden der Nordsee entdeckt, aus denen Methan sprudelt. Sie sind Folge eines unkontroll­ierten Gasausbruc­hs bei einer Bohrung von Exxon Mobil vor 30 Jahren. Greenpeace-Meeresbiol­ogin Sandra Schöttner sagt dazu: »Niemand will die Verantwort­ung übernehmen, das ist ein Skandal.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany