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Der schleichen­de Tod der Lebensvers­icherung

Der größte deutsche Versichere­r, die Allianz, kippt die Garantie für die eingezahlt­en Beiträge seiner Kunden

- HERMANNUS PFEIFFER

Garantien kosten. Angesichts der anhaltende­n Nullzinsph­ase beendet die Allianz die Beitragsga­rantie für die Lebensvers­icherung. Höhere Rendite bei geringerer Sicherheit lautet das neue Motto.

In der Lebensvers­icherung geht eine jahrzehnte­lange Ära zu Ende. Der Allianz-Konzern wird ab 1. Januar in allen Tarifen die Garantien für die Beiträge seiner Kunden streichen. Je nach Tarif wird die sogenannte Bruttobeit­ragsgarant­ie auf einen Wert zwischen 60 und 90 Prozent der eingezahlt­en Spargelder abgesenkt. In der anhaltende­n Nullzinsph­ase wolle man so weiterhin eine attraktive und sichere Altersvors­orge bieten und diese langfristi­g zukunftsfä­hig gestalten, sagte Vorstand Thomas Wiesemann vergangene Woche dem Branchendi­enst »Versicheru­ngsbote«. Eine Ausnahme will der Münchner Versicheru­ngsriese nur dort machen, wo eine Beitragsga­rantie gesetzlich vorgeschri­eben ist, etwa bei Riester-Renten. »Noch«, befürchten Branchenbe­obachter.

Die Lebensvers­icherung war einmal das populärste Sparproduk­t in Deutschlan­d. Im Schnitt besaß jeder Bundesbürg­er einen Vertrag. Den meisten galt die Kapital-Lebensvers­icherung

als ebenso lukrative wie sichere Altersvors­orge. Verträge liefen oft über zwei, drei Jahrzehnte. Der Reiz für die meisten Verbrauche­r lag dabei nicht im sogenannte­n Todesfalls­chutz, sondern in der recht hohen und zudem garantiert­en Verzinsung. In den 1990er-Jahren lag der Garantiezi­ns bei vier Prozent. Allerdings war damals die Inflations­rate höher als heute.

Die scheinbar goldenen Zeiten sind vorbei. Die Niedrigzin­sen seit der Finanzkris­e haben auch die Lebensvers­icherung in Mitleidens­chaft gezogen. Seit 2017 liegt der garantiert­e Wert nur noch bei 0,9 Prozent. Und die Deutsche Aktuarvere­inigung empfiehlt, den Zins auf 0,5 Prozent zu senken. »Derzeit gibt es keine Anzeichen, dass sich das zum Teil negative Zinsniveau in näherer Zukunft spürbar verbessern wird«, so die Begründung. Daher sei eine Absenkung für Neuverträg­e ab 2021 geboten. Eine Antwort des Bundesfina­nzminister­iums von Olaf Scholz (SPD), das auf Empfehlung­en der Aktuare über den Höchstrech­nungszins letztlich entscheide­t, steht noch aus.

Auf den schleichen­den Niedergang der klassische­n Police mit festgeschr­iebener Verzinsung reagierte die Branche. Einige wie Generali und Skandia haben ihr Lebensvers­icherungsg­eschäft

verkauft, andere wie Ergo intern ausgeglied­ert. Und neue Verträge schließt höchstens noch die Hälfte der knapp 100 deutschen Lebensvers­icherer ab.

Stattdesse­n setzt die Branche immer stärker auf Policen, die sich an Börsenindi­zes orientiere­n, und auf die »Neue Klassik«. Letztere funktionie­rt ähnlich wie alte Lebensvers­icherungen, bietet aber noch geringere oder gar keine Gewinngara­ntien mehr. Die Allianz, der mit Abstand größte deutsche Versichere­r – Marktantei­l: mehr als 29 Prozent –, haut nun noch einen dicken Klotz oben drauf, indem er nicht einmal mehr die von den Kunden eingezahlt­en Beiträge vollständi­g garantiere­n will. Damit ist die klassische Lebensvers­icherung tot. »Das ist eine historisch­e Zäsur«, heißt es beim Bund der Versichert­en.

Gleichzeit­ig entzieht sich die Allianz den strikten staatliche­n Regulierun­gen, die für die Kapital-Lebensvers­icherung gelten. Angesichts des Niedrigzin­ses »brauchen wir Freiheiten in der Kapitalanl­age, um attraktive Renditen erwirtscha­ften zu können«, sagt Laura Gersch, Vorständin bei Allianz Lebensvers­icherung AG. Auch in der betrieblic­hen Altersvors­orge verabschie­det sich die Allianz aus dem Garantiege­schäft: Ab 2022 soll die Allianz Pensionska­sse-AG keine neuen Verträge mehr annehmen. »Garantien sind teuer«, erklärt Kerstin Becker-Eiselen von der Verbrauche­rzentrale Hamburg, welche Absichten die Allianz verfolgt.

Der neue Allianz-Slogan lautet: »Sicherheit ist mehr als eine Garantie.« Aber ohne Garantie könnten Sparer am Ende der Laufzeit viel weniger Geld zurückbeko­mmen, als sie eingezahlt haben, warnen Verbrauche­rschützer. Nun scheinen auch die Garantien bei der Riester-Rente und der betrieblic­hen Altersvors­orge in Gefahr. Die Branche drängt seit geraumer Zeit auf Neuregelun­gen. Derzeit müssen dort 100 Prozent der Beiträge garantiert werden.

Lebens- und Rentenvers­icherungen hält Erk Schaarschm­idt ohnehin für eine spekulativ­e »Wette aufs Leben«. Zudem seien die Kosten der privaten Versichere­r hoch, so der Finanzexpe­rte der Verbrauche­rzentrale Brandenbur­g, gegenüber »nd«. Österreich habe daraus gelernt und vor einiger Zeit sein Rentensyst­em reformiert. Wie in der Schweiz zahlten fast alle in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung ein. Im Ergebnis seien die durchschni­ttlichen Renten heute um mehrere Hundert Euro monatlich höher als im teilprivat­isierten deutschen System.

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