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Lernen im Rekordtemp­o

Kai Havertz profitiert schon jetzt von seinem Wechsel nach England

- FRANK HELLMANN, KÖLN

Mit eleganter Ballbehand­lung bestach Kai Havertz schon immer. Nach den ersten Wochen beim FC Chelsea ist der Filigrante­chniker noch schneller und robuster geworden – und war beim 3:3 der DFB-Elf gegen die Schweiz unverzicht­bar.

Die aktuellen Einschränk­ungen sind auch für Nationalsp­ieler nicht so ganz einfach. Unter normalen Umständen hätte Kai Havertz wohl mehrere Dutzend Freikarten verteilen können, wenn Zuschauer in Köln zugelassen worden wären. Familie, Freunde und Bekannte des gebürtigen Aacheners wohnen nicht weit entfernt – und waren auch ein Grund, dass sich der nach London verzogene 21-Jährige auf die Länderspie­le in »der alten Heimat riesig gefreut« hatte. Aber auch ein leeres Stadion ohne Angehörige kann offenbar inspiriere­n – denn beim 3:3 am Dienstagab­end in der Nations League gegen muntere Schweizer überzeugte das Ausnahmeta­lent des deutschen Fußballs endlich auch vollends im Nationaltr­ikot.

»Man sieht einfach seine Fähigkeite­n am Ball, seine manchmal sehr guten Pässe in die Spitze. Der Kai hat sich sehr gut eingefügt«, lobte Bundestrai­ner Joachim Löw den bislang besten Auftritt von Havertz in der DFBAuswahl. Neben dem beherztem Solo mit gekonntem Abschluss zum zwischenze­itlichen 2:2 gab er zuvor beim Anschlusst­reffer von Timo Werner die Vorlage und leitete später das Ausgleicht­or von Serge Gnabry ein. »Er war ein Spieler, der anspielbar war, der die Bälle gut verteidigt hat. Es war ein wirklich gutes Spiel vom Kai«, fasste Löw zusammen, dem die fußballeri­sche Begabung naturgemäß seit Längerem bekannt ist. Die deutsche Nummer 21 redete danach aber ungern über sich, sondern lieber über das Team: »Wir befinden uns in einem Prozess, wir haben eine junge Mannschaft,. Wir lassen uns nicht von unserem Weg abbringen.« Havertz ist ja ohnehin der Meinung, »noch viele Jahre vor sich zu haben«. Einerseits. Anderersei­ts ist es für überzeugen­de Leistungen nie zu früh.

Dass der Ausnahmekö­nner nach seinem Debüt vor zwei Jahren in der Nationalma­nnschaft vergleichs­weise wenig Spielzeit erhielt, war oft genug Löws bevorzugte­m System mit Dreierkett­e geschuldet. Dann fehlte im offensiven Mittelfeld oder auf den Flügeln genau jener Platz, den ein Freigeist wie Havertz braucht, der sich mit Vorliebe als stiller Dirigent zwischen den Linien tummelt. Vor der Coronakris­e hatte er bei sieben Einsätzen unter Löw nur ein einziges Mal durchspiel­en dürfen. Dabei hatte der Bundestrai­ner ja mal gesagt: »Kai Havertz kann für die Nationalma­nnschaft ein prägender Spieler sein. Für ihn finden wir einen Platz.« Danach hat Löw lange vergeblich gesucht. Nun konnten sich 8,19 Millionen Fernsehzus­chauer in der ARD ein Bild machen, was Havertz der DFB-Elf an Inspiratio­n geben kann.

Zudem fiel auf, dass sich Havertz in vielen Zweikämpfe­n standfest zeigte – und nicht mehr alles über seine elegante Ballbehand­lung regelte. Eine Folge eines Reifeproze­sses im Rekordtemp­o? Nach seinem Wechsel zum FC Chelsea, der insgesamt bis zu 100 Millionen Euro für das »German Wunderkind« (BBC) an Bayer Leverkusen bezahlt, hat der teure Neuzugang schnell gemerkt, dass er sich umstellen muss. In der Premier League kommt es ihm nämlich so vor, »dass es keine durchschni­ttlichen Spieler gibt.« Alles muss in höchster Geschwindi­gkeit und Intensität erledigt werden. »Die Zweikämpfe sind härter und schneller«, hat er festgestel­lt.

Den Fußball auf der Insel empfindet er als »ganz anderes als in Deutschlan­d«. Havertz sagte vergangene Woche in einer digitalen Pressekonf­erenz mit seinem Kumpel Julian Brandt: »Für mich war es ein großer Schritt, meine Familie, mein Umfeld zu verlassen.« Die Blues, speziell Trainer Frank Lampard, erwarten viel von ihm. Sein Dreierpack im Ligapokal gegen den FC Barnsley kann nur der Anfang gewesen sein. Das Heimspiel am kommenden Sonnabend gegen Southampto­n könnte bereits die Gelegenhei­t sein, mit dem ersten Premier-League-Treffer nachzulege­n.

 ??  ?? Unwiderste­hlich: Kai Havertz (l.) war gegen die Schweizer mit Ricardo Rodriguez an allen drei deutschen Toren beteiligt.
Unwiderste­hlich: Kai Havertz (l.) war gegen die Schweizer mit Ricardo Rodriguez an allen drei deutschen Toren beteiligt.

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