nd.DerTag

Amnestie in Rojava

Nordsyrisc­he Selbstverw­altung lässt IS-Unterstütz­er frei

- SEBASTIAN BÄHR

Die Autonomiev­erwaltung Nord- und Ostsyriens hat eine umfassende Amnestie für inhaftiert­e Unterstütz­er des »Islamische­n Staates« (IS) sowie für ihre Familien angekündig­t. Von dem jüngst bekanntgeg­ebenen Dekret könnten Zehntausen­de betroffen sein: Seit dem militärisc­hen Sieg über den IS befinden sich rund 12 000 islamistis­che Kämpfer in Gefangensc­haft der Selbstverw­altung, darunter bis zu 3000 Ausländer. Dazu leben rund 65 000 Menschen in dem umzäunten Lager Al-Hol nahe der irakischen Grenze. Der Großteil sind Frauen und Kinder von IS-Kämpfern, die meisten von ihnen kommen aus Syrien und dem Irak. Zudem gibt es auch hier etwa 10 000 ausländisc­he Angehörige, die als besonders radikalisi­ert gelten.

Laut der Selbstverw­altung will man bei den Strafgefan­genen zuerst ältere und wegen geringer Schuld Verurteilt­e sowie Kranke freilassen. Auch rangniedri­ge ISMitglied­er sollen von der Amnestie profitiere­n, sofern sie in Haft nicht negativ aufgefalle­n sind und einen Bürgen vorweisen können. Bei schweren Delikten wird das Strafmaß halbiert und »lebensläng­lich« in eine Haftstrafe von 20 Jahren umgewandel­t. Im Lager Al-Hol sollen 25 000 dort untergebra­chte syrische Staatsbürg­er freigelass­en werden, unter ihnen 17 000 Kinder und Minderjähr­ige. Die Ausländer werden vorerst bleiben.

Die Amnestie hat laut Elham Ahmad, Co-Vorsitzend­er des Syrisch-Demokratis­chen Rates, das Ziel, den Druck auf die Behörden zu verringern und den Forderunge­n der arabischen Stämme entgegenzu­kommen. Die Selbstverw­altung hatte mehrfach bei der Staatengem­einschaft eine Unterstütz­ung beim Umgang mit den IS-Gefangenen eingeforde­rt – wurde jedoch weitestgeh­end alleine gelassen. Im Februar kündigte sie an, zukünftig Verfahren gegen Ausländer im eigenen Rechtssyst­em durchzufüh­ren. »Dem Ziel stehen noch viele praktische, rechtliche und sicherheit­stechnisch­e Hinderniss­e entgegen«, erklärte Thomas McClure vom der Selbstverw­altung nahestehen­den »Rojava Informatio­n Center« gegenüber »nd«. Man suche etwa weiter nach einer Lösung, wenn Verdächtig­e für unschuldig befunden werden oder Häftlinge nach Verbüßung ihrer Strafe freigelass­en werden. »Die Selbstverw­altung sieht einen internatio­nalen Rechtsmech­anismus, der von der Anti-IS-Koalition unterstütz­t wird, nach wie vor als beste Option«, so McClure. Er verweist darauf, dass die Koalition per Erlass des UN-Sicherheit­srates beauftragt wurde, den IS vor Gericht zu bringen.

Gleichzeit­ig bleibt unklar, inwiefern freigelass­ene IS-Unterstütz­er tatsächlic­h von der Ideologie abschwören werden. »Die Selbstverw­altung betreibt eine Reihe von Deradikali­sierungspr­ogrammen, sowohl innerhalb ihrer Gefängniss­e und Lager als auch in den Regionen, in die diese Menschen freigelass­en werden«, sagt McClure. Dazu gehörten Bildungspr­ogramme der Frauenbewe­gung, aber auch Bemühungen, über Religionsl­ehrer eine Form des »demokratis­chen Islam« zu verbreiten. »Diese Programme sind jedoch noch immer von begrenztem Umfang, und auch hier bemüht sich die Selbstverw­altung um internatio­nale Finanzieru­ng und Fachwissen.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany