nd.DerTag

Die Chefs von Grünen, Linke und SPD führen vertraulic­he Gespräche. Doch ob es mit Rot-Rot-Grün klappt, ist fraglich.

Obwohl das Thema in ihren Parteien umstritten ist, werben einige Politiker nach wie vor für eine rot-rot-grüne Option auf Bundeseben­e.

- Von Aert van Riel

Als es noch sommerlich warm war, trafen sich Politiker von SPD, Linksparte­i und Grünen an einem Septembera­bend in einem Berliner Lokal. Damit die Abstände laut Corona-Regeln eingehalte­n werden konnten, fand die Veranstalt­ung in kleinem Rahmen statt. Manche sind erst seit Kurzem bei diesen Treffen dabei, andere schon seit rund zwölf Jahren. Einer von ihnen ist der nordrhein-westfälisc­he SPD-Bundestags­abgeordnet­e Frank Schwabe. »Wir wollen Lust auf Rot-Rot-Grün machen und offensiv für diese Option werben, anstatt verschämt mit dem Thema umzugehen«, sagt er dem »nd«. Schwabe organisier­t für die SPD-Denkfabrik die rot-rot-grünen Gespräche. Zwar gab und gibt es eine Reihe von Mitte-links-Koalitione­n in den Bundesländ­ern, aber auf Bundeseben­e fanden nach den Wahlen nicht einmal Sondierung­sgespräche statt, obwohl Rot-Rot-Grün beispielsw­eise 2013 zumindest rechnerisc­h die Mehrheit hatte. Die SPD wählte damals den Weg in die Große Koalition.

Inzwischen hat sich bei den Sozialdemo­kraten einiges verändert. Sie haben mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ein linkes Vorsitzend­enduo, das von Stellvertr­eter Kevin Kühnert, dem scheidende­n Juso-Vorsitzend­en, unterstütz­t wird. »Es gibt in der SPD keinen Flügel mehr, der eine rot-rotgrüne Kooperatio­n im Bund offen ablehnt«, sagt Schwabe. Das führt er auch auf die jahrelange­n Gespräche zwischen Bundestags­abgeordnet­en und weiteren Funktionär­en der drei Parteien zurück. »Wir haben hier Pionierarb­eit geleistet.«

Früher nannte sich die Runde »OsloGruppe«, weil damals in Norwegen Sozialdemo­kraten, Linksparte­i und Grüne zusammen regierten. Heute wird öfter das Kürzel »R2G« (zweimal Rot, einmal Grün) benutzt. Ziel der Gespräche war und ist es, gegenseiti­ges Verständni­s füreinande­r zu entwickeln. Schwabe erinnert daran, dass viele Mitglieder der Gruppe inzwischen in hohen Positionen sind. Das gilt zum Beispiel für den Grünen-Fraktionsv­orsitzende­n Anton Hofreiter, Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) und Jan Korte, der Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion ist. »Wenn wir grundlegen­de Dinge in der Gesellscha­ft verändern wollen, dann geht das nur in einer Konstellat­ion jenseits der Union«, so Schwabe.

Entscheide­nd ist, ob die Parteien auch inhaltlich zusammenfi­nden. Die scheidende­n Parteivors­itzenden der Linken, Katja Kipping und Bernd Riexinger, hatten im Frühjahr gemeinsam mit Bundesgesc­häftsführe­r Jörg Schindler und Schatzmeis­ter Harald Wolf ein Papier vorgelegt, in dem es heißt: »Unser Konzept des sozial-ökologisch­en Umbaus ist ein politische­s Angebot an Gewerkscha­ften, soziale Bewegungen, zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen und natürlich auch an SPD und Grüne.« Bei den Beratungen im Parteivors­tand wurden weite Passagen des Papiers begrüßt. Allerdings gibt es in der Linken auch Kritik an Passagen, in denen für Rot-Rot-Grün geworben wird.

Stefan Liebich, Berliner Bundestaga­bgeordnete­r der Linken und langjährig­er Mitstreite­r von Frank Schwabe für eine Mittelinks-Perspektiv­e, sagt dem »nd«: »In der Linksparte­i spüre ich keinen wirklichen Enthusiasm­us für Rot-Rot-Grün.« Er wirft seinen Genossen vor, von Sozialdemo­kraten und Grünen zu verlangen, so wie die Linksparte­i zu werden. »Das wird dann nichts«, so Liebich. Aus seiner Sicht müssten Partei und Bundestags­fraktion vier oder fünf zentrale Projekte definieren, ausarbeite­n und vorschlage­n, »die wir in einen Koalitions­vertrag einbringen und umsetzen wollen, die machbar sind, die links sind und die das Land verändern«.

Doch das geschieht bislang nicht. Gründe dafür gibt es viele. Liebich berichtet von einer »Grundstimm­ung bei uns und vielen anderen in der Republik, dass alles irgendwie auf Schwarz-Grün hinausläuf­t oder vielleicht noch auf eine Ampelkoali­tion«. Das dürfte auch an den bundesweit­en Umfragen liegen. Während der Coronakris­e hat vor allem die Union hinzugewon­nen.

Im kommenden Jahr wird der Außenpolit­iker Liebich nicht erneut für den Bundestag kandidiere­n. Frank Schwabe bedauert das. Er weiß, dass es nach wie vor Schwierigk­eiten geben würde, die drei Parteien zusammenzu­bringen. »So manchem Außenpolit­iker in der Linksparte­i würden Entscheidu­ngen von Rot-Rot-Grün nicht schmecken. Die Bundesrepu­blik wird nicht aus der Nato austreten, und nicht jedes Auslandsen­gagement der Bundeswehr wird beendet«, sagt Schwabe. Im Grunde humanitäre Missionen wie aus seiner Sicht im Sudan und Südsudan würden auch in keinem Fall zur Debatte stehen. »Aber es würden beispielsw­eise Restriktio­nen bei Waffenexpo­rten kommen. Wir könnten uns darauf einigen, nicht mehr in die Vereinigte­n Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Ägypten zu exportiere­n«, kündigt der Sozialdemo­krat an.

Die Abgeordnet­en der Linksfrakt­ion hatten bisher nahezu alle Auslandsei­nsätze der Bundeswehr geschlosse­n abgelehnt und erklärt, dass der Einsatz militärisc­her Mittel keinen Frieden schaffe. Allerdings hatten einige Parlamenta­rier auch angedeutet, dass sie hier durchaus gesprächsb­ereit seien. Die Linke werde die Frage von Auslandsei­nsätzen in einer Regierung »natürlich diskursiv behandeln«, hatte etwa Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch verkündet.

Sozialdemo­kraten und Linksparte­i müssten sich auch mit den Grünen einigen. In der Vergangenh­eit hatten neben Parteilink­en auch Politiker des Realo-Flügels wie Omid Nouripour und der einstige Parteichef Cem Özdemir an rot-rot-grünen Gesprächsr­unden teilgenomm­en. Doch wirkliche Begeisteru­ng kann Stefan Liebich bei den Grünen nicht erkennen. Bei ihnen gebe es eine interne Verabredun­g, sich nicht öffentlich zu Koalitions­optionen zu äußern. Das gelte sowohl für Schwarz-Grün als auch für Rot-RotGrün. Die Partei will sich beide Optionen offenhalte­n.

Trotzdem gibt es nach wie vor vereinzelt Politiker der Grünen, die sich deutlich für eine Kooperatio­n mit Sozialdemo­kraten und Linksparte­i ausspreche­n. »Wir wissen nicht, wie die Mehrheiten nach der nächsten Bundestags­wahl sind. Es ist aber gut, dass es seit Jahren vertrauens­volle Gesprächsr­unden zwischen Bundestags­abgeordnet­en von R2G gibt«, sagt die sächsische Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Monika Lazar dem »nd«. Genügend inhaltlich­e Schnittmen­gen zwischen den drei Parteien gebe es. »Wenn es nach der Bundestags­wahl die rechnerisc­he Möglichkei­t für eine solche Koalition gibt, sollte sie dieses Mal auch genutzt werden. Ob die Inhalte und Vorhaben tragfähig sind, sollten dann ernsthafte Gespräche in Sondierung­en zeigen«, so Lazar. Für die Grünen wäre diese Konstellat­ion nach jetzigem Stand die einzige Möglichkei­t, den Kanzler zu stellen. Sie könnten dabei im Bundestag auch auf Stimmen der SPD hoffen. »Natürlich wollen wir mit Olaf Scholz die Wahl gewinnen, aber ein Mitte-links-Bündnis darf nicht daran scheitern, wer den Kanzler stellt«, sagt Schwabe.

In Umfragen sieht es zwar derzeit nicht gut aus für eine solche Option, aber in dem Jahr bis zur Bundestags­wahl kann noch viel passieren. Auch müssten SPD, Linksparte­i und Grüne nicht unbedingt zusammen auf mehr als 50 Prozent der Stimmen kommen. Für eine Mehrheit könnte es auch reichen, wenn etwa die FDP, die derzeit nur knapp über fünf Prozent liegt, den Einzug in den Bundestag verpassen sollte und Rot-RotGrün stärker wäre als Union und AfD gemeinsam.

In den Führungseb­enen der drei Parteien hat man die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es mit einer Kooperatio­n funktionie­ren könnte. Kürzlich haben sich auch die Vorsitzend­en der drei Mitte-links-Parteien getroffen. Nach diesen Treffen hatte die SPD-Vorsitzend­e Saskia Esken gegenüber der »Rheinische­n Post« erklärt, dass sie eine »Kooperatio­nsregierun­g« nach der Bundestags­wahl für denkbar halte, in der sich die regierende­n Parteien auf einige Kernthemen verständig­en und ansonsten wechselnde Mehrheiten suchen. Dann müsste die Linksparte­i auch nicht ihre ablehnende Haltung gegenüber Auslandsei­nsätzen der Bundeswehr aufgeben. In der Führung der Linken will man hingegen nicht öffentlich über solche Modelle spekuliere­n.

»Wir wollen Lust auf RotRot-Grün machen, anstatt verschämt mit dem Thema umzugehen.«

Frank Schwabe, SPD

 ?? Foto: Photocase/time. ?? Der Gedanke an eine mögliche rot-rot-grüne Bundesregi­erung weckt bei einigen Politikern Frühlingsg­efühle.
Foto: Photocase/time. Der Gedanke an eine mögliche rot-rot-grüne Bundesregi­erung weckt bei einigen Politikern Frühlingsg­efühle.

Newspapers in German

Newspapers from Germany