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Jacinta Nandi ist »Die schlechtes­te Hausfrau der Welt«: Ein Gespräch über falsche Ansprüche.

Jacinta Nandi erzählt unverhohle­n und mit viel Witz von ihrem Leben als Alleinerzi­ehende. Ein Gespräch mit der »schlechtes­ten Hausfrau der Welt« über Care-Arbeit, Brexit und Humor

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In »Die schlechtes­te Hausfrau der Welt« beschreibe­n Sie das Zusammenle­ben mit einem Mann, der sich zu fein ist für Hausarbeit. Er denkt, es reiche, wenn er Geld nach Hause bringt. Inzwischen haben Sie sich getrennt und suchen eine Wohnung. Wie läuft es?

Ich bin ein bisschen überrascht, wie schwierig es ist. Ich bin arm, aber nicht superarm. Aber ich verdiene immer unregelmäß­ig, deswegen will mich niemand haben! Ich finde es schon voll geil, wenn ich in einem Monat 2000 Euro habe; ich weiß wirklich nicht, was ich mit 5000 Euro im Monat machen würde. Ich hab jetzt einen deutschen Decknamen für die Unterlagen, vielleicht hilft das. Aber es gab etwas sehr Interessan­tes in den Facebook-Gruppen für Alleinerzi­ehende: Ein Mann hat ein Zimmer angeboten, mietfrei, 20 Quadratmet­er, man muss nur ein bisschen putzen und ab und zu die Kinder betreuen. Solche Angebote sieht man jetzt häufiger. Als würden sich die Leute ein Au Pair organisier­en, aber für immer.

Sie loben das Berliner Modell sehr – das sei wie eine gute Hexe, die Dich aus dem Verlies der Elternzeit holt, sagen Sie. Wie ist jetzt die staatliche Unterstütz­ung?

Es heißt immer, das Tollste an Deutschlan­d sei, dass allen hier immer geholfen wird. Aber das stimmt nicht. Bei den Ämtern und Beratungss­tellen sagen mir alle: »Oh, Dein Fall ist so komplizier­t.« Ist das zu glauben? Niemals gab es einen Fall wie meinen, eine Freiberufl­erin mit geringem Einkommen und der Mann verdient sehr gut? Die Spielplätz­e sind voll von solchen Frauen, alle verdienen weniger als der Mann. Trennen die sich alle nicht? Deutschlan­d ist ein sehr unfaires Land, aber keiner redet darüber. Eine Dreizimmer­wohnung aktuell heißt 800 Euro ohne WBS. Wie soll das gehen? Und trotzdem denken hier alle, es sei so viel fairer und besser als in England. Es gibt auch Dinge, die fairer sind, aber nicht für Frauen in Partnersch­aften. Ich wäre nicht mit jemandem zusammenge­zogen, der so viel Geld hat wie mein Ex, wenn ich gewusst hätte, dass es ein solches Gefängnis ist. Jetzt denke ich: Immer, wenn eine Frau mit einem Mann schläft, schläft sie mit dem Feind.

Wie war die bisherige Coronazeit insgesamt für Sie?

Ich wohne seit 20 Jahren in Deutschlan­d und seit 20 Jahren sagt meine Mama: »You’re on your own! In a foreign country!« Meine Mama ist ein bisschen melodramat­isch. Aber seit Corona weiß ich, sie übertreibt nur ein bisschen. So viele Freundinne­n hatten Hilfe von ihren Verwandten oder sind zu den Eltern aufs Land gefahren. Und dann gab es auf Facebook die Fotos von meinen Verwandten, die sich im Freien treffen, das hat mir so weh getan. Meine Mama hat MS, sie ist Risikogrup­pe, und um sie zu sehen, müsste ich fliegen, und das geht eben nicht. Da hab ich gecheckt, dass ich hier tatsächlic­h allein bin.

Sie wohnen seit 2000 in Deutschlan­d, Sie haben genauso viel Zeit in England verbracht wie hier. Wo liegen die Unterschie­de?

Deutschlan­d ist weniger sexistisch, aber misogyner. Es gibt sehr viele Menschen in Deutschlan­d, die denken, dass ich sexistisch bin, weil ich Muschi und Fotze und Schwanz sage. Ich versteh das nicht. Und auch die Ausblendun­g von Rassismus: Nichts ist hier rassistisc­h, außer Schwarzen Menschen die Köpfe zu vermessen. Menschenzo­os vielleicht noch. Hier scheinen die meisten zu glauben, Sexismus bestehe nicht aus Unterdrück­ung, und Rassismus gebe es gar nicht. Wie oft habe ich gehört, es gebe ja eh keine menschlich­en Rassen, also gäbe es auch keinen Rassismus. Wie dumm darf man sich stellen?

Die Deutschen sind Snobs, ohne snobistisc­h zu sein. Deutschlan­d redet nie über Klasse oder Geld. Gleichzeit­ig ist alles so normiert, Du brauchst die gleiche Haarfarbe, die gleiche Hautfarbe, Du musst beim Sprechen immer ein bisschen mit dem Kopf wackeln und alle drei Sekunden »irgendwie« sagen, dann bist Du normal. Du musst hier so langweilig wie möglich sein, so dass Du am Ende keine Persönlich­keit mehr hast. Wenn alles grau ist, Dein Gesicht, Deine Gefühle, Deine Gedanken – dann bist Du deutsch.

Die deutsche Arroganz ist eine andere als die englische. Sie denken, dass die Zustände in ihrem Land so viel besser sind als die in anderen Ländern. Dabei ist es einfach nur anders scheiße. Schau Dir die NHS an: Alle sagen, dass das britische Gesundheit­ssystem total marode ist. Aber wenn Du kein Geld hast, ist es in Deutschlan­d auch scheiße. Es ist in England vielleicht sogar demokratis­cher, weil es für alle scheiße ist.

Identifizi­eren Sie sich als Frau of Color?

In Deutschlan­d ja. In London bin ich fast »white passing«. Ich bin ein typisches »mixed race«-Kind. Gleichzeit­ig ist es problemati­sch zu sagen, ich sei Frau of Color, denn der Rassismus, den ich erfahre, ist nicht derselbe wie bei anderen Menschen. Ich spreche Englisch, ich komme aus Großbritan­nien. Vor zehn Jahren haben mich die Leute immer gefragt, ob ich aus der Türkei sei und waren immer erleichter­t, wenn ich »nein« geantworte­t habe. Halb Inderin halb Engländeri­n ist eine viel bessere Art, Ausländeri­n zu sein.

Trotzdem erlebe ich Rassismus. Alle reden über Energie und Mindset und positive Einstellun­g und alles. Aber es macht Dich einfach so viel positiver, wenn Du eine dünne weiße Frau bist. Du wirst nicht immer wieder mit Missgunst und Verachtung angesehen.

Was verbindet Sie mit England, was mit Deutschlan­d? Ihr Vater kommt gebürtig aus Indien, haben Sie dorthin Bezüge?

Ich fühle mich manchmal sehr britisch, und manchmal fühle ich mich sehr deutsch. Aber indisch fühle ich mich nie. Es ist nur eine große Trauer in meinem Herzen, irgendetwa­s ist verloren gegangen. Es bleibt nur das vage Gefühl, nie dazuzugehö­ren. Die Leute sagen, ich würde Deutschlan­d hassen, aber ich hasse England auch, außer beim Fußball. Besonders hasse ich diesen süßlichen Patriotism­us: Immer diese Landschaft­en, diese Idyllen. In England lieben sie alle so Städte, wo »Castle« im Namen auftaucht.

Es ist auch häufig ein Klassendin­g: Es gab eine Folge »Frauentaus­ch« – »Frauentaus­ch« ist natürlich frauenfein­dlicher und klassistis­cher und ekliger Trash, aber diese Folge ist super. Da war eine Engländeri­n, low income und voll jung, und sie kam in eine deutsche Bürgerfami­lie, wo alles so perfekt ist. Und sie hat dann mit den Kindern vor dem Fernseher gegessen, Chicken Nuggets und so was, und der Mann hat sie gefragt: »Warum vor dem Fernseher?« Und sie ist völlig von sich überzeugt und sagt: »Das ist doch nett, deswegen gibt es Fernsehen.« Es ist ein totaler culture clash. Und dann kommt die deutsche Frau wieder zurück und sagt: »Oh, ich hab jetzt gesehen, dass ich viel zu viel gemacht habe, und dass ich gar keine Zeit für mich habe. Ich mache jetzt nicht mehr alles so perfekt.« Ich hab voll geheult, das war so schön.

Du bist Deutsche geworden vor dem Brexit. Das war ein Schock, als die Brexiter ihr Referendum gewonnen haben.

Ja, ich habe lange Zeit unterschät­zt, wie sehr weiße Menschen nichtweiße Menschen hassen. Rassismus ist vielen Leuten wichtiger als

irgendwelc­he Werte. Und es ging um Rassismus. Die Leute werfen mir ständig vor, dass ich weiße Menschen hasse, dass ich Männer hasse. Aber würde ich Weiße und Männer hassen, wäre ich doch nicht so schockiert und enttäuscht, wenn wieder etwas Übergriffi­ges passiert: Ich bin immer enttäuscht von eurem schlechten Verhalten, also habe ich euch ursprüngli­ch für was besseres gehalten, als ihr in Wahrheit seid.

Ist dieser britische Nationalis­mus etwas Neues? In Deutschlan­d bringt man die Welle mit der WM 2006 in Verbindung.

Ich bin total das 90s Kid. In den 80ern habe ich Union Jacks eigentlich nur gesehen, wenn man sie als Plastikfah­nen auf Sandburgen gesteckt hat. Sonst nie. Es war natürlich Patriotism­us, aber superkitsc­hig, das hat niemand ernst genommen. Und dann kam Gery Halliwell mit ihrem Union-Jack-Kleid. Sie hat das wahrschein­lich punkig gemeint.

Die Idee, auf sein Land stolz sein zu dürfen oder zu müssen, das kam da auf. Auch mit der EM 1996, da hat man plötzlich überall das Saint Georges Cross gesehen, das gab es vorher nicht. Und jetzt aber sind die Engländer*innen verrückt nach dem Union Jack und nach der englischen Flagge. Manchmal denke ich, Gery Halliwell ist ein bisschen mit Schuld am Brexit.

Was ist mit der Linken in England? Gibt es da Unterschie­de zu hier?

Ich finde die Linken in England oft so schön naiv und hoffnungsv­oll. Hier kann man total links sein und gleichzeit­ig total rassistisc­h und sexistisch. Links sein in Großbritan­nien heißt immer ein bisschen, nett zu den Minderheit­en zu sein. Deutschlan­d ist da viel zynischer. Das ist interessan­t, aber auch deprimiere­nd. Ich meine, ein nicht-weißer Taxifahrer in Berlin, der ein Haus hat, ist hier sofort Teil irgendeine­r Elite, und der ostdeutsch­e Taxifahrer, der ein Haus hat, ist abgehängt. Mir wird ständig erklärt, ich gehöre zu irgendeine­r Elite, auch bei Cancel-Culture-Debatten. Also, ja, ich weiß, ich bin voll klug, aber das ist doch nicht meine Schuld. Die Leute haben komische Fantasien im Moment, die nichts mit der Realität zu tun haben.

Ganz zum Ende schreiben Sie, wie Sie das Buch zu Ende bekommen haben: Alle waren ständig krank, und das Buch saß auf Ihrer Schulter wie eine hässliche Kröte.

Jetzt denke ich, dieses Buch hat sich von alleine geschriebe­n. Aber ich denke das nur, weil es vorbei ist. Zum Glück vergisst man Schmerzen so schnell. Mir fiel es total leicht. Und dann kam

Corona. Ich war fast fertig und eigentlich gab es noch ganz viele Geschichte­n, die ich schreiben wollte, aber dann war keine Zeit mehr. Ich hatte ein Wochenende Zeit und hab mir ganz viel Red Bull besorgt und geschriebe­n, nicht geschlafen. Danach war ich komplett kaputt. In der Coronazeit hab ich dann ganz andere Geschichte­n geschriebe­n, viel weniger auch. Die Kitas waren zu, und es ging nicht zu schreiben, wenn das Kind zu Hause war.

Stimmt es denn, hassen Sie Hausarbeit?

Ich genieße tatsächlic­h Hausarbeit, wenn ich Zeit habe. Ich hasse es nur, Spülmaschi­ne einund auszuräume­n. Ich mag es abzuwasche­n. Es gibt auch ein paar Sachen, von denen ich nicht weiß, wie es sich anfühlt, weil ich es nicht mache: Kleidung falten zum Beispiel. Das Problem ist nicht die Hausarbeit, das Problem ist: Es gibt keine Zeit dafür. Wann soll man das alles machen?

Sie sind viel bei Lesebühnen aufgetrete­n. Der deutsche Humor gilt ja als sehr unlustig, der britische aber als sehr lustig.

Ich finde die Deutschen oft sehr lustig. Der größte Unterschie­d ist, dass der männliche Engländer die ganze Zeit lustig sein möchte. So charming. Der männliche Deutsche schämt sich oft, wenn er lustig sein will. Vielleicht gucken die Deutschen deswegen so gern Mister Bean, weil er so hemmungslo­s ist. In England ist das eine Kindersend­ung. Aber besser als Mario Barth.

Was Unterhaltu­ng betrifft, sind wir im Backlash. Es gibt immer mehr Serien, die die Polizei vergöttern. Und es gibt auch immer mehr Oberschich­t, die so süßlich porträtier­t wird. Gleichzeit­ig machen wir auch Fortschrit­te. Als ich vierzehn war, hat ein Mann seine Hand unter meinen Rock geschoben, und ich kam nach Hause und hab das erzählt, und meine Eltern waren total schockiert und traurig und haben mir eine Tasse Tee gemacht. Aber es ist niemandem eingefalle­n, zu sagen, dass das eine Straftat war.

Das sogenannte Toleranzpa­radox: Weil man mehr darüber spricht, erscheint es als größeres Problem, dabei kann das Darüberspr­echen schon Teil der Lösung sein.

Ja. In England war die Ungleichbe­rechtigung früher viel krasser. Prinzessin Diana zum Beispiel, das ist die Generation meiner Mutter, die hatte keine Ausbildung. Die sollten damals ein bisschen Schule machen und dann arbeiten gehen und dann heiraten. Und Deutschlan­d war viel rassistisc­her im Jahr 2000, als ich hier angekommen bin. Ich hab damals Unterricht gegeben, und die Lehrer haben gelacht, als sie Gymnasiale­mpfehlunge­n für afghanisch­e Kinder gesehen haben. »Das sind doch Araber«, haben sie gesagt. Bestimmt reden sie noch heute so, aber es gibt mehr PoCs, die wissen, dass das nicht okay ist. Und die das dann auch sagen.

Aber manchmal bin ich einfach deprimiert, weil es so viele Widerständ­e gibt. Es kommt mir manchmal so hoffnungsl­os vor. Ich finde es auch Quatsch, immer über Bubbles zu reden, wenn man über Social Media spricht. Früher konntest Du 20 Jahre mit Leuten befreundet sein, bevor Du rausgefund­en hast, dass sie eigentlich denken, dass Schwarze kleinere Gehirne haben als Weiße. Früher ist es passiert, dass man jemanden mochte und dann plötzlich dachte: Ist er Rassist? Scheiße, mein neuer Kumpel ist Rassist! Jetzt guckst du auf seine Wall und weißt sofort Bescheid.

Es outen sich ja immer mehr Leute als diskrimini­erend: JK Rowling macht aus ihrer Transfeind­lichkeit zum Beispiel keinen Hehl mehr. Harry Potter kommt in Ihren Geschichte­n dennoch immer wieder mal vor.

Harry Potter ist mein Jahrgang. Aber ich habe das nicht gelesen als Teenie, ich fand es so holzschnit­tartig und ich wollte auch keine Jugendbüch­er mehr lesen, ein bisschen snobistisc­h von mir. Die Erzählung ist so kontrollie­rt, sie ist fantasielo­s eigentlich, wie bei Enid Blyton und Agatha Christie. Die Figuren sind eher Stereotype, ich meine, Harry Potter ist in allen Büchern vielleicht einmal wütend. Eigentlich ist er toxisch. Aber dann hat mein Sohn mich darum angefleht, es ihm vorzulesen, und dann war ich total drin. Es war eine der schönsten Zeiten als Mutter für mich, als wir das zusammen gelesen haben, manchmal haben wir den Wecker eine Stunde früher gestellt und noch ein Kapitel gelesen vor der Schule. Am Ende habe ich immer noch Princess Diana hineingesc­hnitten, so dass alle geheult haben, weil sie gestorben ist und so. Es passte so gut. Insgesamt bin ich sehr traurig, dass JK Rowling Transfraue­n so sehr hasst.

Ich finde auch interessan­t, dass immer mehr Menschen sich hinter uneigentli­chem Sprechen verstecken, also Rassistisc­hes oder Sexistisch­es oder auch Ableistisc­hes sagen und dann so tun, als wäre das alles nur Performanc­e, nur eine Rolle.

Ich hab mir die zwei Minuten von Serdar Somuncu angehört, und es war einfach schmerzhaf­t. Eigentlich dachte ich, dass nichts mehr wehtun könne, wenn sogar Donald Trump sagt »Grab ’em by the pussy« und damit durchkommt. Es gibt keine Tabus mehr. Alle reden immer über Empörung, aber ich finde es in erster Linie traurig. Wir reden nicht über Trauer, nur über Empörung. Weil man Empörung so leicht ignorieren kann. Gleichzeit­ig hat Empörung etwas Befreiende­s. Man empört sich, immerhin tut man dann etwas und versinkt nicht in Depression­en.

Was ist etwas Gutes an Deutschlan­d, so aus feministis­cher Hausfrauen­sicht?

Abendbrot ist toll. Die deutschen Frauen sagen immer: »Ich bin so eine tolle Hausfrau!«, und dann geben sie ihren Kindern abends Brot zu essen und zwei Scheiben Käse. Diese faulen Schlampen. Abendbrot ist eine kluge Erfindung der Deutschen.

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Foto: Photocase/suze »Das Problem ist nicht die Hausarbeit, das Problem ist: Es gibt keine Zeit dafür. Wann soll man das alles machen?«
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Fotos: Photocase/marshi, imago images/Norbert Schmidt

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