Johanna Treblin Kampf gegen Hass-Posts muss Datenschutz wahren
Gesetz gegen Hasskriminalität ist teilweise verfassungswidrig.
Wann ist ein Hasskommentar im Internet strafbar? Und wie erfahren Ermittlungsbehörden überhaupt von strafbaren Inhalten in sozialen Netzwerken? Das »Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität« soll die Strafverfolgung der Absender von Hassposts erleichtern. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dem bereits im Juni vom Bundestag verabschiedeten Gesetz nun aber seine Unterschrift verweigert. Zunächst sollen entsprechende Passagen geändert werden.
Das Gesetzesvorhaben ist eine Reaktion auf den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 1. Juni 2019 und auf das Attentat von Halle vor einem Jahr. Der CDU-Politiker Lübcke hatte auf einer Bürgerversammlung im Oktober 2015 in Lohfelden über die Einrichtung einer neuen Flüchtlingsunterkunft im Ort gesprochen und auf Provokationen hin gesagt: »Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.« Die Aussage zog eine Welle von Hassnachrichten nach sich, die jahrelang anhielten. Auch Stephan Ernst besuchte die Versammlung. Er steht derzeit wegen Mordes an Walter Lübcke in Frankfurt am Main vor Gericht.
In einer konzertierten Aktion wurden Anfang Juni dieses Jahres die Wohnungen von 40 Personen im gesamten Bundesgebiet durchsucht, die in sozialen Netzwerken strafrechtlich relevante Äußerungen über Walter Lübcke getätigt haben sollten. Vier Monate später sind weitere rund 30 Beschuldigte hinzugekommen. In den meisten Fällen dauern die Ermittlungen nach nd-Informationen noch an.
Ein paar Beispiele: Ein 73-Jähriger forderte kurz nach der Bürgerversammlung auf Facebook, man solle Lübcke »eine aufs Maul geben«. Das Verfahren wurde im August dieses Jahres eingestellt. Der Verfasser muss 2500 Euro – ein monatliches Einkommen – an die UN-Flüchtlingshilfe spenden. Ein 64-Jähriger forderte sogar: »Aufhängen den Drecksack!« Gegen ihn wurde kürzlich ein Strafbefehl wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten beantragt. Er soll eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu jeweils 30 Euro (1800 Euro) zahlen.
Rund 70 Verfahren im Zusammenhang mit Hassnachrichten, die sich gegen Lübcke richteten, hat die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main – Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität angestrengt und an die zuständigen Staatsanwaltschaften im ganzen Land verteilt.
Im Dezember 2019 legte das Bundesjustizministerium seinen Entwurf für das Gesetz gegen Hasskriminalität vor. Es soll das seit 2017 gültige Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verschärfen. Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook oder Twitter sollen Hasskommentare nicht mehr nur löschen, sondern auch an das BKA weiterleiten, so dass strafrechtlich relevante Kommentare geahndet werden können.
»Man könnte da von einer kleinen Revolution sprechen«, sagt Christoph Hebbecker. Der Staatsanwalt in Köln arbeitet für die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen. Hunderttausende Verfahren sieht er auf die Staatsanwaltschaften zukommen. Bisher gebe es nur wenige tausend Verfahren. Um die kommende Flut zu bewältigen, brauche es wesentlich mehr Personal. Und Weiterbildungen. Die Vorbereitungen hätten bereits begonnen. Er selbst werde Beamte des Bundeskriminalamtes darin schulen, welche Kommentare als strafrechtlich relevant einzustufen seien.
Doch erst einmal müssen die verfassungsrechtlichen Bedenken ausgeräumt werden. Es geht darum, ob das BKA zur Identifizierung des Verfassers unter anderem seine IP-Adresse abrufen darf. Eine Frage des Datenschutzes also. Im Juli hatte das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Telekommunikationsgesetz und dem BKA-Gesetz veröffentlicht, demzufolge einige Passagen verfassungswidrig sind. Diese Passagen finden sich fast wortgleich im Gesetz zur Bekämpfung von Hasskriminalität. Die Bundesregierung will diese nun ändern. Die Grünen haben einen datenschutzfreundlichen Vorschlag ausgearbeitet. Per »Quick Freeze« sollen die Daten gesichert, jedoch erst bei einem durch die Behörde festgestellten konkreten Anfangsverdacht auch ans BKA weitergegeben werden.
Es dauert also noch, bis das Gesetz kommt – zumal nach der Unterschrift des Bundespräsidenten eine Frist von zehn Monaten gilt, bis das Gesetz tatsächlich in Kraft tritt.