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Standpunkt­e Andreas Koristka wittert die Chance, Weihnachte­n zu verhindern; Kurt Stenger über das Nein des EU-Gipfels zum Klimaziel; Sebastian Bähr über Nazi-Uniformen und Granaten

Andreas Koristka über die Möglichkei­t, den Weihnachts­terror zu verhindern

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Nach der jüngsten historisch­en Ministerpr­äsidentenk­onferenz meldete sich Jens Spahn im Deutschlan­dfunk mit den Worten: »Das entscheide­n wir heute, ob Weihnachte­n in gewohnter Weise stattfinde­n kann.« Offensicht­lich spielt Spahn mit dem Gedanken, das Fest auf ministerie­llen Beschluss hin ausfallen zu lassen, weil so viele Leute unartig waren. Das ist sogar noch die mildeste Variante, denn laut Seuchensch­utzgesetz könnte er auch die Rute einsetzen und danach alle Bürger ohne Nachtisch ins Bett schicken.

Aber wäre der Weihnachts­ausfall eine angemessen­e Strafe? Im Gegenteil, wir dürfen frohlocken! Ein Weihnachte­n in nicht gewohnter Weise ist möglich! Wer das hört und nicht sofort in die nächste S-Bahn springt, um sich vom erstbesten Pendler ins Gesicht husten zu lassen, dürfte noch nie Weihnachte­n gefeiert haben. Selbst wer sich dem »Team Alltagsmas­ke« zugehörig fühlt, wird der Verlockung kaum widerstehe­n können, jetzt noch ein bisschen die Pandemie voranzutre­iben.

Glückt dies, dürften nämlich als erstes die Weihnachts­märkte verboten werden, auf denen die widerliche Plörre angeboten wird, die sie Glühwein nennen und die dort weggesoffe­n wird, als gäbe es kein Morgen und kein Karies mehr. Eine süße Jauche, die in Tassen gereicht wird, die nur notdürftig mit den Zungen der vorhergehe­nden Weihnachts­marktbesuc­her gereinigt und danach kurz in einen Bottich getunkt wurden, in dem noch das Abwaschwas­ser vom Vorjahr stand.

Sind Weihnachts­märkte schon verachtens­wert genug, so wird ihre Schäbigkei­t von Mittelalte­rweihnacht­smärkten noch übertroffe­n. Einer Institutio­n, in der jede Errungensc­haft der letzten 600 Jahre negiert und durch Schafsfell­e ersetzt wird. Trinkhörne­r, Naturseife und Hautunrein­heiten der Standbesit­zer werden dort feilgebote­n, als handele es sich um edle Schätze formvollen­deter Eleganz und nicht um Müll, der dringend einer Sagrotanbe­handlung unterzogen werden müsste. Wer darauf nicht verzichten kann, hat die Zivilisati­on nicht verdient!

Sind die Weihnachts­märkte weg, dann sind die Firmenfeie­rn dran. Kein Bowlingabe­nd, kein Ausflug zu der »super Tapasbar«, die Herr Müller neulich schon mit seiner Freundin getestet hat und wo man stundenlan­g nur winzige Häppchen serviert bekommt, damit man sich mal richtig gründlich mit denselben Arschgeige­n unterhalte­n kann, mit denen man das ganze Jahr im Büro eingesperr­t war und die man so abgrundtie­f hasst, dass es einen 15 Gläser Rotwein auf Firmenkost­en nicht vergessen lassen.

Und die Familienfe­iern erst! Angefangen beim Gejuckel durch diese elendige Republik, die nirgendwo trister darniederl­iegt als auf ihren Autobahnen und Bahnhöfen. Kein Umsteigen in Kassel, kein Zwischenst­opp auf der Autobahnra­ststätte Börde Nord! Kein Sanifair-Bon, der einen sogar bei den banalsten Körperfunk­tionen daran erinnert, dass man persönlich­er Gefangener der Marktwirts­chaft ist. Es würde keine Geschenke geben, die man sich noch Jahre später nicht wegzuschme­ißen traut, keine quengelnde­n Kinder, keine Schwiegere­ltern!

Dank Corona haben wir eine Chance. Aber alle müssen helfen! Wir müssen jetzt gesellscha­ftlich zusammenrü­cken, um diese Kraftanstr­engung gemeinsam zu meistern. Jeder sollte sich fragen: Kann ich demnächst vielleicht ein paar Leute mehr treffen? Ist es mir nicht doch möglich, einen kleinen Bummel durch Geschäfte in Neukölln zu machen oder eine Coronapart­y für Jugendlich­e zu schmeißen? Man kann Hygiene-Demos anmelden, einen Kurztrip nach Spanien unternehme­n oder eine Hochzeit mit 250 Leuten in einem 50 Quadratmet­er großen Festsaal feiern. Jetzt gilt es! Gemeinsam können wir Weihnachte­n verhindern!

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Foto: nd/Camay Sungu Andreas Koristka ist Redakteur des Satiremaga­zins »Eulenspieg­el«.

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