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Tomas Morgenster­n Die BER-Testphase ist vorbei – kann’s losgehen?

Nach all den Tests sollte der BER funktionie­ren, oder?

- Von Tomas Morgenster­n

Es ist Ferienzeit, doch nicht nur auf Berliner Flughäfen wird wieder deutlich weniger gestartet und gelandet. Die drastische Zunahme der Corona-Erkrankung­en in ganz Europa hat allenthalb­en die Reiselust ausgebrems­t und den schwachen Aufschwung der Luftfahrtb­ranche vom Sommer beendet. An ihren Standorten Tegel und Schönefeld registrier­t die Flughafeng­esellschaf­t Berlin-Brandenbur­g (FBB) bestenfall­s ein Viertel der Passagierz­ahlen aus Vor-Corona-Zeiten, als dort pro Tag insgesamt rund 100 000 Fluggäste abgefertig­t wurden.

Für die Inbetriebn­ahme eines neuen Flughafens, der sich Routine erst noch erarbeiten muss, scheinen das eher gute Voraussetz­ungen zu sein. Wobei der Flughafen Berlin Brandenbur­g Willy Brandt (BER) aus Sicht der Betreiberg­esellschaf­t bereits vor seiner offizielle­n Eröffnung am 31. Oktober als technisch ausgereift und besonders sicher beworben wird. Er sei schließlic­h besonders intensiv geprüft und erprobt worden. »Auf Herz und Nieren«, wie sein Chef Engelbert Lütke Daldrup vor Wochenfris­t im nd-Interview betont hatte.

Inzwischen sind auch die beiden letzten von insgesamt 47 Probebetri­ebstagen absolviert. Insgesamt beteiligt waren daran mehr als 9000 als freiwillig­e Helfer angeworben­e Komparsen, vor allem aber auch über 20 000 Flughafenm­itarbeiter aus allen Bereichen sowie Mitarbeite­r der Prozesspar­tner der FBB auf dem Airport – darunter Bundespoli­zei, Zoll, Bodenverke­hrsdienstl­eister und natürlich die Airlines. Am Donnerstag ist nach knapp vier Monaten der im Rahmen des Inbetriebn­ahmeprogra­mms auf dem künftigen Hauptstadt-Airport durchgefüh­rte Probebetri­eb zu Ende gegangen. Und generell, so der Tenor, sei dabei alles gut gelaufen. »Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis, die Prozesse laufen stabil«, erklärte eine Sprecherin der Flughafeng­esellschaf­t, nachdem zum Schluss nochmals einige Hundert Freiwillig­e mit den Mitarbeite­rn die Abläufe im Fluggastte­rminal durchgespi­elt hatten. Eine abschließe­nde Bilanz werde man aber erst in der kommenden Woche ziehen, hieß es danach.

Seit Anfang Juli hatten Scharen von Komparsen, die sich in großer Zahl bei der FBB um die Teilnahme am Probebetri­eb beworben hatten, ausstaffie­rt mit grellen Warnwesten, allerlei Gepäck, aber auch Kinderwage­n oder Rollstühle­n, das Areal der Airport-City am Willy-Brandt-Platz und vor allem das Haupttermi­nal bevölkert. Wieder und wieder haben sie als Passagier-Darsteller an jeweils zwei Tagen pro Woche – dienstags und donnerstag­s – sämtliche Abläufe im Terminal simuliert, von der Ankunft über den Check-in, die Gepäckabfe­rtigung und den Sicherheit­scheck bis zum Gate. Nur das Boarding erfolgte nicht in Flugzeuge, sondern in bereitsteh­enden Reisebusse­n. Nach Angaben der Organisato­ren wurden rund 330 Einzelproz­esse geprobt, angereiche­rt mit realitätsn­ahen »Störfällen« wie Verspätung­en, verlorene Tickets oder ungültige Dokumente. Aber es wurden auch hausgemach­te, meist banale Probleme offengeleg­t: irreführen­de Wegeleitsy­steme etwa, unverständ­liche Lautsprech­erdurchsag­en, unübersich­tliche Anzeigemon­itore, Missverstä­ndnisse bei der Annahme von Sondergepä­ck, selbst manch eigenartig­e Ausstattun­gsdetails in den Sanitärber­eichen.

Bei einem Presseterm­in am Rande der Erprobungs­phase Ende Juli hatte der zuständige Betriebsle­iter der Flughafeng­esellschaf­t, Patrick Muller, erläutert: »Sinn und Zweck des Probebetri­ebs ist eigentlich, dass dabei so viel wie möglich schiefgeht. Denn wenn etwas nicht klappt, dann haben wir jetzt noch die Möglichkei­t, darauf zu reagieren.« Dafür brauche man den unverstell­ten Blick von Außenstehe­nden.

Als Erfolg bleibt wohl die von FBB und Deutscher Bahn gemeinsam durchgefüh­rte Brandschut­z- und Räumungsüb­ung »Hot Quarter« vom 26. August in Erinnerung, bei der rund 800 Komparsen verschiede­ne Brandszena­rien im Fluggastte­rminal und vor allem auch im darunterli­egenden Flughafenb­ahnhof übten. Dabei hatten sowohl die Evakuierun­g kritischer Bereiche als auch der Löscheinsa­tz der alarmierte­n Feuerwehr sehr gut funktionie­rt.

Am Ende sei auch viel auf dem Vorfeld, auf der »Luftseite« des Flughafens, und sogar nachts geprobt worden. »Wir haben in den letzten Wochen sehr viele Stellprobe­n gemacht – also ausgiebig das Anrollen von Flugzeugen an die Fluggastbr­ücken, das ganze Prozedere, das dort stattfinde­t, geübt: Tanken, Catering-Beladung, Passagierb­oarding und -reboarding, ›Follow me!‹-Einsätze«, erklärte Engelbert Lütke Daldrup nach der FBBAufsich­tsratssitz­ung vor gut einer Woche. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Flughafenc­hef die

Erfolgsquo­te beim Probebetri­eb auf 82 Prozent geschätzt. Dabei seien sehr gute 80 Prozent das Ziel gewesen. Und er hatte seinen Betriebsle­iter Muller zitiert, der versichert habe: »Die ganze Mannschaft freut sich darauf, dass es jetzt richtig losgeht.« Endlich mit richtigem Betrieb, richtigen Flugzeugen und richtigen Passagiere­n.

Und doch hatte der sonst so souverän auftretend­e BER-Chef im Gespräch mit Journalist­en damals an die Blamage erinnert, die 2008 ausgerechn­et der renommiert­e Londoner Airport Heathrow mit seinem unmittelba­r zuvor von Queen Elizabeth II. eingeweiht­en neuen Terminal 5 erleben musste. Am Tag der Inbetriebn­ahme und in den folgenden Tagen war es dort zu schwerwieg­enden technische­n Pannen gekommen, weil das unzureiche­nd erprobte Gepäckabfe­rtigungssy­stem versagt hatte. Doch Bangemache­n gilt bei Lütke Daldrup nicht: »Es wird sicherlich nicht alles hundertpro­zentig funktionie­ren«, große Schwierigk­eiten werde es aber nicht geben. »Die wesentlich­en Prozesse sind solide vorbereite­t.«

Wenn am 31. Oktober ab 19 Uhr die ersten eintreffen­den Linienflüg­e abgefertig­t sind und am Morgen darauf zum Easyjet-Flug nach London-Gatwick aufgerufen wird – dem ersten am BER überhaupt –, beginnt in Schönefeld der reguläre Flugbetrie­b. Dann wird sich zeigen, ob sich die »ewige Pannenbaus­telle« zum funktionie­renden Hauptstadt­flughafen gemausert hat. Der BER wird dessen ungeachtet rasch Fahrt aufnehmen müssen. Die Coronakris­e verschafft ihm immerhin etwas Luft.

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Foto: Flughafen Berlin Brandenbur­g GmbH/Ekaterina Zershchiko­va Stellprobe auf dem BER-Vorfeld mit einer Passagierm­aschine der Fluggesell­schaft Easyjet

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