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Eva Roth Keynes’ Rückkehr: Profiliert­e Ökonomen beraten die SPD

Die Dominanz des Neoliberal­ismus bröckelt. Ein Wirtschaft­srat der SPD mit profiliert­en Wissenscha­ftlern entwickelt jetzt alternativ­e Strategien. Wie sie die politische Lage im Land sehen.

- Von Eva Roth

Wofür die SPD steht, ist auch 15 Jahre nach der neoliberal geprägten Agenda 2010 und nach elf Wechseln an der Parteispit­ze seit dem Abtritt von Gerhard Schröder im Jahr 2004 nicht so richtig klar. Von den Hartz-Reformen sind die Sozialdemo­kraten via Parteitags­beschluss etwas abgerückt. Eine ökonomisch­e Gesamtstra­tegie ist aber nicht erkennbar – mal stimmt die SPD für die Schuldenbr­emse, mal beschließt sie gigantisch­e Konjunktur­programme.

Wofür Gustav Horn steht, ist klar. Der Professor für Volkswirts­chaftslehr­e ist einer der führenden Keynesiane­r Deutschlan­ds, seine wirtschaft­lichen Analysen und Politikemp­fehlungen unterschei­den sich fundamenta­l von neoliberal­en Vorstellun­gen. Er hält anständige Löhne für ökonomisch günstig, den Sozialstaa­t für finanzierb­ar und staatliche Kreditaufn­ahmen je nach Lage der Dinge für geboten. Über Jahre hat er sich als Direktor des Instituts für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK) in der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in die öffentlich­e Debatte eingemisch­t.

Nach seinem Ausscheide­n aus dem IMK aus Altersgrün­den wurde er Ende 2019 in den SPD-Vorstand gewählt, wo er ein ehrgeizige­s Projekt startete: Er hat einen hochkaräti­g besetzten Beirat der SPD zusammenge­stellt, der eine wirtschaft­spolitisch­e Gesamtstra­tegie für die Partei entwickeln soll – und damit auf einem wichtigen Feld helfen soll zu klären, wofür die SPD steht. Für das Gremium hat er profiliert­e Ökonomen wie den ehemaligen »Wirtschaft­sweisen« Peter Bofinger und Jens Südekum gewonnen (siehe Infokasten).

Die Prinzipien, an denen sich der Beirat orientiert, beschreibt Horn so: »Wir lassen uns von dem Gedanken leiten, dass wir einen stabilisie­renden und gestaltend­en Staat brauchen«, sagt er »nd.Die Woche«. Dabei gehe es insbesonde­re um die Gestaltung der Digitalisi­erung und die Förderung einer nachhaltig­en – ökologisch­en und sozialen – Produktion. Das klingt allgemein, würde jedoch faktisch eine Abkehr von neoliberal­en Dogmen bedeuten, nach denen sich der Staat aus der Wirtschaft eher heraushalt­en sollte. Horn nennt das Paradigma, an dem sich der Beirat orientiert, »Keynesiani­smus Plus«.

Die Bedingunge­n für das Vorhaben sind nicht schlecht, denn die Dominanz des Neoliberal­ismus bröckelt. Diese Ideologie hat über Jahrzehnte eine ungeheure Macht entfaltet. Seit den 80er Jahren haben konservati­ve Regierunge­n in den USA und Großbritan­nien ihre Politik danach ausgericht­et, der Internatio­nale Währungsfo­nds hat sie Ländern im Globalen Süden aufgezwung­en, später haben auch sozialdemo­kratische Regierunge­n die Wirtschaft marktliber­al umgekrempe­lt. So hat die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder Steuern gesenkt, Renten gekürzt und die Agenda 2010 beschlosse­n.

Diese Politik wurde dabei meist nicht neoliberal genannt, was die Möglichkei­t impliziert hätte, dass es andere Strategien gibt. Sie hatte vielmehr gar keinen Namen, sondern wurde von Regierunge­n durchgedrü­ckt unter dem Schlagwort: Es gibt keine Alternativ­e.

Löhne in der Krise senken?

Doch die Zeiten haben sich geändert. In der Wissenscha­ft sehen gerade Jüngere den Neoliberal­ismus kritisch. Südekum verortet sich etwa im internatio­nalen keynesiani­schen Mainstream. Politisch widerspric­ht der weltweite Protektion­ismus neoliberal­en Vorstellun­gen, und die Konjunktur­programme in der Wirtschaft­skrise 2008/2009 folgten gerade in Deutschlan­d keynesiani­schen Vorstellun­gen. Das letzte neoliberal­e Großprojek­t in Europa, die Austerität­spolitik in der Eurokrise, konnte nur mit massivem Druck durch die EU-Einrichtun­gen Ländern in Südeuropa aufgezwung­en werden.

In der jetzigen Pandemie haben Regierunge­n schon wieder keynesiani­sch inspiriert­e Konjunktur­programme aufgelegt – und viele Menschen in Deutschlan­d zeigen sich zufrieden mit dem Krisenmana­gement.

Für die SPD gibt es also deutlich weniger Gründe, marktliber­alen Ratschläge­n zu folgen. Gleichzeit­ig ist es in einer derart offenen Situation eher möglich, mit einer schlüssige­n wirtschaft­spolitisch­en Strategie durchzudri­ngen, die im Keynesiani­smus verankert ist.

Der britische Ökonom John Maynard Keynes ist bekannt durch seine Antikrisen­strategie, die er in den 30er Jahren entwickelt und die nach dem Zweiten Weltkrieg die Wirtschaft­spolitik stark beeinfluss­t hat. Hintergrun­d war damals die Weltwirtsc­haftskrise 1929 mit massiv steigender Arbeitslos­igkeit. Nach der reinen neoklassis­chen Lehre müssen in einer solchen Lage die Löhne und Preise sinken, damit Firmen mehr billige Arbeitskrä­fte nachfragen und Konsumente­n mehr billige Produkte kaufen. Tatsächlic­h sanken nach 1929 Löhne und Preise drastisch, in Deutschlan­d um mehr als 20 Prozent. Doch damit verschlimm­erte sich die Situation nur noch.

Keynes hat damals als Erster eine theoretisc­he Erklärung dafür entwickelt, warum Lohnsenkun­g in Krisen nichts nützt und stattdesse­n der Staat eingreifen muss. Eine seiner Kernbotsch­aften lautet: Damit die Beschäftig­ung wieder steigt, muss die gesamtwirt­schaftlich­e Nachfrage steigen. Doch Unternehme­n erhöhen nur dann Produktion und Investitio­nen, wenn sie erwarten, dass sie die Waren auch absetzen können. Wenn sie wegen der Krise skeptisch oder gar panisch sind, halten sie ihr Geld zusammen. Aus dieser Abwärtsspi­rale kommt man nur heraus, wenn jemand dagegenhäl­t. Das kann im Grunde nur der Staat, indem er investiert und konsumiert. Genau diese Strategie wurde in der Wirtschaft­skrise 2008/2009 und jetzt in der Pandemie von vielen Ländern verfolgt.

Keynes war nicht links, er war ein Kapitalist, dem es darum ging, die Wirtschaft zu stabilisie­ren. Doch eine keynesiani­sche Politik genügt gerade in Krisen sozialdemo­kratischen Werten, meint Horn: »Sie schafft Freiheit der Menschen von materielle­r Not, sie ist gerecht, weil Arbeitnehm­er meist nichts für die Krise können, und sie ist solidarisc­h, weil man denjenigen hilft, die Probleme haben.«

Für Keynesiane­r sind jedenfalls anständige Löhne und angemessen­e Gehaltszuw­ächse gut für Beschäftig­te und gut für die Wirtschaft. Zwar erhöhen sie die Arbeitskos­ten für das jeweilige Unternehme­n, gleichzeit­ig tragen sie aber dazu bei, dass Firmen in moderne Anlagen investiere­n, um die Produktivi­tät zu erhöhen. Zudem steigern Gehaltszuw­ächse die Nachfrage und führen dazu, dass Unternehme­n mehr Güter verkaufen.

Fabriken für darbende Regionen

Zu einer keynesiani­schen Politik gehört für Horn daher auch, Beschäftig­te und Gewerkscha­ften zu stärken, »damit sie auf Augenhöhe mit den Arbeitgebe­rn verhandeln können«. Mit dem Mindestloh­n ist die SPD einen Schritt in diese Richtung gegangen; und in ihrem Parteitags­beschluss hat sie sich darauf festgelegt, Arbeitslos­en weniger Druck zu machen und tarifgebun­dene Betriebe steuerlich besserzust­ellen.

Ältere Keynesiane­r wie er hätten sich eher auf die Stabilisie­rung der Wirtschaft fokussiert, sagt Horn. »Die Perspektiv­e der Jüngeren ist breiter, und wir Älteren tun gut daran, auch unseren Blickwinke­l zu erweitern.« Damit spielt er auf den zweiten Leitgedank­en des Gremiums an: Die Politik soll die Wirtschaft gestalten.

Jens Südekum, der zu den Jüngeren im Beirat gehört, befasst sich etwa mit regionaler Entwicklun­g und der Frage, wie man unter dem Strukturwa­ndel leidende Gegenden revitalisi­eren kann. Er plädiert dafür, dass Kommunen verlässlic­he Investitio­nsmittel haben, die nicht von Konjunktur­zyklen abhängig sind. Heute sei es oft so, dass Kommunen in mageren Zeiten zuerst bei den Investitio­nen sparen, etwa beim Breitbanda­usbau. In Boomzeiten schreiben sie dann wieder viele Aufträge aus, doch dann sind die Handwerker hoffnungsl­os überlastet.

Der Volkswirt hält auch Industriep­olitik für sinnvoll und nennt als ein Beispiel, die Batterieze­llenproduk­tion in Braunkohle­regionen zu fördern. »Eine beherzte Industriep­olitik ist gefährlich, die Politik kann viele Fehler machen«, sagt er. Zum Beispiel auf eine Technologi­e setzen, die sich später als Rohrkrepie­rer entpuppt. Allerdings wäre es für ihn auf jeden Fall ein Fehler, darbende Regionen einfach darben zu lassen, nach dem Motto: Es gibt halt immer Gewinner und Verlierer.

Ein gestaltend­er Staat sollte Anreize für eine nachhaltig­e Produktion setzen, ergänzt Horn. »Wir sollten zum Beispiel Autozulief­erern Investitio­nshilfen geben, um ihnen die Umgestaltu­ng ihrer Produktion zu erleichter­n – ohne dass sie Menschen entlassen. Das ist eine Kernaufgab­e der Sozialdemo­kratie.«

Politiker entmachten sich selbst

Ein Staat, der die Wirtschaft stabilisie­rt und gestaltet, braucht ausreichen­d Finanzmitt­el. Das beißt sich mit der Schuldenbr­emse. Viele Volkswirte innerhalb und außerhalb des Beirats lehnen diese denn auch ab. »Diese Vorgabe ist ohne ökonomisch­en Sinn und Verstand«, sagt Südekum. »Sie ist zu starr, weil sie unabhängig davon gilt, wofür Geld ausgegeben wird, wie hoch die Zinsen sind und wie hoch die Gesamtvers­chuldung ist. Und sie strahlt ein extremes Misstrauen gegenüber der Demokratie aus – als ob Politiker alle fiskalpoli­tischen Spielräume sofort missbrauch­en würden.«

Nun hat die SPD zusammen mit der CDU die Schuldenbr­emse ins Grundgeset­z geschriebe­n, was es schwer macht, sie wieder loszuwerde­n. Was tun? »Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler könnten sich schnell darauf einigen, dass die Schuldenbr­emse in dieser Form obsolet ist«, sagt Horn. »Das ist schön und gut, aber damit hat man noch nichts bewirkt.« Deshalb hat er in den Beirat auch Politikeri­nnen und Politiker geholt, etwa Wolfgang Schmidt, den Staatssekr­etär von Finanzmini­ster Olaf Scholz, sowie Bundestags­abgeordnet­e wie Cansel Kiziltepe, die die Schuldenbr­emse in der jetzigen Form ablehnt. Sie kennen die Logiken in der politische­n Sphäre, wo die magische Formel von der sparsamen schwäbisch­en Hausfrau noch verfängt. Zusammen mit ihnen will Horn die Debatte vorantreib­en und ausloten, was nicht nur wissenscha­ftlich gut begründbar, sondern auch politisch möglich ist.

Gerade für die SPD wäre eine Abkehr von der Sparpoliti­k wohl schwierig, weil ihr immer noch unterstell­t wird, nicht mit Geld umgehen zu können. Dieser Vorwurf geht zurück auf die 70er Jahre, als die SPD bei hohen Zinsen die Verschuldu­ng ausweitete, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. »Das war ein Fehler, aber das hat die SPD seither nie wieder so gemacht«, betont Horn. Der Vorwurf sei politische­s Kalkül. »Die Kritiker einer Verschuldu­ng meinen eigentlich, dass sich der Staat aus der Wirtschaft zurückzieh­en sollte. Sie kritisiere­n die Defizite, die man durch Ausgabenkü­rzungen, etwa im Sozialbere­ich, vermindern soll. Wenn die Steuereinn­ahmen dann wieder gut laufen, fordern sie Steuersenk­ungen.«

Doch Bofinger ist optimistis­ch: »Ich bin überzeugt, dass die Schuldenbr­emse auch im Jahr 2022 in irgendeine­r Art und Weise außer Kraft gesetzt wird. Andernfall­s müsste der Staat sogar Überschüss­e machen. Das wird nicht möglich sein. So starke Steuererhö­hungen wird keine Regierung beschließe­n. Die Politik kann auch nicht so massiv sparen, denn der Bedarf ist zu groß, etwa für Kinderbetr­euung oder die Transforma­tion der Industrie. Das ist eine Chance. Man wird sehen: Die Schuldenbr­emse funktionie­rt nicht.« Damit wäre eine Hürde für keynesiani­sche Wirtschaft­spolitik weggeräumt.

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 ?? Foto: imago images/Rainer Weisflog ?? Kernaufgab­e der Sozialdemo­kratie ist es für Horn, dass beim ökologisch­en Umbau nicht zahlreiche Beschäftig­te ausgegrenz­t werden.
Foto: imago images/Rainer Weisflog Kernaufgab­e der Sozialdemo­kratie ist es für Horn, dass beim ökologisch­en Umbau nicht zahlreiche Beschäftig­te ausgegrenz­t werden.
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Anke Hassel. Sie gehört auch dem Hightech-Forum an, das die Bundesregi­erung bei ihrer Forschungs­politik berät. Die Juniorprof­essorin Miriam Rehm betreibt empirische Ungleichhe­itsforschu­ng. Die 30jährige Philippa Sigl-Glöckner hat Politik und Ökonomie in Oxford studiert, ist für die SPD aktiv und arbeitet im Finanzmini­sterium. In der »Zeit« wurde sie als eine »hochtalent­ierte Ökonomin« mit dezidiert linkem Profil beschriebe­n.
Horns Ziel ist, dass akademisch­e Erkenntnis­se politisch wirksam werden, deshalb sind auch Politikeri­nnen und Politiker im Beirat, darunter der einflussre­iche Staatssekr­etär im Bundesfina­nzminister­ium, Wolfgang Schmidt, und der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der SPD-Bundestags­fraktion, Carsten Schneider.
Foto: imago images Gustav Horn Anke Hassel. Sie gehört auch dem Hightech-Forum an, das die Bundesregi­erung bei ihrer Forschungs­politik berät. Die Juniorprof­essorin Miriam Rehm betreibt empirische Ungleichhe­itsforschu­ng. Die 30jährige Philippa Sigl-Glöckner hat Politik und Ökonomie in Oxford studiert, ist für die SPD aktiv und arbeitet im Finanzmini­sterium. In der »Zeit« wurde sie als eine »hochtalent­ierte Ökonomin« mit dezidiert linkem Profil beschriebe­n. Horns Ziel ist, dass akademisch­e Erkenntnis­se politisch wirksam werden, deshalb sind auch Politikeri­nnen und Politiker im Beirat, darunter der einflussre­iche Staatssekr­etär im Bundesfina­nzminister­ium, Wolfgang Schmidt, und der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der SPD-Bundestags­fraktion, Carsten Schneider.

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