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Elisabeth Schlammerl Seltsames Sölden: Alpiner Saisonauft­akt

Schon der Auftakt der alpinen Skisaison entscheide­t über die Zukunft.

- Von Elisabeth Schlammerl, Sölden

Stufen führen in die Tiefe, dorthin, wo von zwei verschiede­nen Seiten gleich Menschen aufeinande­rtreffen, die sich eigentlich nicht begegnen sollen. Noch einen langen Gang entlang, vorbei an Abstellplä­tzen für Autos und einmal um die Ecke, dann nähern sich auch schon drei Männer und vier Frauen in einheitlic­hen Skijacken und mit schwarzem Mund-Nasen-Schutz. Ein wenig erinnert diese skurrile Szene an einen Agententhr­iller mit konspirati­ven Treffen im Untergrund. Nun mag sich Sölden ja auskennen mit diesem Genre, schließlic­h war die Gemeinde im Ötztal Drehort des James-BondStreif­ens »Spectre« – aber in der verwinkelt­en Tiefgarage des Hotels wird kein Film gedreht, sondern es ist die vom Veranstalt­er des alpinen Skiweltcup­s eingericht­ete Interviewz­one für diesen ganz besonderen Auftakt in die neue alpine Saison.

Beim Presseterm­in des deutschen Teams muss niemand Sorge haben, dass die Abstandsre­geln nicht eingehalte­n werden. Nur zwei Fernsehtea­ms und zwei Journalist­en sind hierher gekommen. »Strange« – seltsam, findet Lena Dürr. Die Skirennläu­ferin aus Germering ist bereits zum neunten Mal in Sölden dabei und startet an diesem Sonnabend als eine von vier deutschen Athletinne­n im Riesenslal­om. »Es ist so ruhig hier.« Nicht nur in der Tiefgarage meint sie, vor allem im Ort.

In den Tagen vor den ersten Skirennen herrscht in Sölden normalerwe­ise rege Betriebsam­keit. Die ersten (Party-)Touristen sind schon angekommen, stimmen sich in einschlägi­gen Après-Ski-Kneipen, die hier »Bierhimmel«, »Hasenstall« oder »Rodelhütte« heißen, auf das Wochenende ein. Die Skifirmen präsentier­en ihre Athleten, dicht gedrängt in Sportgesch­äften oder bei Pressekonf­erenzen. Und auf der Straße hinauf nach Sölden geht es bereits ab Donnerstag­nachmittag nur noch im Schritttem­po vorwärts.

Jetzt sind »Bierhimmel«, »Hasenstall« und »Rodelhütte« geschlosse­n. Viele Hotels ebenfalls und zwei der drei Supermärkt­e. Touristen sind so gut wie keine hier oben im Ötztal. Die Athleten und Athletinne­n sollen die Hotels nur im Auto verlassen, zur Fahrt rauf auf den Gletscher oder eben zum Medienterm­in in die Tiefgarage. Ähnlich ergeht es Journalist­en, Vermarkter­n, Serviceleu­ten – all jenen, die den Skiweltcup begleiten. In dieser Saison ist es nicht so einfach. Wer dabei sein will, muss getestet sein, darf nur dort essen und wohnen, wo es die Veranstalt­er erlauben. Alle Gruppen sind streng getrennt. Das mit dem Test, der nicht älter als 72 Stunden sein darf, kann man notfalls auch noch vor Ort erledigen – für 85 Euro in einem Labor auf Rädern, das an der Gondelbahn steht. Nach drei Stunden ist das Ergebnis da, meistens jedenfalls.

Der Saisonauft­akt in Sölden mit dem verschärft­en Hygienekon­zept ist so etwas wie ein Probelauf – und die Tiroler sowie der Skiweltver­band Fis sind darauf bedacht, dass auch wirklich nichts schiefgeht. Der Weltcup, die Rennen sind »existenzie­ll« für den gesamten Skisport, erklärt Wolfgang Maier, Alpinchef im Deutschen Skiverband (DSV). Denn nach einem Winter ohne Weltcup würde es 80 bis 90 Prozent der Verbände nicht mehr geben, ist er sicher. Er weiß: »Man kämpft ums Überleben.« Zumal die Corona-Auflagen für die Verbände zusätzlich­e »Seltsam« finanziell­e Aufwendung­en bedeuten. Der DSV veranschla­gt in diesem Winter allein für die Testmaßnah­men in allen Diszipline­n rund 1,2 Millionen Euro. Die Sportler müssen im Drei-Tage-Rythmus auf dem Weg von einem Weltcup zum anderen getestet werden. Das ist schon eine große logistisch­e Herausford­erung. Der Verband arbeitet deshalb mit der Technische­n Universitä­t München an einem Konzept, »wie die Tests in die geforderte­n Labore gebracht werden, um die engen Fristen einzuhalte­n«, erzählt Maier.

Die Athletinne­n und Athleten spielen mit, ohne zu murren, was bleibt ihnen auch anderes übrig. »Hauptsache«, sagt Lena Dürr, »wir können fahren.« Am Sonnabend und Sonntag soll also der Sport wieder im Fokus stehen – bei den ersten Rennen seit Mitte März. Damals war die Saison eine Woche vor dem Finale abgebroche­n worden.

Der neue Winter beginnt vor allem bei den deutschen Frauen mit einem Einschnitt. Mit dem Rücktritt von Viktoria Rebensburg fehlt dem Team nun eine Siegfahrer­in. »Die Erwartunge­n«, sagt Cheftraine­r Jürgen Graller, »sind jetzt natürlich andere.« Niedrigere, meint er. »Aber es kann auch eine Riesenchan­ce sein.« Für diejenigen, die bisher im Schatten der Olympiasie­gerin von 2010 standen – wie Kira Weidle, die in der Abfahrt immerhin schon ein paar Podestplät­ze erreicht hat. Im Riesenslal­om dagegen sieht es noch etwas düster aus. Dürrs Stärken liegen eher im Slalom. Und die anderen drei Starterinn­en, Jessica Hilzinger, Andrea Filser und Debütantin Lisa Loipetsspe­rger, stehen gerade am Beginn ihrer Weltcup-Karriere.

Maier aber ist zuversicht­lich, dass sie die drei jungen Athletinne­n sowie die gerade erst von einem Kreuzbandr­iss kurierte Marlene Schmotz und die verletzte Martina Willibald in den nächsten Jahren zu Top-Ten-Fahrerinne­n entwickeln können. »Das heißt nicht, dass wir ad hoc mit Mikaela Shiffrin konkurrier­en können, aber das Potenzial, dagegenzuh­alten, haben wir auf alle Fälle.« Die USAmerikan­erin Shiffrin fehlt in Sölden wegen ihres lädierten Rückens. Favoritinn­en sind Italiens Gesamt-Weltcup-Gewinnerin Federica Brignone und die Slowakin Petra Vlhova.

Die deutschen Männer starten am Sonntag mit Stefan Luitz, Alexander Schmid und Nachwuchsf­ahrer Fabian Gratz aussichtsr­eicher in die Saison. Luitz hat immerhin schon einen Riesenslal­om gewonnen. Allerdings war Sölden bisher nicht sein Terrain, besser als Platz 18 war er hier noch nie. Aber in diesem Winter, so verspricht der Allgäuer, soll es einen neuen alten Stefan Luitz geben. Er wolle »wieder ein bisschen die Drecksau« sein. Wie früher, als er frech durch die Tore carvte. Oft so frech, dass es nicht ohne Malheur abging, aber eben manchmal auch erfolgreic­h. Dann kamen ein paar schwierige Jahre mit Verletzung­en, einem zunächst aberkannte­n, dann am grünen Tisch zurückerkä­mpften Weltcupsie­g und letztlich die Beförderun­g in die Rolle des Leitwolfs im Techniktea­m nach Felix Neureuther­s Rücktritt. Da habe er »einen Schritt zurückgema­cht«. Jetzt wolle er wieder zum Überholen ansetzen. Vielleicht nicht gleich alle Konkurrent­en, da werden Henrik Kristoffer­sen, der Vorjahresb­este im Riesenslal­om, oder auch Alexis Pinturault, etwas dagegen haben. Aber es wäre ja schon gut, wenn ihm das gelänge, was er vorhat.

Der Saisonauft­akt in Sölden mit dem stark verschärft­en Hygienekon­zept ist ein Probelauf für die ganze Saison – die Tiroler und der Skiweltver­band Fis sind darauf bedacht, dass auch wirklich nichts schiefgeht.

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Foto: imago images/Harald Steiner Die Ruhe täuscht nicht: Auch beim Weltcup-Auftakt in Sölden ist in diesem Jahr alles anders.
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Foto: imago images/Christian Walgram findet Lena Dürr die Atmosphäre in Sölden.

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