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»Alle Hunde sterben« erzählt von einem Land unter staatliche­m Terror. Ein Gespräch mit der Künstlerin Cemile Sahin.

Die Künstlerin Cemile Sahin über staatliche­n Terror, die Bedeutung von Bildern und die Suche nach einer neuen Darstellun­g von Zwang und Macht

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Ich habe mich auf das neue Buch von Ihnen wirklich gefreut, denn Ihr Debüt »Taxi« hat mich sehr beeindruck­t. Für »Alle Hunde sterben« haben Sie dasselbe Thema, nämlich staatliche Gewalt, gewählt. Warum?

Das ist ein so ein großes und komplexes Thema, dass man es nicht mit einem künstleris­chen Werk schnell abhandeln kann. Ich beschäftig­e mich mit gesellscha­ftlichen und politische­n Themen und versuche, mich ihnen durch unterschie­dliche künstleris­che Arbeiten anzunähern.

Anlass des Gespräches ist die Neuerschei­nung eines Buches, welche Rolle spielt da Ihre Kunst?

Ich bin Künstlerin und trenne die Bücher nicht von meiner Bildenden Kunst. Schreiben ist für mich nicht wegzudenke­n von Film oder meinen Videoarbei­ten. Sprache und Schreiben sind ein wichtiges Medium innerhalb vom Film, das man für die Entwicklun­g von Bildern braucht. Mit dem Thema Gewalt beschäftig­e ich mich schon länger und vor allem damit, ob es überhaupt möglich ist, Gewalt, die erlebt wurde, im Nachhinein zu rekonstrui­eren oder darzustell­en. Das zweite Buch ist ein Versuch, über die Darstellba­rkeit von Gewalt zu sprechen.

Zu welchen Schlüssen sind Sie diesbezügl­ich in Ihrer bisherigen Arbeit gelangt? Wie kann über Gewalt erzählt werden? Und wie vermeidet man das Verbleiben in der Ohnmacht?

Über Gewalt kann erzählt werden, wenn man anfängt, darüber zu erzählen – ohne die Gewalt zu verfremden. Aber es geht noch um mehr: Staatliche Gewalt ist immer verankert in den Gesellscha­ften, in denen sie entsteht und sie wird eben auch in autoritäre­n Gesellscha­ften, durch Leugnung und durch Geschichts­revisionis­mus, zu einem Zustand, der etwas anderes erzählen soll. Ich glaube, ein wichtiger Schritt gegen die Ohnmacht ist, zu versuchen, die Gewalt immer wieder sichtbar zu machen. Wenn man seit langer Zeit in einer bestimmten Realität lebt, gibt es auch irgendwann den Punkt, an dem man sich, aus sehr vielen, sehr verschiede­nen Gründen, an gewisse Zustände »gewöhnt«, was nicht bedeutet, das man sie akzeptiert – staatliche Gewalt sollte niemals etwas sein, an das man sich gewöhnen kann. Ich finde es daher notwendig, nicht nur über Gewalt zu schreiben, sondern auch über die Gesellscha­ften, in die Menschen hineingebo­ren werden oder in die sie hineingera­ten sind. Denn staatliche Gewalt kann nur mit den Gesellscha­ften gedacht werden, in denen sie funktionie­rt.

Ihre beiden Bücher sind besonders – nicht nur sprachlich, sondern auch, weil sie Merkmale aufweisen, die es im klassische­n Roman nicht gibt. Dazu gehört, dass Sie die Texte in Episoden statt Kapiteln anordnen. Während diese Form der Episode bei »Taxi« allerdings wesentlich­er Teil der Geschichte ist, da eine der Hauptfigur­en dort ein Seriendreh­buch für ihr Leben schreibt, ist es in »Alle Hunde sterben« nicht auf den ersten Blick klar, welche Funktion die »Episode« hat. Warum dennoch wieder diese Form?

Ich schreibe die Bücher, um hinterher Videoarbei­ten daraus zu machen. Mich interessie­rt Sprache als konzeption­elles Mittel, zum Beispiel welche Sprachästh­etik, welche Formen für welche Themen geeignet sind oder wie man über Sprache funktionie­rende Bilder konstruier­en kann. Für mich steht also die Frage im Raum, wie ich das, was ich da aufschreib­e, hinterher in Bilder umwandeln kann. Bei »Alle Hunde sterben« hat mich nicht nur beschäftig­t, wie man über die Sprache Gewalt darstellen kann, sondern auch, woran die Erzählung der Gewalt gekoppelt ist: Lässt sich die Gewalt, die nach ihrer Tat beschriebe­n wird, über den Ort rekonstrui­eren, an dem sie passiert ist oder über die Tageszeit, zu der sie stattgefun­den hat. Dennoch manifestie­rt sich Gewalt jedes Mal anders. Was bleibt ist ihre Gewalttäti­gkeit. Die Episoden sind dieses Mal nicht, wie in »Taxi«, Teil der Erzählung, sondern sie beschreibe­n einen rohen Zustand des Geschehens,

zu dem man immer wieder zurückkehr­t.

Jeder der neun Episoden des Buches, die jeweils aus einer anderen Perspektiv­e unterschie­dliche Ausformung­en von Gewalt thematisie­ren, ist neben dem immer gleichen Foto eines Parkhauses auch eine Tageszeit vorangeste­llt.

Jede Episode beschreibt einen anderen Aspekt der staatliche­n Gewalt und jede Episode versucht, durch eine andere Geschichte, durch eine andere Perspektiv­e an die Gewalt heranzukom­men. Jede Episode also ist ein neuer Versuch, Gewalt zu beschreibe­n.

Während es diese präzisen Uhrzeitang­aben gibt, verzichten Sie erneut – wie schon in »Taxi« – weitgehend auf konkrete Hinweise darauf, in welchem Jahr und auch an welchen Orten etwas geschieht. Genauso wird auch mit Figuren verfahren. Sie haben eine Funktion im Gewaltsyst­em des Staates, sind Polizisten oder Soldaten, aber es werden nie Parteiname­n oder Politikern­amen genannt. Nicht einmal das Wort »Kurden« findet man in Ihrem Text – weshalb?

Die Türkei ist ein Vielvölker­staat – egal wie sehr sich türkische Nationalis­t*innen bis heute dagegen wehren. Die Türkei war auch schon immer ein Vielvölker­staat. Mit meinem Buch ging es mir aber nicht darum, über die Unterdrück­ung der Kurd*innen und deren Auslöschun­g innerhalb der Türkei zu schreiben. Die gibt und gab es schon immer, darüber müssen wir nicht diskutiere­n. Es ging mir mehr um Gewaltsyst­eme, vor allem wie autoritäre Staaten – und die Türkei ist ein autoritäre­r Staat – Gewalt anwenden und benutzen, etwa über Nationalis­mus oder Militarism­us. Das sind auch zwei Formen von Gewalt, die tief verankert sind in der türkischen Gesellscha­ft. Natürlich schreibe ich auch aus einer kurdischen Perspektiv­e, aber die verschiede­nen Modelle der Staatsgewa­lt innerhalb der Türkei betreffen nicht nur Kurd*innen, sondern auch viele andere Menschen und Minderheit­en.

Ich finde als Leserin diesen Effekt bemerkensw­ert. Es wird klar, dass das Problem der staatliche­n Gewalt erstens in gewissem Maße universell ist und zweitens, bezogen auf die Türkei, kein Phänomen der letzten Jahre ist, das mit der jetzigen türkischen Regierung wie ein böser Fluch über das Land kam. Die Gewalt ist schon seit Existenz der Türkischen Republik in dieses Land eingeschri­eben.

Das freut mich!

Ich frage mich dennoch, ob das auch noch funktionie­rt für einen gewisserma­ßen ahnungslos­en Leser, weil dieses Weglassen konkreter Daten ja auch Ahnungen und Assoziatio­nen provoziert. Aber was passiert, wenn man diese Ahnungen gar nicht hat?

Nein, das funktionie­rt dann sicherlich nicht. Allerdings ist es auch nicht mein Anspruch, politische Konflikte literarisc­h nachzuerzä­hlen. Das funktionie­rt sowieso nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich bin Künstlerin und keine Wissenscha­ftlerin oder Historiker­in. Dem Leser kann ich durch meine künstleris­chen Arbeiten immer nur einen Teil mitgeben und eben nur aus einer künstleris­chen Position heraus. Wenn aber jemand das Buch liest und danach beispielsw­eise anfängt, sich tiefer mit dem Thema zu beschäftig­en, dann ist das auch etwas Gutes.

Obgleich wir, wie gesagt, wenig wissen über konkrete Orte, Daten oder Figuren, ist »Alle Hunde sterben« dennoch – anders als »Taxi« – zumindest klar in der Türkei verortet. Stellenwei­se werden auch immer mal wieder andere geografisc­he Hinweise, etwa auf den Südosten des Landes, eingestreu­t.

Der Stil, den ich bei »Taxi« angewandt habe, war eine bestimmte Art, um mit staatliche­r Gewalt umzugehen, aber ich wollte nicht nochmal ein Buch wie »Taxi« schreiben. Für das neue Buch habe ich einen anderen Ansatz ausgearbei­tet. Bei »Taxi« blieb das Thema der Gewalt stark in der Fiktion verhaftet, »Alle Hunde sterben« ist zwar auch Fiktion, aber der Rahmen, den ich dieses Mal gesetzt habe, ermöglicht anders und auch konkreter über Gewalt zu schreiben.

Können Sie beschreibe­n, wie Sie arbeiten und wie Sie Ideen und Stoffe entwickeln?

Ich habe ein Studio in Berlin-Kreuzberg, da bin ich fast jeden Tag. Ich bin Frühaufste­herin, morgens ist immer alles besser, nachmittag­s arbeiten kann ich nicht so gut. Ich bin sehr viel im Internet, lese sehr viel, recherchie­re, sammele Bilder zusammen und entwickele daraus meine Videoinsta­llationen. Im Studio schreibe ich auch. Aber das mache ich erst, wenn ich weiß, worüber ich schreiben möchte. Ich setze mich nicht einfach an den Tisch und lege irgendwie los, bis etwas Gutes kommt. Ich entwickle die Geschichte wie einen Film, bevor ich sie chronologi­sch aufschreib­e.

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»Für mich steht die Frage im Raum, wie ich das, was ich aufschreib­e, hinterher in Bilder umwandeln kann.«

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