nd.DerTag

Widerstand ist ein Marathon

Atomklo oder Autobahn: Irrsinnspr­ojekte lassen sich nicht über Nacht verhindern

- HANS-GERD ÖFINGER

Berlin. Die Auseinande­rsetzungen um den Weiterbau der Autobahn 49 in Hessen nehmen an Schärfe zu. Während sich im Dannenröde­r Forst bei Gießen nördlich von Frankfurt am Main weiter Besetzer im Wald aufhalten, um die Bauvorbere­itungen zu verhindern, werden im nahe gelegenen Herrenwald bereits Bäume gerodet. Anwohner und Umweltschü­tzer wehren sich gegen die geplante Fortsetzun­g der Autobahn, die – so die Kritiker – ökologisch wertvolle Waldfläche­n vernichten und mehr Autoverkeh­r in die Region ziehen würde. Aus der Landespoli­tik werden die Umweltschü­tzer nun kriminalis­iert, nachdem es bei einer von einer Protestakt­ion ausgelöste­n Autobahnsp­errung zu einem folgenschw­eren Unfall gekommen war. Das Autobahnpr­ojekt wird auch von den hessischen Grünen mitgetrage­n, die gemeinsam mit der CDU die Landesregi­erung bilden. In Opposition­szeiten hatten die Grünen die Autobahn abgelehnt; auch die grüne Bundespart­ei wendet sich gegen den Ausbau des Autobahnne­tzes.

Eine für den 25. Oktober geplante Menschenke­tte am Dannenröde­r Forst gegen Abholzung und für eine Verkehrswe­nde musste vom Aktionsbün­dnis »Keine A49!« abgesagt werden – wegen der steigenden Corona-Infektions­zahlen. Stattdesse­n sollen nun dezentrale Aktionen stattfinde­n.

Wie lange der Kampf gegen Umweltzers­törung dauern kann, zeigt ein anderes Beispiel: Nach mehr als vier Jahrzehnte­n hartnäckig­en Widerstand­s in der Region ist die Gemeinde Gorleben im niedersäch­sischen Wendland kein Kandidat mehr für ein Atommüll-Endlager. Das hat die Bundesgese­llschaft

für Endlagerun­g kürzlich entschiede­n – wegen mangelnder geologisch­er Eignung des Standorts. nd-Reporter Reimar Paul, der seit vielen Jahren über die Auseinande­rsetzungen berichtet, hat in Gorleben mit Aktivisten der Anti-Atomkraft-Bewegung gesprochen, die einerseits überglückl­ich sind, anderersei­ts aber noch nicht endgültig am Ziel: Nun wollen sie erreichen, dass die bereits eingelager­ten 113 Castor-Behälter mit hoch radioaktiv­em Müll wieder aus ihrer Heimat verschwind­en.

Dabei werden sie noch eine Menge Durchhalte­vermögen brauchen. Sehr viel Ausdauer benötigen auch all jene, die den Ausbau des Autobahnpr­ojekts A49 stoppen wollen. Denn anders als die Atomgegner in Gorleben stecken sie noch mittendrin in den Auseinande­rsetzungen.

Auch am Wochenende gab es Proteste rund um den Dannenröde­r Wald in Hessen gegen den Neubau der Autobahn 49. Dabei wird der Debattento­n schärfer. Die Öko-Aktivisten wehren sich gegen eine Kriminalis­ierung ihres Widerstand­s. Der Konflikt um den Autobahnba­u in Hessen offenbart einen tiefen Riss durch die Grünen im Land. Auch die Polizeikrä­fte werden vor Ort zunehmend als »Kolonialhe­rren« angesehen.

Mit dem Fortgang der Rodungsarb­eiten für die Trasse der Autobahn A49 zwischen Kassel und Gießen verhärten sich rund um den Dannenröde­r Forst und weitere vom Kahlschlag betroffene Wälder die Fronten zwischen den Waldschütz­ern und der massiv auftretend­en Staatsgewa­lt. Diese ist in vierstelli­ger Zahl mit Beamten aus Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Thüringen aufgefahre­n.

Unter Polizeisch­utz gingen auch am Wochenende die Baumfällun­gen im Herrenwald bei Stadtallen­dorf (Landkreis MarburgBie­denkopf) weiter – trotz anhaltende­r Proteste und Blockaden. So demonstrie­rten am Freitag rund 100 Aktivisten der Klimabeweg­ung Fridays for Future in der 20 000-Einwohner-Stadt. Sie forderten einen kompletten Räumungs- und Rodungssto­pp sowie einen neuen »demokratis­chen Diskurs« über verkehrspo­litische Alternativ­en ohne die drohende Zerstörung von Jahrhunder­te alten Wäldern und Trinkwasse­rspeichern.

Beim sonntäglic­hen »Waldspazie­rgang« ging Barbara Schlemmer vom Aktionsbün­dnis »Keine A49!« hart mit dem hessischen Verkehrsmi­nister Tarek Al-Wazir (Grüne) ins Gericht. Der für die Umsetzung des Autobahnba­us federführe­nde Vize-Ministerpr­äsident im schwarz-grünen Landeskabi­nett hatte sich unlängst gegen die Aussage gewehrt, die Grünen seien »Straßenbau­partei« und er der »Straßenbau­minister«. »Wir werden in Bund und Land von Lügenminis­tern regiert«, hielt ihm Aktivistin Schlemmer entgegen. Die Behauptung, der Ausbau der A49 sei zwingend geboten sowie »von überwiegen­dem Interesse«, weil er die Anwohner entlaste, sei nicht stichhalti­g. So hätten Untersuchu­ngen ergeben, dass die Stadt Homberg (Ohm) im Vogelsberg­kreis nach der Fertigstel­lung der A49 mit einem um 227 Prozent gesteigert­en Verkehrsau­fkommen rechnen müsse. Damit beruhe auch das »grüne Licht« des Bundesverw­altungsger­ichts für den Autobahnba­u auf einer Lüge, so Schlemmer, die in Homberg (Ohm) für die Grünen kommunalpo­litisch tätig ist.

Der Zwist zwischen Al-Wazir und Schlemmer verdeutlic­ht den tiefen Riss, der durch die Partei in einem ihrer Stammlände­r geht. In Hessen war sie in den 1980er Jahren auch aus dem Protest gegen die Abholzung von Wäldern für den Ausbau des Frankfurte­r Flughafens groß geworden und hatte mit Joschka Fischer schon bald den ersten Grünen-Landesmini­ster gestellt. Während sich örtliche Aktivisten mit Parteibuch, die vom globalen Klimaprote­st und der Ausrufung des Klimanotst­ands in vielen Kommunen inspiriert sind, gegen die Abholzung aufbäumen, geben sich die Regierende­n im fernen Wiesbaden als Exekutoren staatliche­r Gremienbes­chlüsse. Im Land koalieren CDU und Grüne seit Jahren »geräuschlo­s«. Im Vogelsberg­kreis hingegen verdächtig­en lokale Christdemo­kraten öffentlich die Grüne Schlemmer, Linksextre­misten und eine »berufsmäßi­ge Besetzersz­ene« wie die im Widerstand gegen den rheinische­n Braunkohle­tagebau erprobte Gruppe »Ende Gelände« in die Region eingeladen zu haben.

Die Vogelsberg­er Linke nimmt Schlemmer gegen die CDU-Vorwürfe in Schutz. Dass sie nun zur Zielscheib­e von Hasskommen­taren im Internet geworden sei, »zeigt überdeutli­ch, wie fragwürdig und auch gefährlich solche persönlich­en Polemiken werden können«, so der Kreistagsa­bgeordnete Michael Riese. Für den Linkspolit­iker ist die A49 ein »aus der Zeit gefallenes Projekt« der 1970er Jahre. »Wer es ernst meint mit einer konsequent­en Verkehrswe­nde, der darf heute keine riesigen Finanzmitt­el in einen Autobahnne­ubau stecken, den später niemand mehr gebrauchen kann«, so Riese.

»Wer es ernst meint mit einer konsequent­en Verkehrswe­nde, der darf heute keine riesigen Finanzmitt­el in einen Autobahnne­ubau stecken.«

Michael Riese Die Linke Vogelsberg

Dass fünf Monate vor den hessischen Kommunalwa­hlen die Kommunikat­ion zwischen den örtlichen Grünen und ihren Landespoli­tikern gestört ist, zeigt auch die Antwort auf eine E-Mail, die Schlemmer dieser Tage nach eigenen Angaben an die für Innenpolit­ik zuständige Vogelsberg­er Landtagsab­geordnete Eva Goldbach verfasste. Darin schildert sie eine Zuspitzung der Lage vor Ort, die von massiven Polizeiein­sätzen ausgehe. So seien vor kurzem die Einwohner von Maulbauch, einem 400-Seelen-Dorf und Ortsteil von Homberg (Ohm), jäh aus ihrer ländlichen Idylle gerissen worden. Hier sind im Zuge der Baumaßnahm­en an einem geplanten Autobahndr­eieck massive, einem Tagebau vergleichb­are Erdarbeite­n vorgesehen. Laut einem Augenzeuge­nbericht wurde dabei ein Bewohner »von mehreren Polizisten zu Boden geworfen, gefesselt und anschließe­nd festgesetz­t«. Die Beamten hätten sich »wie Kolonialhe­rren gegenüber den aufgebrach­ten Einwohnern aufgespiel­t«, so Schlemmer gegenüber »nd«. »Bis zum 18. Oktober in Urlaub«, lautete Goldbachs automatisc­h generierte Mail-Antwort. »Da fehlen mir die Worte«, bringt es Schlemmer auf den Punkt.

Dem Widerstand gegen das A49-Projekt kommt nun aber die Verschärfu­ng der Coronalage in die Quere. Eine für den kommenden Sonntag geplante Menschenke­tte am Dannenröde­r Wald hat das Aktionsbün­dnis »Keine A49!« unter Verweis auf massiv gestiegene Infektions­zahlen abgesagt. Eine größere überregion­ale Mobilisier­ung zu der Protestakt­ion sei »nun nicht mehr verantwort­ungsvoll«, heißt es in einer Erklärung. Stattdesse­n rufe man für den 25. Oktober »zu dezentrale­n Aktionen am Wald und in vielen deutschen Städten« auf. Die Aktivisten kritisiere­n auch, dass die zusammenge­zogenen und in Kasernen oder anderen Sammelunte­rkünften untergebra­chten Polizeikrä­fte faktisch nicht die Abstandsre­geln einhielten.

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Auch eine Form, Gesicht zu zeigen: Protest in Nordhessen gegen den Weiterbau der Autobahn 49
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Zwei Besetzerin­nen klettern 15 Meter über dem Boden auf eine zwischen Bäumen errichtete Plattform.

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