Widerstand ist ein Marathon
Atomklo oder Autobahn: Irrsinnsprojekte lassen sich nicht über Nacht verhindern
Berlin. Die Auseinandersetzungen um den Weiterbau der Autobahn 49 in Hessen nehmen an Schärfe zu. Während sich im Dannenröder Forst bei Gießen nördlich von Frankfurt am Main weiter Besetzer im Wald aufhalten, um die Bauvorbereitungen zu verhindern, werden im nahe gelegenen Herrenwald bereits Bäume gerodet. Anwohner und Umweltschützer wehren sich gegen die geplante Fortsetzung der Autobahn, die – so die Kritiker – ökologisch wertvolle Waldflächen vernichten und mehr Autoverkehr in die Region ziehen würde. Aus der Landespolitik werden die Umweltschützer nun kriminalisiert, nachdem es bei einer von einer Protestaktion ausgelösten Autobahnsperrung zu einem folgenschweren Unfall gekommen war. Das Autobahnprojekt wird auch von den hessischen Grünen mitgetragen, die gemeinsam mit der CDU die Landesregierung bilden. In Oppositionszeiten hatten die Grünen die Autobahn abgelehnt; auch die grüne Bundespartei wendet sich gegen den Ausbau des Autobahnnetzes.
Eine für den 25. Oktober geplante Menschenkette am Dannenröder Forst gegen Abholzung und für eine Verkehrswende musste vom Aktionsbündnis »Keine A49!« abgesagt werden – wegen der steigenden Corona-Infektionszahlen. Stattdessen sollen nun dezentrale Aktionen stattfinden.
Wie lange der Kampf gegen Umweltzerstörung dauern kann, zeigt ein anderes Beispiel: Nach mehr als vier Jahrzehnten hartnäckigen Widerstands in der Region ist die Gemeinde Gorleben im niedersächsischen Wendland kein Kandidat mehr für ein Atommüll-Endlager. Das hat die Bundesgesellschaft
für Endlagerung kürzlich entschieden – wegen mangelnder geologischer Eignung des Standorts. nd-Reporter Reimar Paul, der seit vielen Jahren über die Auseinandersetzungen berichtet, hat in Gorleben mit Aktivisten der Anti-Atomkraft-Bewegung gesprochen, die einerseits überglücklich sind, andererseits aber noch nicht endgültig am Ziel: Nun wollen sie erreichen, dass die bereits eingelagerten 113 Castor-Behälter mit hoch radioaktivem Müll wieder aus ihrer Heimat verschwinden.
Dabei werden sie noch eine Menge Durchhaltevermögen brauchen. Sehr viel Ausdauer benötigen auch all jene, die den Ausbau des Autobahnprojekts A49 stoppen wollen. Denn anders als die Atomgegner in Gorleben stecken sie noch mittendrin in den Auseinandersetzungen.
Auch am Wochenende gab es Proteste rund um den Dannenröder Wald in Hessen gegen den Neubau der Autobahn 49. Dabei wird der Debattenton schärfer. Die Öko-Aktivisten wehren sich gegen eine Kriminalisierung ihres Widerstands. Der Konflikt um den Autobahnbau in Hessen offenbart einen tiefen Riss durch die Grünen im Land. Auch die Polizeikräfte werden vor Ort zunehmend als »Kolonialherren« angesehen.
Mit dem Fortgang der Rodungsarbeiten für die Trasse der Autobahn A49 zwischen Kassel und Gießen verhärten sich rund um den Dannenröder Forst und weitere vom Kahlschlag betroffene Wälder die Fronten zwischen den Waldschützern und der massiv auftretenden Staatsgewalt. Diese ist in vierstelliger Zahl mit Beamten aus Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Thüringen aufgefahren.
Unter Polizeischutz gingen auch am Wochenende die Baumfällungen im Herrenwald bei Stadtallendorf (Landkreis MarburgBiedenkopf) weiter – trotz anhaltender Proteste und Blockaden. So demonstrierten am Freitag rund 100 Aktivisten der Klimabewegung Fridays for Future in der 20 000-Einwohner-Stadt. Sie forderten einen kompletten Räumungs- und Rodungsstopp sowie einen neuen »demokratischen Diskurs« über verkehrspolitische Alternativen ohne die drohende Zerstörung von Jahrhunderte alten Wäldern und Trinkwasserspeichern.
Beim sonntäglichen »Waldspaziergang« ging Barbara Schlemmer vom Aktionsbündnis »Keine A49!« hart mit dem hessischen Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) ins Gericht. Der für die Umsetzung des Autobahnbaus federführende Vize-Ministerpräsident im schwarz-grünen Landeskabinett hatte sich unlängst gegen die Aussage gewehrt, die Grünen seien »Straßenbaupartei« und er der »Straßenbauminister«. »Wir werden in Bund und Land von Lügenministern regiert«, hielt ihm Aktivistin Schlemmer entgegen. Die Behauptung, der Ausbau der A49 sei zwingend geboten sowie »von überwiegendem Interesse«, weil er die Anwohner entlaste, sei nicht stichhaltig. So hätten Untersuchungen ergeben, dass die Stadt Homberg (Ohm) im Vogelsbergkreis nach der Fertigstellung der A49 mit einem um 227 Prozent gesteigerten Verkehrsaufkommen rechnen müsse. Damit beruhe auch das »grüne Licht« des Bundesverwaltungsgerichts für den Autobahnbau auf einer Lüge, so Schlemmer, die in Homberg (Ohm) für die Grünen kommunalpolitisch tätig ist.
Der Zwist zwischen Al-Wazir und Schlemmer verdeutlicht den tiefen Riss, der durch die Partei in einem ihrer Stammländer geht. In Hessen war sie in den 1980er Jahren auch aus dem Protest gegen die Abholzung von Wäldern für den Ausbau des Frankfurter Flughafens groß geworden und hatte mit Joschka Fischer schon bald den ersten Grünen-Landesminister gestellt. Während sich örtliche Aktivisten mit Parteibuch, die vom globalen Klimaprotest und der Ausrufung des Klimanotstands in vielen Kommunen inspiriert sind, gegen die Abholzung aufbäumen, geben sich die Regierenden im fernen Wiesbaden als Exekutoren staatlicher Gremienbeschlüsse. Im Land koalieren CDU und Grüne seit Jahren »geräuschlos«. Im Vogelsbergkreis hingegen verdächtigen lokale Christdemokraten öffentlich die Grüne Schlemmer, Linksextremisten und eine »berufsmäßige Besetzerszene« wie die im Widerstand gegen den rheinischen Braunkohletagebau erprobte Gruppe »Ende Gelände« in die Region eingeladen zu haben.
Die Vogelsberger Linke nimmt Schlemmer gegen die CDU-Vorwürfe in Schutz. Dass sie nun zur Zielscheibe von Hasskommentaren im Internet geworden sei, »zeigt überdeutlich, wie fragwürdig und auch gefährlich solche persönlichen Polemiken werden können«, so der Kreistagsabgeordnete Michael Riese. Für den Linkspolitiker ist die A49 ein »aus der Zeit gefallenes Projekt« der 1970er Jahre. »Wer es ernst meint mit einer konsequenten Verkehrswende, der darf heute keine riesigen Finanzmittel in einen Autobahnneubau stecken, den später niemand mehr gebrauchen kann«, so Riese.
»Wer es ernst meint mit einer konsequenten Verkehrswende, der darf heute keine riesigen Finanzmittel in einen Autobahnneubau stecken.«
Michael Riese Die Linke Vogelsberg
Dass fünf Monate vor den hessischen Kommunalwahlen die Kommunikation zwischen den örtlichen Grünen und ihren Landespolitikern gestört ist, zeigt auch die Antwort auf eine E-Mail, die Schlemmer dieser Tage nach eigenen Angaben an die für Innenpolitik zuständige Vogelsberger Landtagsabgeordnete Eva Goldbach verfasste. Darin schildert sie eine Zuspitzung der Lage vor Ort, die von massiven Polizeieinsätzen ausgehe. So seien vor kurzem die Einwohner von Maulbauch, einem 400-Seelen-Dorf und Ortsteil von Homberg (Ohm), jäh aus ihrer ländlichen Idylle gerissen worden. Hier sind im Zuge der Baumaßnahmen an einem geplanten Autobahndreieck massive, einem Tagebau vergleichbare Erdarbeiten vorgesehen. Laut einem Augenzeugenbericht wurde dabei ein Bewohner »von mehreren Polizisten zu Boden geworfen, gefesselt und anschließend festgesetzt«. Die Beamten hätten sich »wie Kolonialherren gegenüber den aufgebrachten Einwohnern aufgespielt«, so Schlemmer gegenüber »nd«. »Bis zum 18. Oktober in Urlaub«, lautete Goldbachs automatisch generierte Mail-Antwort. »Da fehlen mir die Worte«, bringt es Schlemmer auf den Punkt.
Dem Widerstand gegen das A49-Projekt kommt nun aber die Verschärfung der Coronalage in die Quere. Eine für den kommenden Sonntag geplante Menschenkette am Dannenröder Wald hat das Aktionsbündnis »Keine A49!« unter Verweis auf massiv gestiegene Infektionszahlen abgesagt. Eine größere überregionale Mobilisierung zu der Protestaktion sei »nun nicht mehr verantwortungsvoll«, heißt es in einer Erklärung. Stattdessen rufe man für den 25. Oktober »zu dezentralen Aktionen am Wald und in vielen deutschen Städten« auf. Die Aktivisten kritisieren auch, dass die zusammengezogenen und in Kasernen oder anderen Sammelunterkünften untergebrachten Polizeikräfte faktisch nicht die Abstandsregeln einhielten.