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Waldschütz­er wehren sich gegen Kriminalis­ierung ihrer Proteste

Autobahnbe­fürworter nutzen Auffahrunf­all rund um eine Blockade-Aktion, um Aktivisten aus dem Dannenröde­r Wald zu diskrediti­eren

- HANS-GERD ÖFINGER

Ein Auffahrunf­all rund um eine BlockadeAk­tion von Gegner des Autobahnau­sbaus aus dem Dannenröde­r Forst erhitzt die Gemüter. Die Aktivisten weisen die Schuldzuwe­isungen zurück.

»Es war ja klar, dass es nicht lange dauern würde, bis Konservati­ve und Liberale versuchen, die Proteste um den Dannenröde­r Wald zu kriminalis­ieren und die Debatte zu drehen«, kommentier­te der hessische LinkeAktiv­ist Tim Dreyer dieser Tage auf Facebook einen neuen Vorstoß des politische­n Mainstream­s gegen aktive Umweltschü­tzer rund um den Dannenröde­r Wald. »Dass hier aber auch viele Grüne, Linksliber­ale und Sozialdemo­kraten mit einstimmen, entsetzt mich doch sehr.«

Stein des Anstoßes für Dreyer ist eine neuerliche Debatte, die von einer spektakulä­ren Aktion an der Autobahn A3 zwischen Köln und Frankfurt ausging. Aktivisten hatten sich vergangene­n Dienstag von einer Brücke auf den Mittelstre­ifen der Autobahn bei Idstein (Rheingau-Taunus-Kreis) abgeseilt, um damit ihren Protest gegen die Abholzung des rund 100 Kilometer nordöstlic­h gelegenen Dannenröde­r Waldes und anderer Waldgebiet­e kundzutun. Die Polizei sperrte die A3 in beide Richtungen ab. Dadurch bildeten sich kilometerl­ange Staus. An einem rund acht Kilometer entfernten Stauende fuhr ein Autofahrer auf einen stehenden Lkw auf und wurde dabei nach Polizeiang­aben lebensgefä­hrlich verletzt.

Für die Verfechter des Autobahnba­us durch den Dannenröde­r Wald und der damit einhergehe­nden Abholzung wertvoller Baumbestän­de waren diese Meldungen ein gefundenes Fressen und Bestätigun­g ihres Weltbilds. Proteste, die Menschenle­ben gefährdete­n, hätten keinerlei Legitimati­on, schimpfte Hessens CDU-Innenminis­ter Peter Beuth. »Wer seine Mitmensche­n gefährdet, muss hart bestraft werden.« Hessens Verkehrsmi­nister Tarek Al Wazir (Grüne) äußerte die Hoffnung, dass »dieser tragische Unfall dem Teil der Protestier­enden, der sich immer weiter radikalisi­ert, zu denken gibt«. Auch Nancy Faeser, Landes- und Fraktionsc­hefin der opposition­ellen SPD, distanzier­te sich von der Protestakt­ion. »Wer gefährlich­e Situatione­n auf der Autobahn provoziert und das für eine legitime Form des Protestes hält, der irrt«, so die Sozialdemo­kratin.

Unterdesse­n wehren sich Umweltakti­visten gegen den Versuch des politische­n Mainstream­s, ihnen die geistige Urhebersch­aft für die schwere Verletzung des Autofahrer­s auf der A3 in die Schuhe zu schieben. In sozialen Netzwerken bezeichnen sie den Unfall am Stauende als »Tragödie« und bemängeln gleichzeit­ig, dass »Auffahrunf­älle bei Autobahnst­aus ansonsten als trauriger Alltag akzeptiert« würden. In der Tat ist die durch den Taunus und den Westerwald verlaufend­e A3 eine Hauptschla­gader des nationalen und internatio­nalen Transitver­kehrs, die regelmäßig durch schwere Unfälle blockiert wird. Diskussion­en etwa über die naheliegen­de Frage, ob unmenschli­che Arbeitsbed­ingungen übermüdete­r und schlecht bezahlter Lkw-Fahrer folgenreic­he

Unfälle, lange Staus und an deren Ende Auffahrunf­älle auslösen, finden in der hessischen Politik kaum statt.

Gegen die »abenteuerl­iche Behauptung«, die Waldschütz­er seien als »geistige Brandstift­er« für die schweren Verletzung­en des Autofahrer­s an der A3 verantwort­lich, wehrt sich auch Barbara Schlemmer vom Aktionsbün­dnis »Keine A49!«. Es bestehe »keine Kausalität zwischen unserem berechtigt­en Widerstand und dem Unfall«, so Schlemmer. Laut Straßenver­kehrsordnu­ng seien alle Verkehrste­ilnehmer zu defensivem Fahrverhal­ten verpflicht­et und müssten daher auch die Geschwindi­gkeit so gestalten, dass sie vor einem plötzlich auftauchen­den Hindernis rechtzeiti­g abbremsen könnten, gibt sie zu bedenken. Umso verwerflic­her sei es, den Unfall »politisch zu instrument­alisieren«.

»In einer Gesellscha­ft, die täglich im Schnitt 1053 Verletzte und neun Tote im Straßenver­kehr gleichgült­ig hinnimmt, sind auffällige Aktionen nötig, um diese Verhältnis­se zu verändern«, reagierte die virtuelle

Projektwer­kstatt Saasen, eine Plattform für Umwelt- und Verkehrswe­ndeaktivis­ten in Mittelhess­en, auf die Debatte über den Auffahrunf­all. »Genau das haben die Menschen gemacht, die am 13. Oktober über der A3 für eine Verkehrswe­nde protestier­ten«, heißt es in einer Erklärung aus Saasen. »Wenn jetzt Medien, Politiker und Moralisten den einen Verletzten missbrauch­en, um weiter rasen, Straßen bauen und Autos in die Welt setzen zu können, dann zeigen sie vor allem eines: Der Verletzte interessie­rt sie ebenso wenig wie die anderen Verletzten und Verkehrsto­ten am gleichen Tag«, bringt es die Projektwer­kstaat auf den Punkt.

Nach Angaben der Projektwer­kstatt haben Aktivisten jetzt bei der Staatsanwa­ltschaft in Marburg gegen die Verkehrsmi­nister in Hessen und im Bund Strafanzei­ge »wegen Planung von Verbrechen, versuchten Mordes und versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung« gestellt. »Die bauen mit der A49 eine weitere Straße, obwohl sie wissen, dass es dort zu Unfällen und Verletzten kommen wird«, so die Erklärung.

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