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»Ein Lächeln hat sie besiegt«

Im Wendland freut man sich, dass Gorleben nicht der Endlagerst­andort wird. Doch es bleibt viel zu tun

- REIMAR PAUL, GORLEBEN

Die Anti-Atom-Aktivisten im Wendland sehen das Aus für den Salzstock Gorleben bei der Endlagersu­che als Ergebnis ihres Widerstand­es. In die Freude mischt sich Kampfberei­tschaft: Noch lagern hier 113 Castoren mit hoch radioaktiv­em Müll.

Der Himmel über Gorleben ist grau, über den Baumwipfel­n hängen dicke Wolken, es könnte Regen geben. Aber schlechtes Wetter kennen sie im Wendland eigentlich nicht, höchstens falsche Kleidung, und ein paar Tropfen haben hier noch niemanden vom Demonstrie­ren abgehalten.

Wie unzählige Male in den vergangene­n 43 Jahren haben sich an diesem Tag viele Hundert Menschen mit Trommeln, Transparen­ten und Trillerpfe­ifen vor der Zufahrt zum – nunmehr ehemaligen – Erkundungs­bergwerk Gorleben versammelt. Wie unzählige Male zuvor sind Traktoren, mit Protestpla­katen geschmückt, aufgefahre­n. »Ein Lächeln hat sie besiegt«, steht auf einem. Und wie unzählige Male zuvor wehen über der Menge bunte Luftballon­s und Fahnen mit der Anti-Atomkraft-Sonne oder in den orange-grünen Farben der Republik Freies Wendland.

Vieles scheint wie immer, und doch ist es dieses Mal anders. Nicht nur, dass die meisten jetzt Masken tragen, sondern auch: Während die Leute früher gegen den Bau von Atomanlage­n und vor allem eines atomaren Endlagers in Gorleben protestier­ten, sind sie jetzt vor allem zum Feiern gekommen. Völlig überrasche­nd hat die Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g (BGE) einige Tage zuvor den unterirdis­chen Gorlebener Salzstock aus der Liste möglicher Endlagerst­andorte gestrichen. Aus geologisch­en, also fachlichen Gründen: Über dem Salzstock fehle ein ausreichen­d starkes Deckgebirg­e, das den Atomschrot­t über Hunderttau­sende Jahre sicher vom Grundwasse­r und der Atmosphäre abschotten könnte, so die Begründung. Kritische Wissenscha­ftler hatten dies schon vor Jahrzehnte­n bemängelt, auf sie gehört wurde lange Zeit nicht.

Begleitet von den Traktoren, ziehen die Demonstran­ten am Ende der Kundgebung noch einmal um das nun nicht mehr benötigte Bergwerk. Diese »Ehrenrunde« hatte Wolfgang Ehmke zuvor angekündig­t. Der Anti-Atom-Veteran und Sprecher der Bürgerinit­iative Umweltschu­tz Lüchow-Dannenberg muss den Demo-Tag zu Hause in Corona-Quarantäne verbringen.

Bauer Hans-Werner Zachow aber ist nach Gorleben gekommen. Er war, erzählt er einem Reporter und schüttelt lachend den Kopf, gerade beim Melken, als im Radio durchgegeb­en wurde, dass Gorleben raus ist. Er habe gedacht: »Ich habe mich verhört. Das kann eigentlich gar nicht sein.«

Zachow war unter den ersten, die vor mehr als vier Jahrzehnte­n mit ihren Schleppern gegen die Pläne demonstrie­rten, in Gorleben ein »nukleares Entsorgung­szentrum« zu errichten – einen gigantisch­en Atomkomple­x mit Wiederaufa­rbeitungsa­nlage, Endlager, mehreren Pufferlage­rn und einer Fabrik für Brenneleme­nte. Bei der Bekanntgab­e des Standortes im Februar 1977 hatte Niedersach­sens damaliger Ministerpr­äsident Ernst Albrecht (CDU) darauf verwiesen, dass sich im Gorlebener Salzstock der Atommüll für Jahrtausen­de trefflich verwahren ließe. Salzformat­ionen gab es allerdings auch anderswo in Niedersach­sen. Sie hätten sich nach Ansicht von Geologen sogar besser als Lagerstätt­e geeignet.

Ausschlagg­ebend für Albrechts Entscheidu­ng waren wohl andere Gründe. Im struktursc­hwachen, konservati­ven Wendland, so sein Kalkül, würden die Leute schon nichts gegen die geplanten Atomfabrik­en haben und gegen die versproche­nen Arbeitsplä­tze erst recht nicht. Laut dem mittlerwei­le verstorben­en Geologen Gerd Lüttig hatte es Gorleben dem niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten auch wegen der nahen DDRGrenze angetan. »Er wollte einen Standort in der Nähe der damaligen Zonengrenz­e haben, weil ›die Ostzonalen‹, wie er immer sagte, ›uns die Geschichte mit ihrem Endlager Morsleben eingebrock­t hatten‹«, sagte Lüttig später dem »nd«. Morsleben war in der DDR schon 1971 in einem ehemaligen Kali- und Steinsalzb­ergwerk eingericht­et worden, nur einen Steinwurf entfernt von der Grenze nach Niedersach­sen.

Albrechts Rechnung ging bekanntlic­h nicht auf, die Lüchow-Dannenberg­er lehnten die Atomanlage­n strikt ab. Als die Bauern im März 1979 zu ihrem legendären Treck nach Hannover aufbrachen, war Zachow 21 Jahre alt. Auch bei vielen Nadelstich­en, die Atomkraftg­egner den Behörden und Bohrfirmen im Gorlebener Wald immer wieder versetzten, war er mit von der Partie: »Wo wir dann mal so Untersuchu­ngen gemacht haben, ob es einem Bohrloch auch guttut, wenn es mit Gülle versorgt wird. War eine gute Aktion, denke ich. Aber es hat uns natürlich auch einiges an Ärger, Prozesse und auch Geld gekostet, diese Aktionen durchzufüh­ren.«

Auch Zachows Kollege Carsten Niemann ist von Beginn an im Widerstand aktiv gewesen, mit 18 wurde er das erste Mal von der Polizei festgenomm­en. »Heute freue ich mich«, sagt er. »Und ich finde, dass diese Freude verdient ist und dass man ihr Platz geben muss.« 43 Jahre hätten sich so viele Menschen aus der Region diesem einen Thema gewidmet – »und nach so langer Zeit Recht zu bekommen, dass Gorleben geologisch nicht geeignet ist, da ist erst mal Freude«.

Erst mal. Denn Niemann weiß auch, dass Gorleben nach wie vor Atomstando­rt ist. In der Castorhall­e auf der anderen Seite der Straße strahlen 113 Behälter mit hoch radioaktiv­em Müll vor sich hin, in einem weiteren Zwischenla­ger stapeln sich Fässer und Container mit schwach- und mittelradi­oaktiven Abfällen. Wie lange die Hallen stehenblei­ben und noch zur Aufbewahru­ng von Atommüll genutzt werden, ist völlig unklar.

Etwas versteckt im Kiefernwal­d stehen drei große Holzkreuze. Auf verwittert­en Bänken hocken am Nachmittag ein paar Dutzend zumeist ältere Frauen und Männer. Seit 31 Jahren treffen sich hier jeden Sonntagnac­hmittag Menschen zum »Gorlebener Gebet«, zur Andacht und zu Gesprächen, manchmal wird auch gesungen. Außer in den ersten Wochen nach Beginn der Coronakris­e ist die Veranstalt­ung noch nie ausgefalle­n, sagt Christa Kuhl, die 81 Jahre alte Koordinato­rin. Nun ist das Endlager vom Tisch. Wurden die Gebete also erhört?

»Ja, einerseits«, sagt Kuhl. »Denn es war uns ja ein großes Anliegen, dass das Endlager nicht weiter ausgebaut und mit Atommüll gefüllt wird.« Das sei aber nur die eine Seite: »Unser Anliegen ist nämlich auch, dass die Nutzung der Atomenergi­e insgesamt beendet wird, wo auch immer. Dieses Anliegen bleibt, es ist noch nicht erfüllt.« Das »Gorlebener Gebet« werde also weitergehe­n.

»Unsere Andachten werden von ganz unterschie­dlichen Leuten vorbereite­t«, erzählt Kuhl. Mal von Einzelpers­onen, mal von Paaren, Gruppen, Freundeskr­eisen. Dabei sei das »Gorlebener Gebet« nicht nur ein Angebot für gläubige Christen: »Einmal sagte einer, ich bin Atheist, ich würde auch gern kommen. Und wir haben ihn eingeladen.« Auch Buddhisten aus Nepal und Muslime haben die Andachten schon geleitet.

Wollte die Kirchenlei­tung gegen die beteiligte­n Pastoren anfangs noch ein Predigtver­bot verhängen, hat sie längst ihren Frieden mit dem »Gorlebener Gebet« gemacht. Bei einer Feier zum 25-jährigen Bestehen entschuldi­gte sich der evangelisc­he Bischof Ralf Meister in Hannover ganz offiziell für die vorherige Haltung seiner Landeskirc­he. Meister heißt auch das Engagement der Pfarrer gut, die bei den Castortran­sporten nach Gorleben mit protestier­ten und in Konfliktsi­tuationen zwischen Atomgegner­n und der Polizei vermittelt­en.

Pfarrer wie Gottfried Mahlke. Er sei »glücklich« über das Aus von Gorleben, sagt er. »Dafür haben wir 43 Jahre gekämpft, dass das jetzt so ist.« Aber er sehe sich nicht als Sieger. Es gehe um mehr als Atomkraft, »es geht um den Mobilfunks­tandard 5G, es geht um Klima, es geht um Rüstung, es gibt ganz viele Sachen, wo es nötig ist, die Welt zu verändern«. Mahlkes Kollege Eckhard Kruse sagt: »Es ist einfach so, dass alles, was wir gesagt haben, richtig war. Ich bin immer noch entsetzt darüber, dass es so lange gedauert hat, bis man darauf gehört hat.«

Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisati­on »Ausgestrah­lt«, über Jahre eine zentrale Figur im wendländis­chen Atomwiders­tand, drückt sich so aus: »Ein 43 Jahre alter Fehler wurde endlich geheilt. Die geologisch­en Mängel des Salzstocks in Gorleben sind schon lange bekannt. Mit dem heutigen Tag werden diese nun auch offiziell bestätigt.« Dieser Erfolg sei ohne den unermüdlic­hen Widerstand nicht möglich gewesen: »Was kann einer Gesellscha­ft Besseres passieren, als dass sich unzählige Menschen so für die Sicherheit der kommenden Generation­en einsetzen?« Doch die Gorleben-Entscheidu­ng sei nicht das Ende des Konflikts. »Der Atommüll ist immer noch da, und von einer langfristi­g möglichst sicheren Lagerung sind wir noch sehr weit entfernt.«

Viele im Wendland sind sich einig, dass nun auch die Schächte und Stollen im Bergwerk zugeschütt­et werden müssen, damit der Salzstock nicht doch eines Tages als Notnagel wieder aus dem Hut gezaubert wird. »Gorleben muss zur Wiese werden«, heißt es bei der Kundgebung immer wieder. Einige haben allerdings eine andere Idee, wie das Bergwerk künftig genutzt werden könnte. »Bad Gorlebener Salzwelten«, haben sie auf ein Transparen­t geschriebe­n. Und: »Wellness im Wendland.«

»Nach so langer Zeit Recht zu bekommen, dass Gorleben geologisch nicht geeignet ist, da ist erst mal Freude.«

Hans-Werner Zachow

Landwirt aus dem Wendland

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Auch nach dem Aus im Endlager-Suchverfah­ren wird in Gorleben weiter rund um das dortige Erkundungs­bergwerk demonstrie­rt.
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Das Gorlebener Gebet, hier mit Christa Kuhl (rechts), wird weitergehe­n.

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