nd.DerTag

Ein Angriff auf die Demonstrat­ionsfreihe­it

Prozesse zum Hamburger G20-Gipfel könnten weitreiche­nde Auswirkung­en haben

- PETER NOWAK

Bald stehen Aktivist*innen vor Gericht, denen vorgeworfe­n wird, sich am Rande des G20-Gipfels an einer Demonstrat­ion beteiligt zu haben, aus der heraus Steine auf Polizeibea­mte geworfen wurden.

Am 3. Dezember beginnt vor dem Hamburger Landgerich­t eine Prozessser­ie, die Rechtsgesc­hichte schreiben könnte. Angeklagt sind in dem Mammutproz­ess insgesamt 80 Personen, denen Straftaten im Rahmen der Proteste gegen den G20-Gipfel im Juli 2017 vorgeworfe­n werden. Den Auftakt macht ein Verfahren gegen fünf Menschen, die zur Tatzeit noch minderjähr­ig waren. Es handelt sich um das sogenannte Rondenbarg-Verfahren. Benannt ist es nach einer Straße in Hamburg-Bahrenfeld. Dort hatten sich in den frühen Morgenstun­den des 7. Juli 2017 Demonstran­t*innen versammelt, um gemeinsam den Gipfel zu stören. Bei einem Polizeiein­satz wurden zahlreiche Aktivist*innen verletzt, zwölf von ihnen schwer. Es wurden aber nur die Demonstran­t*innen angeklagt. Bei einer Podiumsdis­kussion am Samstag in Berlin erklärte die Hamburger Rechtsanwä­ltin Gabriele Heinecke, die mehrere Angeklagte vertritt, warum das Verfahren nicht die Betroffene­n, sondern auch die zivilgesel­lschaftlic­he Öffentlich­keit interessie­ren solle.

Das staatsanwa­ltliche Konstrukt sieht nicht vor, individuel­le strafbare Handlungen nachzuweis­en. Allein die Anwesenhei­t der Beschuldig­ten vor Ort genüge, um ein gemeinsame­s Tathandeln zu unterstell­en, und soll für eine Verurteilu­ng ausreichen. So werden auch den Beschuldig­ten keine konkreten Straftaten zugeordnet. »Falls sich diese Rechtsauff­assung durchsetze­n sollte, wäre künftig jede Teilnahme an einer Demonstrat­ion mit enormen Kriminalis­ierungsris­iken verbunden. Straftaten Einzelner könnten allen vor Ort befindlich­en Personen zugeschrie­ben werden«, warnt Heinecke.

»Ostentativ­es Mitmarschi­eren« wäre dann Grund für eine Verurteilu­ng. Damit würde der 1970 abgeschaff­te Landfriede­nsparagraf faktisch wieder eingeführt, warnte Heinecke. Sie erinnerte unter Applaus daran, dass 1970 Tausende Apo-Aktivist*innen amnestiert wurden, die nach den Landfriede­nsparagraf­en angeklagt waren. Das könnte ein Vorbild für die G20-Prozesse sein. Doch Heinecke erinnert auch daran, dass es damals eine starke außerparla­mentarisch­e Bewegung gab, die Druck gemacht hat. Mittlerwei­le hat sich zu den Hamburger Verfahren das bundesweit­e Bündnis »Gemeinscha­ftlicher Widerstand« gegründet. Dort arbeiten neben Antifagrup­pen und der Solidaritä­tsorganisa­tion Rote Hilfe auch die Interventi­onistische Linke sowie der Studierend­enverband Die Linke.SDS und die Linksjugen­d Solid mit. In Hamburg und Nordrhein-Westfalen hat sich auch die Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi kritisch mit den Repression­en in Hamburg befasst.

Ein Vertreter der Roten Hilfe erinnerte in Berlin daran, dass erst ein Polizist wegen seines Einsatzes in Hamburg verurteilt wurde. Er hatte einen Kollegen geschlagen, der in Zivil in der Demonstrat­ion mitgelaufe­n war. Obwohl Polizeigew­alt bei den G20Protest­en vielfach dokumentie­rt worden ist, kam es bisher zu keinen weiteren Verfahren gegen Polizist*innen. Ein Angeklagte­r betonte, dass die beste Antirepres­sionsarbei­t darin bestehe, linke Strukturen auszubauen. Es gehe auch in den Prozessen darum, linke Inhalte zu verteidige­n, die kriminalis­iert werden. Erschwert wird die Solidaritä­tsarbeit in der ersten Prozessrun­de, weil das Verfahren der Jugendlich­en unter Ausschluss der Öffentlich­keit stattfinde­t. Am Samstag vor Prozessbeg­inn, am 28. November, sind Solidaritä­tsdemonstr­ationen in Berlin und Braunschwe­ig geplant.

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