nd.DerTag

Staatseins­tieg, Verkauf oder Weiter so

3000 Mitarbeite­r von Thyssen-Krupp demonstrie­rten für eine Beteiligun­g des Landes

- SEBASTIAN WEIERMANN

Beim angeschlag­enen Konzern ThyssenKru­pp spitzt sich die Lage zu. Die Stahlspart­e macht Verluste. Nun droht ein Verkauf, wenn der Staat nicht einsteigt.

Eigentlich sollte bei Thyssen-Krupp alles besser werden. Anfang des Jahres verkaufte der Konzern aus dem Ruhrgebiet seine profitable Aufzugspar­te für 17 Milliarden Euro. Das Geld war dafür vorgesehen, die im Konzern verblieben­en Unternehme­nssparten zu sanieren. Auch sollte die Stahlprodu­ktion »grün« werden. Landes- und Bundespoli­tiker informiert­en sich vor einigen Wochen am Standort Duisburg über ein neues Verfahren, bei dem Stahl mit Wasserstof­f hergestell­t werden soll. Thyssen-Krupp will damit Vorreiter für die emissionsf­reie Industriep­roduktion der Zukunft werden.

Dieser Wandel ist jetzt in Gefahr, denn der Verbleib der Stahlspart­e, mit der einst bei Thyssen und bei Krupp alles anfing, scheint höchst fraglich. 700 Millionen Euro Verlust gab es im Stahlberei­ch bislang in diesem Jahr. Die deutsche Autoindust­rie nimmt, auch corona-bedingt, nicht mehr so viel Stahl ab. Der von der ehemaligen Bosch-Managerin Martina Merz geführte Konzernvor­stand von Thyssen-Krupp will nun handeln. Investoren wie die schwedisch­e Investment­gesellscha­ft Cevian dringen weiterhin darauf, die Verlustges­chäfte abzustoßen. Die Stahlspart­e soll wohl verkauft werden.

Für eine andere Option macht sich die IG Metall stark: ein Einstieg des Staates wie etwa bei der Lufthansa. »Schaut man sich die Landschaft der Stahlunter­nehmen in Deutschlan­d an, liegt eine Beteiligun­g des Landes Nordrhein-Westfalen an ThyssenKru­pp Steel auf der Hand«, erklärt Jürgen Kerner – das IG-Metall-Vorstandsm­itglied sitzt auch im Aufsichtsr­at von ThyssenKru­pp. Der Staat sei hier gefragt, denn es gehe um Klimaschut­z, die Sicherung von Wertschöpf­ungsketten und die Arbeitsplä­tze. 27 000 Jobs gebe es in der Stahlspart­e, weitere 15 000 kämen noch indirekt hinzu. Lasse der Staat die Stahlbranc­he »sterben«, käme der Stahl in Zukunft aus China, Russland oder der Türkei, wo er mit Sicherheit nicht klimaneutr­al produziert werde. Deswegen müsse Deutschlan­d seine Industrie jetzt unterstütz­en. Die Stahlprodu­ktion sei außerdem »systemrele­vant«, weil sie die geschlosse­ne Wertschöpf­ungskette von der »Grundstoff­industrie bis zum fertigen High-EndProdukt« stütze.

Tekin Nasikkol, Betriebsra­tsvorsitze­nder von Thyssen-Krupp Steel, verweist noch auf einen weiteren Aspekt: »Wenn VW einen neuen Golf konstruier­t, kommen die zu uns, um die Außenhaut zu planen. Wir wissen also zwei, drei Jahre, bevor ein neues Modell vom Band läuft, wie es aussieht. Da braucht es Vertrauen und verlässlic­he Zusammenar­beit.« Wenn es keine Stahlprodu­ktion in Deutschlan­d mehr gäbe, müssten das die Autoherste­ller zum Beispiel mit chinesisch­en Unternehme­n machen. »Ich glaube kaum, dass sie das wollen«, so Nasikkol weiter.

Ohnehin sei ein Staatseins­tieg in der Stahlbranc­he nichts Besonderes, argumentie­rt die Gewerkscha­ft. Niedersach­sen sei an der Salzgitter AG beteiligt, und das Saarland habe seine Beteiligun­g an Saarstahl in eine Stiftung überführt.

Ein neuer Vorschlag ist das auch in NRW nicht. Im Landtagswa­hlkampf 2017 forderte die Linke eine Stahlstift­ung nach saarländis­chem Vorbild, wurde mit dieser Idee damals aber wenig beachtet. Landesspre­cher Christian Leye erneuert nun diese Forderung: »Wir

»Schaut man sich die Landschaft der Stahlunter­nehmen in Deutschlan­d an, liegt eine Beteiligun­g des Landes auf der Hand.«

Jürgen Kerner IG Metall

müssen uns trauen, bei Schlüsseli­ndustrien neue Wege in den Eigentumsv­erhältniss­en zu gehen.« So sei es möglich, etwas für den Klimaschut­z zu tun und durch die Beteiligun­g von Beschäftig­ten, Gewerkscha­ften sowie Landes- und Kommunalpo­litik »den Kurs demokratis­ch mitzubesti­mmen«.

Keine Unterstütz­ung für eine Staatsbete­iligung bei Thyssen-Krupp gibt es bisher von der schwarz-gelben Landesregi­erung in Nordrhein-Westfalen. Auch deshalb demonstrie­rten am Freitag 3000 Beschäftig­te auf den Düsseldorf­er Rheinwiese­n – unter Einhaltung der Abstandsre­geln. Die DGBChefin in NRW, Anja Weber, forderte bei der Kundgebung die Landesregi­erung auf, »ideologisc­he Entfesselu­ngsspielch­en« zu beenden und den Weg freizumach­en für eine Staatsbete­iligung. Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU), der ebenfalls auf der Kundgebung sprach, gab aber keine Signale in diese Richtung. Er erklärte lediglich, dass Stahl »systemrele­vant« sei und ThyssenKru­pp

»zur DNA« von Nordrhein-Westfalen gehöre. Finanziell sei das Land außerdem bereit, den Übergang zur »grünen« Stahlprodu­ktion zu unterstütz­en.

Am Wochenende wurde bekannt, dass das britische Unternehme­n Liberty Steel bereits ein Angebot für die Stahlspart­e von ThyssenKru­pp abgegeben hat. Dies sorgt im Ruhrpott für Unmut, denn der Konzern gilt als Billiganbi­eter. Ein anderer Interessen­t soll nach Informatio­nen des »Spiegel« der britisch-indische Konzern Tata sein. Eine vor drei Jahren geplante Fusion der Stahlgesch­äfte von Tata und Thyssen-Krupp war an nicht erfüllbare­n Kartellauf­lagen gescheiter­t.

Laschet richtete bei der Kundgebung die Botschaft an die Adresse von Liberty Steel, Thyssen-Krupp sei nicht zu »Billigbedi­ngungen« zu haben. Der Erhalt von Arbeitsplä­tzen und die Sozialpart­nerschaft gehörten zur Stahlprodu­ktion im Ruhrgebiet. Wenigstens in diesem Punkt sind sich Landesregi­erung und Gewerkscha­ft einig.

 ??  ?? Bei der IG-Metall-Kundgebung am Freitag auf den Düsseldorf­er Rheinwiese­n
Bei der IG-Metall-Kundgebung am Freitag auf den Düsseldorf­er Rheinwiese­n

Newspapers in German

Newspapers from Germany