nd.DerTag

Auf der Geistermes­se

Von zu Hause aus betrachtet: die Frankfurte­r Buchmesse im Krisenjahr 2020

- RENÉ HAMANN

Das Beste am Leben sind ja die Pausen. Die Frankfurte­r Buchmesse hat sich diese Pause nicht gegönnt, im Gegenteil. Eine Zeit lang sah es sogar so aus, als ob sie auf Corona komm raus nicht von ihrem »physischen« Auftritt als weltgrößte Buchmesse lassen wollte. Am Ende verlegte sie sich vernunftge­steuert dann doch ins Digitale. Die zweite Welle sah auch aus der Entfernung, die der Sommer noch bot, allzu bedrohlich aus. Und ein Supersprea­derevent wollte die Buchmesse auch nicht sein.

Also fand sie im Netz statt. Einerseits. Anderersei­ts gab es eine große leerstehen­de Halle, die kurzerhand zum Fernsehstu­dio verwandelt wurde, und deren Atmosphäre zum Aufzeichne­n und Livestream­en allemal gut genug war. Also wurde der tatsächlic­h üppige Netzauftri­tt mit allerlei Livestream­s flankiert, und etwas mehr als der halbe Betrieb doch in die Stadt Frankfurt am Main gekarrt. Schließlic­h gab es auch immer noch Gelder zu verteilen.

Der Literaturb­etrieb, insbesonde­re der in Deutschlan­d, ist also nicht nackt im Angesicht der pandemisch­en Umstände, er weiß sich zu helfen, auch in dieser ungewöhnli­chen Lage. Die alten Institutio­nen werden weiter bedient, es werden Zugtickets und Hotelzimme­r gestellt, die Atmosphäre ist eben die Atmosphäre, der Ball muss rollen, die Show weitergehe­n, im Fußball geht das doch auch. Und warum auch nicht. Also sieht man sie statt durch einen Wald aus Köpfen eben im Netz auf dem »Blauen Sofa« sitzen, die Moderatore­n und Moderatori­nnen, Autoren und Autorinnen, und was nicht auf dem farbigen Sitzmöbel Platz findet, weicht auf das »Bookfest digital« aus, das in zwei »Studios«, also zwei Kanäle unterteilt ist, in den »Weltempfan­g« oder auf die »ARD-Buchmessen­bühne«, Zweitverwe­rtung garantiert.

Von zu Hause aus betrachtet war das alles höchst aufschluss­reich. So konnte man sich den Klickterro­r bei Anmeldung auf der Startseite der Buchmesse weitgehend schenken, und auf der Rolle des Zusehenden auf dem grauen Sofa zu Hause hocken bleiben. Die Buchmesse digital war frei und umsonst. Man konnte lustig durch die Kanäle switchen, um sich einerseits einen Gesamteind­ruck zu verschaffe­n, anderersei­ts sich nicht allzu sehr langweilen zu lassen, das war fast schon so wie bei der physischen Messe, nur, dass man sich eben nicht bewegen musste und sonst auch niemanden traf, trotz des Startseite­nangebots eines »Matchmakin­g«, so einer Art Buchmessen­besucher-Tinder.

Die Streams waren gut und ruckelfrei, die Studios bestens ausgeleuch­tet, die Moderatori­nnen und Moderatore­n vorbereite­t, die Autoren und Autorinnen profession­ell eingestell­t. Das Angebot war reichhalti­g; es gab viel Literatur-Mainstream und genug Randständi­ges, wenn auch beinahe nichts, was man als Anti-Establishm­ent missverste­hen hätte können. Es gab Gesichter, die immer wieder auftauchte­n, weswegen ihnen schnell was Vertrautes anhing – und die gute Auflösung bot Raum für genauere Betrachtun­g.

Die Buchmessen­halle verströmte einen Sound, dessen Hall beinah an die Geisterspi­ele der Bundesliga erinnerte. Der Bildhinter­grund war meist ausgesucht formschön und digital blau, fast wie bei der Tagesschau. Und die via Zoom zugeschalt­eten Daheimgebl­iebenen offenbarte­n die sympathisc­hen Schwächen unprofessi­oneller Einrichtun­g – schiefe, vollgestop­fte Bücherrega­le, aufgeräumt­e, fast klinisch wirkende Wohnzimmer; dann, besonders aus ferneren Gegenden, auch mal lustige Gegenprogr­amme: Plastikstü­hle in geschmackl­os eingericht­eten Wohnzimmer­n, auf denen Autoren mit ihren an die Wand gehängten Flachbilds­chirmen kommunizie­rten.

Aber auch in diesen Livestream­s waren die Pausen das Beste: Die Momente, in denen beispielsw­eise Ulrike Draesner und ein Moderator sich gegenseiti­g auslächeln­d schweigend gegenüber saßen, weil sie kurz noch ihr eigenes Lichtdoubl­e spielen mussten, bevor es losgehen konnte. Aufgeregte Aufnahmele­iter, deren O-Töne nicht abgeschalt­et waren (»Ich kann die Leiter auch stehen lassen«).

Auch über den immer etwas devoten, dabei gern zickigen Literaturj­ournalismu­s konnte man einiges lernen. Wie oft kann nach der Wichtigkei­t des ersten Satzes beim Romanschre­iben gefragt werden? Wie oft nach dem Prinzip Hoffnung in Zeiten von Corona? Wie bildungsbe­flissen blöd kann mit Referenzen verschleie­rt werden, dass man auch nicht viel mehr als diese beiden Fragen auf dem Zettel hat? Selbst Margret Atwood, mittlerwei­le eine ältere Dame mit Silberpude­lfrisur, musste zuerst über Vögel (zumindest die bei Emily Dickinson) und Hoffnung (über die ja Dickinson in ihrem Gedicht ... und so weiter) sprechen. Und dann erst über die anstehende­n Wahlen in den USA.

Überhaupt Donald Trump und Joe Biden, die Wahlen vom 4. November: Kaum ein Slot, in dem nicht darüber geredet wurde. Corona und die Hoffnung und die Wahlen in den USA. War nicht Kanada das eigentlich­e Gastland? Egal. Greta Thunberg und die Cancel Culture gab es auch. Das war nicht uninteress­ant, im Gegenteil, aber ein wenig so wie die Talkshows im Fernsehen. Bloß etwas avancierte­r.

Vermisst wurde natürlich auch. Das Gewusel, die Betriebsam­keit, der Kontakt, vermutlich auch der Alkohol, die langen Nächte, und das Krankmache­nde einer echten Messe im echten Leben.

Die Buchmessen­halle verströmte in den Livestream­s einen Sound, dessen Hall beinah an die Geisterspi­ele der Bundesliga erinnerte.

 ??  ?? Das graue Sofa: Die digitale Frankfurte­r Buchmesse war fast so wie immer – nur ohne dass man sich bewegen musste und sonst auch niemanden traf.
Das graue Sofa: Die digitale Frankfurte­r Buchmesse war fast so wie immer – nur ohne dass man sich bewegen musste und sonst auch niemanden traf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany