nd.DerTag

Auf unbekannte­n Wegen

Joao Almeida folgt beim Giro immer mehr den Spuren seiner portugiesi­schen Seefahrer-Ahnen

- TOM MUSTROPH, PIANCAVALL­O

Der junge Portugiese Joao Almeida führt bei seinem ersten Giro die Gesamtwert­ung an und baut seinen Vorsprung aus. Wie das Abenteuer ausgehen wird, entscheide­t sich in der letzten Rennwoche. Hinderniss­e gibt es zumindest einige.

Der Debütant überrascht immer weiter. Beim Zeitfahren am Samstag zwischen den Weinbergen der Prosecco-Region um Valdobbiad­ene erwies sich Joao Almeida als Bester der Rundfahrer. Den Tagessieg musste er wie schon beim Auftaktzei­tfahren in Palermo an den frisch gebackenen Zeitfahrwe­ltmeister Filippo Ganna abtreten. Er musste auch den überrasche­nd starken Allrounder Brandon McNulty, vier Monate älter als er selbst und ebenfalls eines der in diesem Jahr bereits hell aufscheine­nden Talente der Zukunft, im Kampf gegen die Uhr an sich vorbei ziehen lassen. Aber die unmittelba­ren Kontrahent­en hielt der Giro-Debütant spielend auf Distanz. Meist verwachsen mit seinem Rad scheinend, selten aus dem Sattel steigend und einen guten Flow auf die Pedale bringend, distanzier­te er den höher eingeschät­zten Wilco Kelderman um 16 Sekunden und nahm Vincenzo Nibali 1:23 Minuten ab. Auch das erfahrene Duo vom Team Bora büßte mehr als eine Minute (Rafal Majka) und zwei Minuten (Patrick Konrad) ein. Der angestrebt­e Podiumspla­tz ist wieder mehr in die Ferne gerückt. Almeida aber stieg endgültig als der Patron dieser Giro-Auflage auf das Podium und ließ die Blasen des in der Region produziert­en Prosecco auf dem Siegerpodi­um in die Luft aufsteigen.

Lächelnd erzählte er später: »Das war das bisher längste Zeitfahren meiner Karriere. Aber ich hatte einen Plan: Mit voller Kraft in die Anstiege, erholen auf den Abfahrten und Kraft sparen im mittleren Teil, um am Ende wieder zusetzen zu können. Und den Plan habe ich dann auch umgesetzt.« Der 22-jährige Portugiese erinnerte dabei ein wenig an die großen Seefahrerh­elden des Mittelalte­rs. Fernando Magellan hatte sich solch einen Plan zurechtgel­egt vor seiner Weltumsege­lung, Bartolomeo Dias vor seiner Afrika-Umsegelung, und auch Vasco da Gama hatte die bestehende­n Karten studiert, sich nach Winden

und Strömungen erkundigt, bevor er dann schließlic­h jenes Indien erreichte, von dem der Genueser Kolumbus geglaubt hatte, es westlich des Atlantik betreten zu haben. Natürlich, diese Kapitäne auf den echten Schiffen haben Größeres vollbracht als jetzt Almeida. Aber ihr junger Landsmann gleicht ihnen, weil er eben auch in das Unbekannte vordringt – das für ihn Unbekannte. »Mein längstes Radrennen ging bisher über zehn Tage. Es war der Baby Giro 2018«, erzählte er lächelnd am Tag 14 seines Giro-Abenteuers. Da fühlte er sich körperlich noch recht frisch und auch mental auf der Höhe der Anforderun­gen. »Aber auf den Ruhetag freue ich mich schon, endlich mal ausspannen«, sagte er.

Wie er drei Rennwochen verkraftet, weiß er natürlich nicht. Da geht es ihm wie Magellan, der zwar vermutete, dass es den später nach ihm benannten Seeweg an der Südspitze Amerikas geben würde, es aber eben auch erst wusste, als er ihn endlich gefunden hatte.

»Das war das bisher längste Zeitfahren meiner Karriere. Aber ich hatte einen Plan. Mit voller Kraft in die Anstiege, erholen auf den Abfahrten und Kraft sparen im mittleren Teil, um am Ende wieder zusetzen zu können.«

Joao Almeida, Team Deceuninck-Quick-Step

Vor Almeida türmen sich allerdings noch einige Hinderniss­e auf. Was für Magellan und Co. die Stürme und Flauten waren, sind für Almeida die Berge. Am Sonntag stand der Anstieg nach Piancavall­o auf dem Plan – ein Berg, der fest verankert ist in den Herzen der italienisc­hen Radsportfa­ns. Hier legte Marco Pantani im Mai 1998 einen Solosieg hin, der zugleich die Basis seines Gesamtsieg­s werden sollte.

Joao Almeida tat sich dort schwer am Sonntag, konnte sein Rosa Trikot aber verteidige­n. Auf den 185 Kilometern von Base Aerea Rivolto nach Piancavall­o wurde Almeida im Schlussans­tieg von einem Trio um den Niederländ­er Wilco Kelderman abgehängt und belegte Tagesplatz vier. Im Gesamtklas­sement behält er aber 15 Sekunden Vorsprung auf Widersache­r Kelderman.

Seine bislang größte Krise hatte der Giro d'Italia am Sonntag bereits überwunden. Der Corona-Infektions­herd, der zum Ende der ersten Rennwoche ausgebroch­en war, scheint unter Kontrolle. Zu den neun positiven Fällen kam kein weiterer mehr hinzu. »Alle Kontrollen am Donnerstag und Freitag waren negativ«, sagte Renndirekt­or Mauro Vegni gegenüber »nd.DerTag«. Weitere Tests sind für den Montag vorgesehen. Vegni ist optimistis­ch, dass auch sie negativ ausfallen.

Jonathan Vaughters, Teamchef von Education First, hatte in einem offenen Brief bereits den Abbruch des Rennens zum zweiten Ruhetag am heutigen Montag gefordert. Aber das scheint vom Tisch, auch weil andere Teams auf jeden Fall weiter fahren wollen. Und Vegni ist optimistis­ch, dass das Ziel in Mailand erreicht wird. »Für mich ist das keine Frage der Wahrschein­lichkeit, sondern eine der Gewissheit«, sagte er forsch.

Almeida, der junge Held, ist da vorsichtig­er. »Ich denke von Tag zu Tag«, meinte er. Das scheint die realistisc­here Haltung bei diesem Giro.

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Joao Almeida beim Zeitfahren am Sonnabend

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