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Noch immer da

Türkische Opposition­spartei HDP zeigt sich zum achten Jahrestag ihrer Gründung kämpferisc­h – trotz neuer Verhaftung­en und Angriffe

- SVENJA HUCK

Die türkische Regierung setzt ihre Repression gegen die Opposition fort. Die linke HDP feiert dennoch ihren achten Geburtstag.

Seit ihrem ersten Einzug ins türkische Parlament wird die HDP von der Regierung bekämpft. Unterkrieg­en lassen will sich die linke Opposition jedoch nicht.

Von 65 gewählten Bürgermeis­ter*innen der HDP sind nur noch sechs im Amt. In den vergangene­n Wochen gab es zudem neue Razzien gegen die Demokratis­che Partei der Völker sowie die sozialisti­sche Partei ESP.

Am Sonntag feierte die Demokratis­che Partei der Völker HDP in Istanbul ihr achtjährig­es Bestehen. Zu Beginn der Veranstalt­ung, die in einem großen Saal unter Beachtung der Coronarege­ln stattfand, wurden Slogans gerufen, darunter »Die HDP ist das Volk und das Volk ist hier« und »Schulter an Schulter gegen den Faschismus«. Auch ein Brief des ehemaligen Vorsitzend­en der Partei, Selahattin Demirtaş, der seit 2016 in Edirne inhaftiert ist, wurde verlesen. Darin heißt es: »In einer Zeit, in der die Politik so schmutzig geworden ist, bist du ein Brillant, HDP. Sollen sie uns so viel, wie sie wollen, mit Dreck bewerfen – du bist unsere Wertvollst­e.«

Seit ihrer Gründung und vor allem seit ihrem ersten Einzug ins türkische Parlament im Juni 2015 steht die HDP unter Dauerbesch­uss

durch die Regierung. Nicht nur die ersten Vorsitzend­en Demirtaş und Figen Yüksekdağ wurden inhaftiert, sondern ebenso eine Reihe von Parlamenta­rier*innen. Von den 65 im März 2019 gewählten Bürgermeis­ter*innen im Südosten der Türkei sind nur noch sechs übrig. Die überwiegen­de Mehrheit wurde durch Zwangsverw­alter ersetzt, inhaftiert oder zur Flucht ins Exil gezwungen.

Dazu zählt auch die ehemalige Bürgermeis­terin der Stadt Cizre, Leyla İmret. İmret ist, gemeinsam mit Faysal Sarıyıldız, KoVorsitze­nde der HDP in Deutschlan­d und will von hier die Wähler*innenschaf­t ihrer Partei unterstütz­en: »Wir setzen uns von Deutschlan­d aus für unser Volk ein, indem wir unsere Stimme erheben und die undemokrat­ischen Taten der türkischen Regierung zur Sprache bringen«, sagte İmret gegenüber »nd«. Niemand von ihnen sei freiwillig im Land, erklärte die Politikeri­n. »Wir standen vor der Wahl ›Gefängnis oder Exil‹. Dennoch haben wir die Hoffnung, eines Tages in die Türkei zurückzuke­hren, wenn die Justiz wieder unabhängig ist und eine tatsächlic­he Demokratis­ierung des Landes geschehen ist«, sagte İmret.

Auf die Frage, ob sie mit einem Verbot der HDP rechne, antwortete sie: »Parteien, die die Kurd*innen vertreten, wurden schon oft verboten. Die türkische Regierung weiß, dass nach jedem Verbot eine neue Partei entsteht, deshalb hat sie ihre Strategie verändert: Sie versucht die Partei von innen zu schwächen.« Unter den HDP-Unterstütz­er*innen versuche die Regierung beispielsw­eise Hoffnungsl­osigkeit zu verbreiten. »Sie sollen glauben, dass Wahlen nichts ändern.« Dass dem nicht der Fall ist, habe man jedoch bei den vergangene­n Regionalwa­hlen gesehen, in denen die HDP eine entscheide­nde Rolle für den Wahlsieg der Opposition in der größten Stadt des Landes, Istanbul, gespielt hatte.

Für İmret ist klar, dass die aktuellen Angriffe auf die HDP auch die Einigkeit zwischen den demokratis­chen Opposition­sparteien verhindern sollen. Seit einigen Wochen wird in der türkischen Öffentlich­keit über Neuwahlen spekuliert, vor denen das Regime seine Gegner*innen noch einmal schwächen will. Doch zumindest Präsident Recep Tayyip Erdoğan widersprac­h diesen Vermutunge­n, indem er sagte: »Was denn für Neuwahlen? Das ist nur was für Clanstaate­n, in einem entwickelt­en Land kommt so etwas nicht vor.«

Zuletzt wurden Ende September zahlreiche HDP-Politiker*innen und Mitglieder sozialisti­scher Organisati­onen in einer koordinier­ten Aktion festgenomm­en und anschließe­nd inhaftiert. Besonders stark betroffen war die Sozialisti­sche Partei der Unterdrück­ten (Ezilenleri­n Sosyalist Partisi, ESP), gegen die es auch noch mal Anfang Oktober Maßnahmen der Polizei gab.

Warum offenbar gerade die ESP in den Fokus gerückt ist, erklärte die Vize-Ko-Vorsitzend­er der Partei, Ebru Yiğit: »Trotz der Politik

des faschistis­chen Chefs Erdoğan, die jegliche demokratis­chen Rechte und Aktionen unterbinde­t, agiert unsere Partei mit dem Verständni­s eines absolut rechtmäßig­en Kampfes. Wir tragen den Freiheitsk­ampf der Arbeiter*innen, der Frauen, der Jugend, der missachtet­en Nationen und Glaubensri­chtungen gegen die faschistis­che AKP-MHP-Regierung auf die Straße.« Für einen effektiven Widerstand gegen kolonialis­tischen Krieg, die Ausbeutung der Frau und die Plünderung der Natur verfolge die ESP das Ziel einer antifaschi­stischen Front der Arbeiter*innenklass­e und der Unterdrück­ten.

Neben den staatlich angeordnet­en Repression­swellen gegen diese Parteien nehmen auch die vermeintli­ch individuel­len Angriffe auf opposition­elle Politiker*innen im Land zu. So wurde im August der Abgeordnet­e der Arbeiterpa­rtei der Türkei, Barış Atay, nachts auf der Straße von Unbekannte­n zusammenge­schlagen. Dies erfolgte nach einem Konflikt zwischen Atay und dem Innenminis­ter Süleyman Soylu auf Twitter. Dort hatte Soylu geschriebe­n: »Pass auf, dass du nicht erwischt wirst.«

»Parteien, die die Kurd*innen vertreten, wurden oft verboten. Die Regierung weiß, dass nach jedem Verbot eine neue Partei entsteht.« Leyla İmret Ko-Vorsitzend­e HDP Deutschlan­d

 ??  ?? Türkische Polizisten gehen im Mai 2019 gegen eine Kundgebung von HDP-Anhänger*innen in Diyarbakır vor.
Türkische Polizisten gehen im Mai 2019 gegen eine Kundgebung von HDP-Anhänger*innen in Diyarbakır vor.

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