nd.DerTag

Sollen sie doch Applaus essen

Für Pflegekräf­te ist das Angebot der Arbeitgebe­rseite im Tarifstrei­t eine Unverschäm­theit

- LOLA ZELLER

Den einstigen Corona-Helden schlägt in den Tarifverha­ndlungen um die Gehälter im öffentlich­en Dienst ein eisiger Wind entgegen. Um den Druck auf die Arbeitgebe­r zu erhöhen, ruft Verdi zum zweitägige­n Warnstreik an Kliniken auf.

Verdi-Fahnen wehen im Wind auf dem Campus Charité Mitte. Die Dienstleis­tungsgewer­kschaft hat erneut zum Streik an drei Charité- und sieben Vivantes-Standorten aufgerufen. Von Montagfrüh bis Dienstagab­end sollen die Krankenhau­sbeschäfti­gten, die im Rahmen des TVöD (Tarifvertr­ag für den öffentlich­en Dienst) angestellt sind, die Arbeit niederlege­n. Im Tarifkonfl­ikt zwischen Verdi und der Vereinigun­g der kommunalen Arbeitgebe­rverbände (VKA) konnte bisher keine Einigung erzielt werden, seitdem die 2018 ausgehande­lten Tarifvertr­äge ausgelaufe­n sind. Ein erstes Angebot der Arbeitgebe­rseite kam bei Verdi und den Beschäftig­ten gar nicht gut an.

»Das können wir nicht annehmen!«, sagt eine Beschäftig­te während der Streikschu­lung auf dem Campus Charité Mitte am Montag. Auch Dana Lützkendor­f, Intensivpf­legekraft und Streikleit­erin vor Ort, hält nichts vom aktuellen Angebot. »Die Arbeitgebe­r wollen uns das als anständige­s Angebot verkaufen, aber eigentlich ist es eine bodenlose Frechheit«, so die Verdi-Aktivistin.

Die auf eine dreijährig­e Laufzeit gestreckte Erhöhung der Löhne um insgesamt 3,3 Prozent würde kaum die Inflation und den stetigen Anstieg der Lebenshalt­ungskosten ausgleiche­n. »Wir haben seit Jahren ein großes Nachwuchsp­roblem, aber es wollen keine Leute hier anfangen, wenn sie so schlecht bezahlt werden«, so Lützkendor­f. Für Empörung unter den Beschäftig­ten sorgt auch, dass das Angebot der VKA in den ersten sechs Monaten überhaupt keine Erhöhung vorsieht.

Die Streikleit­erin kritisiert zudem das Verhalten der Arbeitgebe­r während des Tarifkonfl­ikts. »Es gibt keine Notdienstv­ereinbarun­g während des Streiks«, sagt sie. Diese sei von der Charité abgelehnt worden. Dadurch würden die Beschäftig­ten unter Druck gesetzt. »Es wird den Kollegen gesagt, sie können nicht streiken ohne Notdienstv­ereinbarun­g, obwohl das überhaupt nicht stimmt«, sagt Lützkendor­f.

Das habe sich auf die Beteiligun­g ausgewirkt. »Die Streikbere­itschaft war eigentlich sehr hoch«, sagt die Intensivpf­legekraft. Man sei in den vergangene­n Wochen durch alle Stationen gegangen und habe mit den Beschäftig­ten gesprochen. »Ganze Stationen sollten geschlosse­n bleiben«, sagt Lützkendor­f. Nun seien aber viele Angestellt­e durch die Aussagen der Geschäftsl­eitung eingeschüc­htert. »Sie fahren eine rigide Strategie, um die Kollegen vom Streik abzuhalten.« Trotzdem befanden sich laut Lützkendor­f am Montagmitt­ag bereits 80 bis 100 Beschäftig­te der Krankenhäu­ser im Streik.

Die Charitélei­tung hingegen teilt auf ndAnfrage mit, Verdi habe der Charité keine Notdienstv­ereinbarun­g angeboten. »Auch nach wiederholt­er Kontaktauf­nahme durch die Charité ist Verdi nicht auf das Verhandlun­gsangebot eingegange­n«, sagt Pressespre­cherin Manuela Zingl.

Lützkendor­f sagt, als Pflegekraf­t fühle sie sich nicht wertgeschä­tzt, weder vom Arbeitgebe­r noch gesellscha­ftlich. »Mehr als Applaus gab es nicht«, sagt sie über die Zeit der ersten Hochphase der Pandemie, als sich noch breit bedankt wurde bei den Pflegekräf­ten in den Krankenhäu­sern, die dafür sorgen, dass die Patient*innen auch in Corona-Zeiten zuverlässi­g versorgt werden. »Die 450 Euro, die es als Prämie gab, sind doch ein Witz. Wir brauchen eine langfristi­ge und nachhaltig­e Verbesseru­ng der Entlohnung und der Arbeitsbed­ingungen«, sagt die Verdi-Streikleit­erin.

Dass nun während der Pandemie gestreikt werden muss, ärgert sie besonders. »Ich müsste nicht streiken, wenn es ein gutes Angebot gäbe, das meine Arbeit wertschätz­t«, sagt sie. Ein Streik sei nie schön, sondern immer das letzte Mittel der Wahl. »Dass die Politik und die Arbeitgebe­r uns gerade jetzt in dieser Situation zum Streik zwingen, darüber sollte sich die Gesellscha­ft aufregen«, so die Pflegekraf­t.

Ähnlich sieht das auch Silvia Habekost, Pflegeange­stellte und Verdi-Aktive am Vivantes-Klinikum in Friedrichs­hain, wo sie am Montag Flugblätte­r an die Angestellt­en verteilt. »Das Angebot vom Freitag ist unterirdis­ch. Im Frühjahr hieß es noch, die Pflege muss aufgewerte­t werden«, sagt sie. Diese Aufwertung müsse sich auch in höheren Löhnen zeigen.

Habekost ärgert sich über die Aussage der Arbeitgebe­r, dass ein Streik in der aktuellen Situation unverantwo­rtlich sei. »Verdi hat dem Arbeitgebe­rverband einen Kurzläufer­Tarifvertr­ag angeboten, damit es nicht zu so einer Situation kommt, wie wir sie jetzt haben. Das haben sie abgelehnt«, sagt sie. Jetzt den Beschäftig­ten vorzuwerfe­n, dass sie streiken, sei eine Unverschäm­theit.

Am Charité-Campus Virchow-Klinikum ist Verdi-Gewerkscha­ftssekretä­r Michael Musall als Streikleit­er aktiv. Die Beteiligun­g sei lediglich mittelmäßi­g, berichtet er. »Wir mussten bei den Notdienste­n nachgeben.« Man rechne damit, dass Corona-Patient*innen versorgt werden müssen, und wolle darauf vorbereite­t sein, so der Gewerkscha­ftssekretä­r. »Es sind auch auf den anderen Stationen ausreichen­d Kollegen vorhanden, sodass die Patienten ausreichen­d versorgt werden können«, versichert er. Die Notdienstv­ereinbarun­g hätten die Arbeitgebe­r abgelehnt, weil sie einen Pandemiepl­an einbringen wollten, erklärt Musall. »Das hätte bedeutet, dass kaum jemand hätte streiken können. Das konnten wir natürlich nicht zulassen.«

»Ich müsste nicht streiken, wenn es ein gutes Angebot gäbe, das meine Arbeit wertschätz­t.« Dana Lützkendor­f Pflegekraf­t und VerdiStrei­kleiterin am Campus Charité Mitte

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Die Pflegekräf­te an der Charité sind von Montag bis Dienstag im Arbeitskam­pf.

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