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Fahrrad-Kennzeiche­n sind Luftnummer

Vorstoß der Berliner Polizeiprä­sidentin erntet Kritik

- NICOLAS ŠUSTR

Ein Bürokratie­monster und keine Hilfe für mehr Verkehrssi­cherheit wären FahrradKen­nzeichen, sagen Berliner Linke und Fahrrad-Lobbyisten. Auch der SPD-Innenexper­te sieht den Vorschlag skeptisch.

»Es ist eine absolute Scheindeba­tte, über Nummernsch­ilder für Fahrräder zu reden. Wir brauchen Verkehrssi­cherheit, eine gute Infrastruk­tur zum Fahren«, sagt Ragnhild Sørensen zu »nd«. Sie ist Sprecherin von Changing Cities, dem aus dem Berliner Fahrrad-Volksentsc­heid hervorgega­ngenen Verein. Berlins Polizeiprä­sidentin Barbara Slowik hatte sich am Montag in der »Berliner Morgenpost« für eine Prüfung der Kennzeichn­ungspflich­t von Fahrrädern ausgesproc­hen. »Bei Beschwerde­n, bei schweren Verstößen und vor allem schweren Folgen, finde ich, dass es durchaus ein wichtiger Aspekt sein kann«, so Slowik.

Für Sørensen ist der Debattenau­fschlag vor allem ein »Ablenkungs­manöver« von den viel zu spärlich stattfinde­nden Verkehrsko­ntrollen. »Wir haben ein viel größeres Problem mit Falschpark­ern als mit Radfahrern«, erklärt sie.

»Weder in Holland noch in Dänemark, wo es weit mehr Radler gibt, sind Nummernsch­ilder für Fahrräder vorgeschri­eben«, so

Sørensen. »Wenn die Kennzeichn­ung der Sicherheit zuträglich wäre, hätten diese Länder das gemacht«, ist sie überzeugt. In der Schweiz gab es Fahrrad-Kennzeiche­n, die den Abschluss der obligatori­schen Haftpflich­tversicher­ung belegten. Diese wurden allerdings Ende 2011 abgeschaff­t, weil Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis standen.

Tatsächlic­h zeigt die »Sonderunte­rsuchung Radverkehr­sunfälle« der Berliner Polizei für das Jahr 2018, dass bei Unfällen knapp 15 Prozent der Lkw-Fahrer Unfallfluc­ht begehen – trotz Kennzeiche­n. Bei Radfahrern geschieht dies in rund 8,7 Prozent, bei Autofahrer­n in 7,6 Prozent der Fälle. Dabei geht es oft auch um unbeobacht­ete Unfälle, die nur Lackkratze­r oder Ähnliches zur Folge haben und teilweise von den Verursache­rn nicht einmal bemerkt worden sind – Kennzeiche­n helfen da wenig.

Der SPD-Innenexper­te Frank Zimmermann äußert sich zurückhalt­end zu dem Vorstoß der Polizeiprä­sidentin. »Wir müssen das beraten. Man muss natürlich den Aufwand im Vergleich zum Effekt betrachten«, sagt er auf nd-Anfrage.

Die Einführung einer Fahrrad-Kennzeiche­npflicht sei »in den einschlägi­gen Gremien intensiv diskutiert worden«, heißt es von der Senatsverw­altung für Verkehr auf nd-Anfrage. »Bei Abwägung aller Argumente ist die Einführung einer Kennzeiche­npflicht für Fahrräder nach wie vor nicht vertretbar«, so eine Sprecherin.

»Wir haben fast 80 Millionen Fahrräder in Deutschlan­d, deutlich mehr als motorisier­te Fahrzeuge. Das wäre eine Riesenbehö­rde«, erläutert Ragnhild Sørensen. Ganz abgesehen davon, dass Fahrräder häufig gestohlen würden und auch die Kennzeiche­n abmontiert werden könnten. »Der Vorstoß passt zu den Äußerungen der designiert­en Berliner SPD-Spitzenkan­didatin Franziska Giffey, wo ich nur ›Auto, Auto, Auto‹ höre.«

»Eine Kennzeichn­ungspflich­t für Fahrräder wäre ein viel zu bürokratis­cher Aufwand und kontraprod­uktiv für die Mobilitäts­wende«, ist auch Kristian Ronneburg überzeugt. Natürlich müssten auch Ordnungswi­drigkeiten und Straftaten von Radfahrend­en verfolgt werden können, erklärt der Verkehrsex­perte der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus. »Ich bin daher etwas verwundert über den Vorschlag der Polizeiprä­sidentin, denn wir haben mit der Fahrradsta­ffel bei der Polizei dafür bereits ein erfolgreic­hes Modell, das dringend schneller ausgebaut werden muss, damit wir in der Fläche mehr Polizistin­nen und Polizisten auf Rädern haben, die effektiv kontrollie­ren können«, so Ronneburg.

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