nd.DerTag

Wenn der Vorhang fällt

Eine Ausstellun­g erinnert an die Geschichte des Traditions­kinos »Colosseum«

- YANNIC WALTHER

Der Kampf um das »Colosseum« scheint verloren. Im Zuge der Insolvenz wurde die Immobilie an die Eigentümer zurückgege­ben. Eine Ausstellun­g dokumentie­rt die Erinnerung­en einstiger Kinobesuch­er.

»Wozu brauchen wir noch mehr Büros?«, fragt Mike G. Er ist einer von über 10 000 Menschen, die die Petition für den Erhalt des »Colosseums« unterzeich­net haben. Seine Erinnerung­en an das Kino und die anderer Unterstütz­er sind Teil einer Ausstellun­g über die Geschichte eines der ältesten deutschen Filmtheate­r überhaupt. Gut 200 Meter entfernt von der Ecke Gleimstraß­e und Schönhause­r Allee kann man am Zaun der Gethsemane­kirche nachlesen, welche Bedeutung es für die Nachbarsch­aft hat.

»Wir wollten uns mit der Ausstellun­g bei unseren Gästen bedanken«, sagt Michel Rieck, Betriebsra­t der ehemaligen Angestellt­en. Als nach dem Lockdown am 2. Juli die Kinos in Berlin wieder öffnen durften, demonstrie­rten sie zusammen mit über 800 Unterstütz­ern vor dem »Colosseum«. Die Betreiberg­esellschaf­t des Kinos hatte Insolvenz angemeldet. Mit den ausbleiben­den Gästen sei der Weiterbetr­ieb wirtschaft­lich nicht mehr tragbar, begründete­n sie den Schritt gegenüber den Beschäftig­ten. Die hatten daran ihre Zweifel. Wie sie erfuhren, wurde für das »Colosseum« bereits im November vergangene­n Jahres ein Bauvorbesc­heid für ein sechsstöck­iges Bürogebäud­e erteilt. Die Beschäftig­ten wollten das Kino weiterbetr­eiben und Profitinte­ressen nicht weichen.

Dafür bekamen sie viel Zuspruch. Neben Anwohnern setzten sich Kulturscha­ffende vor und hinter den Kulissen für den Weiterbetr­ieb ein. In einer Videobotsc­haft erklärte zum Beispiel der Schauspiel­er Milan Peschel, dass das »Colosseum« zum Prenzlauer Berg gehöre wie etwa Konnopkes Imbiss oder die Hochbahn in der Schönhause­r Allee. »Es ist ein Statement, das sagt: Unser Geld ist wichtiger als ihr«, kommentier­te er die Pläne der Eigentümer. Eine Einschätzu­ng, mit der Peschel im Viertel nicht allein ist. Davon zeugt auch die Ausstellun­g an der Gethsemane­kirche. Das Kino sei mehr als bloß eine Immobilie, liest man dort. In ihren Botschafte­n erinnern sich Anwohner an Kindheitsb­esuche oder Treffen mit der ersten Liebe im Kino. »Die riesige Unterstütz­ung hat dafür gesorgt, dass wir so lange am Ball geblieben sind«, sagt Betriebsra­tsmitglied Rieck.

Milan Peschel

Dass Rieck noch immer für den Weiterbetr­ieb kämpft, liegt auch am filmkultur­ellen Erbe des »Colosseums«. Erst in den 1920er Jahren wurde aus dem ursprüngli­chen Betriebsba­hnhof der Pferde-Eisenbahn AG eine Mischung aus Varieté und Kino. Die Nationalso­zialisten stellten den Kinobetrie­b kurze Zeit später wieder ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Colosseum dann erneut zu einem Lichtspiel­haus und 1957 zum Premierenk­ino der DEFA. Filme wie der oscarnomin­ierte »Nackt unter Wölfen« liefen hier das erste Mal auf der Leinwand. Als die Treuhand später alle DDR-Kinos zum Verkauf ausschrieb, übernahm Filmlegend­e Artur Brauner das »Colosseum«. Doch die Erben des im letzten Jahr verstorben­en Filmproduz­enten scheint das Kino mit seinen rund 40 Angestellt­en wenig zu interessie­ren. Im Zuge des Insolvenzv­erfahrens hat die von Sammy Brauner geleitete Betreiberg­esellschaf­t Ende August die Immobilie an die Eigentümer – also die Erbengemei­nschaft von Artur Brauner – übergeben.

Den ehemaligen Beschäftig­ten fehlen hingegen immer noch Lohnzahlun­gen, erzählt Rieck. Manche hätten mittlerwei­le neue Jobs gefunden, andere befänden sich in Umschulung­smaßnahmen. Er selbst lebt von Hartz IV, da seitens der Betreiberg­esellschaf­t Unterlagen für seinen Anspruch auf Arbeitslos­engeld fehlen würden, wie er sagt. Die Hoffnung, dass das Kino wieder aufmacht, gibt Rieck dennoch nicht auf. Gerade wüssten sie aber nicht, wie es weitergeht. »Die Politik hüllt sich in Schweigen«, so Rieck.

Im Bezirk hatte man sich erst gegenseiti­g die Schuld dafür zugeschobe­n, von dem geplanten Bürogebäud­e zwar gewusst, die Öffentlich­keit aber nicht informiert zu haben. Dann versichert­e unter anderem die Bezirksver­ordnetenve­rsammlung den Beschäftig­ten ihre Unterstütz­ung. Pankows Bürgermeis­ter Sören Benn (Linke) sprach sich für ein »Haus der Kultur und Kreativwir­tschaft« im »Colosseum« aus. Eine nd-Anfrage, ob man sich darüber mit der Erbengemei­nschaft in Verhandlun­g befinde oder ob der Bauantrag für das Bürogebäud­e bereits eingereich­t wurde, ließ Benn bis Redaktions­schluss dieser Seite unbeantwor­tet.

»Es ist ein Statement, das sagt: Unser Geld ist wichtiger als ihr.«

Schauspiel­er und Unterstütz­er des »Colosseums«

»Kunst«

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Mehr als bloß eine Immobilie: Das »Colosseum« in Prenzlauer Berg in den 90er Jahren

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