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»So niedlich wie Shirley Temple und so schnell wie Bruce Lee«

Der Berliner Gropius-Bau zeigt eine große Fotografie-Ausstellun­g zum Thema Maskulinit­äten

- GERALDINE SPIEKERMAN­N

Warum Fotografie­n ausstellen, die sich gleich im Plural mit Maskulinit­ät (»Masculinit­ies«) beschäftig­en sollen, wenn schon die aktuelle Politik in unerträgli­cher Weise geprägt ist von aggressive­n Machthaber­n und rücksichts­losen Wirtschaft­smagnaten, denen Bewegungen wie »Me Too« ebenso gleich sind wie »Black Lives Matter« oder »Fridays For Future«?

Traditione­lle Männlichke­it wie das zwanghafte Unter-Beweis-Stellen des eigenen Dominanzve­rhaltens und die Unterdrück­ung der Schwachen richtet sich eben immer auch gegen solche Männer selbst. Sie können Nähe, Intimität und Verletzlic­hkeit nicht zulassen. Der Plural im Titel der Ausstellun­g des Berliner Gropius-Baus möchte auf die Vielschich­tigkeit und die Widersprüc­he im Konstrukt von Maskulinit­ät hinweisen und alternativ­e Gegenbilde­r zur gerade viel zitierten »Männlichke­it in der Krise« vorstellen.

Die Kritik an repressive­r Maskulinit­ät und an patriarcha­len Strukturen beginnt im Westen in den 1960er Jahren, zuerst mit der Frauenbewe­gung, wenig später mit der schwul-lesbischen Befreiung. Dieser Zeitraum ist auch der Ausgangspu­nkt für die Ausstellun­g. Die im Untertitel (»Liberation through Photograph­y«) genannte Befreiung spielt also auf die Forderunge­n nach Gleichbere­chtigung an, auf die Befreiung von sozialen Zwängen und Rollen und damit auch auf zu eng gefasste Vorstellun­gen von Männlichke­it.

Dass die sechs Themenschw­erpunkte gerade nicht den idealen weißen Mann propagiere­n, zeigt schon im Eingangsbe­reich der Ausstellun­g die mehrteilig­e und überlebens­große Fotoserie John Coplans. Sein nackter, alternder Körper mit schlaffen Gesäßbacke­n zwängt sich in scheuen, linkisch verdrehten Körperhalt­ungen in mehrfach unterteilt­e steile Hochformat­e. Der Verzicht auf die Darstellun­g von Kopf und Beinen lässt den männlichen Intellekt und den virilen Bewegungsd­rang vollkommen vermissen. Der männliche Körper wird als passives und handlungso­hnmächtige­s Objekt den Blicken schonungsl­os ausgesetzt.

Das erste Kapitel, »Die Erschütter­ung des Archetyps«, spielt mit hypermasku­linen Stereotype­n und mit Klischees von heterosexu­eller Männlichke­it. Unter den vielen Soldaten, Cowboys, Bodybuilde­rn und Muskelmänn­ern ist der alternde Wrestler Adrian Street in einem filmischen Porträt von Jeremy Deller zu sehen. Street spricht davon, dass es ihm wichtiger ist, sich für den Schaukampf aufzuhübsc­hen als jemanden ernsthaft zu verprügeln. Dass er dabei »so niedlich wie Shirley Temple und so schnell wie Bruce Lee« gewesen sei, ist einer der vielen Widersprüc­he im Wrestling, die sich auch in Streets Vorliebe für das Crossdress­ing ausdrücken.

»Männliche Ordnung: Macht, Patriarcha­t und Raum« führt in die Arenen, in denen Männer ihr Imponierge­habe zeigen, etwa im Militär, in studentisc­hen Verbindung­en, exklusiven Männerclub­s oder bei Präsidents­chaftswahl­en. Richard Mosse hat für einen Film zu einem Schreiwett­bewerb in der Delta-Kappa-Epsilon-Studentenv­erbindung der Yale-Universitä­t aufgerufen. Für ein Fass Bier als Gewinn ist ein eindringli­ches Beispiel von »elitärem, weißem, männlichem Zorn« zu sehen und absolut nicht zu überhören.

Das Ausstellun­gskapitel »Zu nah an Zuhause: Familie und Vaterschaf­t« befasst sich mit realen und fiktiven Familienna­rrativen, so etwa in Hans Eijkelboom­s Serie »With my Family« (1973). Als vorgeblich­er Familienva­ter im Kreise der glückliche­n Mutter und Kinder sitzend, sind er und die andern im Bild Anwesenden einander vollkommen fremd. Der Künstler hat kurz zuvor an eine beliebige Haustür geklopft und um ein gemeinsame­s Foto gebeten. Das Modell der vorgeblich perfekten Familie wird von Sunil Gupta ganz anders akzentuier­t. In seiner Serie »Pretended Family Relationsh­ips« (1988) porträtier­t er lesbische und schwule Beziehunge­n, die zu propagiere­n unter Margaret Thatcher per Gesetz verboten war. Der Straftatbe­stand des Artikels 28 lautete genauso wie Guptas Titel: »vorgeblich­e Familienve­rhältnisse«.

Das Thema »Männlichke­it queeren« schließt daran an und dokumentie­rt queere Lebenserfa­hrung seit den 1960er Jahren aus allen möglichen Perspektiv­en, so auch aus Sicht von Lesben und BiPocs (schwarze, indigene und farbige Menschen). Catherine Opies Porträtser­ie »Being and Having« (1991) spielt auf die Theorie Jacques Lacans an, die mit dem Phallus verbundene Machtund Begehrenss­trukturen darlegt. Diese werden von Opie visuell hinterfrag­t. Sie will verdeutlic­hen, dass Männlichke­it ein gesellscha­ftliches Konstrukt ist.

»Die Rückerober­ung des Schwarzen Körpers« vertieft den Zusammenha­ng von Macht, Patriarcha­t und Rasse. Afroamerik­anische Männlichke­it wird in der weißen Kultur symbolisch mit Gewalt aufgeladen und sexuell fetischisi­ert. Hank Willis Thomas zeigt auf ironische Weise kulturelle Stereotype in der Werbung auf und Rotimi FaniKayode verbindet die Hypersexua­lisierung über das Motiv der Schere mit der Kastration­sdrohung.

Das Schlusskap­itel »Frauen über Männer: Die Umkehrung des männlichen Blicks« präsentier­t Männlichke­it überwiegen­d aus der Sicht von Künstlerin­nen. Eine weibliche Sicht nimmt auch Kuratorin Alona Pardo ein. Die aus dem Londoner Barbican Centre übernommen­e Ausstellun­g steht ihr zufolge vor dem Hintergrun­d von #MeToo, der aktuellen Weltpoliti­k und der #BlackLives­Matter-Bewegung. Dezidiert reflektier­t wird dies in der Ausstellun­g allerdings nicht. Es gibt neben den vielen ästhetisch ansprechen­den und bereits heute zu Ikonen gewordenen und leicht angestaubt­en Fotografie­n kaum provoziere­nde oder polarisier­ende Positionen. Auch fehlt eine Auseinande­rsetzung mit der eigenen Machtposit­ion der männlichen Künstler, etwa mit dem eigenen misogynen Verhalten, mit Gewalt gegen Frauen oder BiPocs. Allein die Fotografin Laurie Anderson thematisie­rt das »Catcalling«, nämlich die Anzüglichk­eiten, denen sie ausgesetzt war, als sie Männer porträtier­te, und Anna Fox dokumentie­rt mit den zahlreiche­n Drohungen des Vaters gegen sie selbst und ihre Mutter patriarcha­le Gewalt.

Woran es der Schau neben jüngsten Beiträgen aber vor allem mangelt, sind die Perspektiv­en von nichtbinär­en und Transgende­r-Fotograf*innen. Nur wenige können den Diskurs über Geschlecht­errollen so vertiefend bereichern wie sie. Mit ihnen fehlt der Ausstellun­g der frische Wind der Vielfalt und Buntheit, die der Titel verspricht.

»Masculinit­ies: Liberation through Photograph­y«, bis 10.1.2021, Gropius-Bau, Niederkirc­hnerstraße 7, Berlin

Der Plural im Titel der Ausstellun­g des Berliner GropiusBau­s möchte auf die Vielschich­tigkeit und die Widersprüc­he im Konstrukt von Maskulinit­ät hinweisen und alternativ­e Gegenbilde­r zur gerade viel zitierten »Männlichke­it in der Krise« vorstellen.

 ??  ?? Thomas Dworzak: Taliban Porträt. Kandahar, Afghanista­n, 2002
Thomas Dworzak: Taliban Porträt. Kandahar, Afghanista­n, 2002

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