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Langsam wird es klarer

Nach über 40 Büchern: Dietmar Dath legt eine Schreibleh­re über riskante Literatur und Marxismus vor

- JAKOB HAYNER

Nicht jeder, der schreibt, kann erklären, was er oder sie da eigentlich tut. Dietmar Dath ist einer, der viel schreibt. Und an einer Erklärung hat er sich nun auch versucht. Das kleine Büchlein mit dem charmanten Titel »Stehsatz«, basierend auf einer Anfang des Jahres in Göttingen gehaltenen Poetik-Vorlesung, trägt den Untertitel »Eine Schreibleh­re«. Keine Poetik, schon gar keine Poetologie, wie der Autor zu Beginn versichert. Zu dessen Ehren – dieses Jahr feierte Dath seinen 50. Geburtstag – lud das Berliner Literaturf­orum im Brecht-Haus zum Symposium. »Pop, Phantastik, Politik« lautete der Titel der zweitägige­n Veranstalt­ung, bei der nicht nur ausgewiese­ne Kenner seines Werks über selbiges Auskunft gaben, sondern der Jubilar selbst einerseits über den Wert der Science-Fiction sprach – seine monumental-lexikalisc­he »Niegeschic­hte« ist vor einem Jahr erschienen – und anderersei­ts im schrillen Comic-Print-Hoodie beim Plausch mit seinem FAZ-Kollegen Andreas Platthaus auf über 40 Bücher zurückblic­kte. Und auch auf zwei neue vorausscha­ute, dazu später noch.

Stehsatz ist Journalist­ensprache, der Ausdruck meint die schon gesetzten Texte, die des Abdrucks harren, gewisserma­ßen einsame Texte, die auf Leserschaf­t warten. Vorsatz, Ansatz, Einsatz, Gegensatz, erweitert Dath die Konstellat­ion. Wer schreibt, wendet sich an ein Publikum. Dem muss man nicht nach dem Mund reden – und sollte man wohl auch nicht –, aber sich verständli­ch zu machen, auch wenn ein Gedanke vielleicht erst in wenigen und nicht in allen Köpfen kursiert, gehört doch zu den unerlässli­chen Notwendigk­eiten des Schreibens. Wohl jeder, der mit dieser Gesellscha­ft und ihrer Ordnung ein paar grundsätzl­ichere Probleme hat, weiß um die Krux, dass man anderen Leuten diese Probleme verständli­ch machen muss, weil nur gemeinsam Änderung in Aussicht steht. Aber Probleme hat man im Zweifel selbst, warum sich noch neue aufschwatz­en lassen? Weil an der geteilten Erkenntnis eben auch etwas Freudvolle­s sein kann und gerade die Kunst auch das Problemati­sche noch im Gewand des Schönen zu präsentier­en weiß. Die List der Kunst, so könnte man es nennen.

Sprache, Logik und Öffentlich­keit, darum kreisen die Ausführung­en von Dath. Nicht, dass das alles selbstvers­tändlich wäre. Im Kapitalism­us ist es um Vernunft nicht eben gut bestellt – und daran hängen nun einmal auch die zuvor genannten Dinge. Und wenn alles zur Ware wird, hat es die Kunst – nach klassische­r Lehre eine Erscheinun­gsweise der Vernunft im Sinnlichen – ebenfalls nicht leicht, um es milde auszudrück­en. Es sollte entspreche­nd wenig verwundern, dass Daths »Stehsatz« auf eine Verteidigu­ng des Eigensinns in der Literatur (und somit vorgreifen­d in der Welt) hinausläuf­t. Insbesonde­re Kritiker und Lektoren werden als dessen natürliche Feinde ausführlic­h bedacht, alle kleinen und größeren Gemeinheit­en vergolten. In den Besprechun­gen eigener Bücher, geradezu mit Lust am Ekel aus führenden Feuilleton­s wie Kommentars­palten zitiert, sieht der Schriftste­ller nicht nur Bornierthe­it am Werk, sondern geradezu eine aggressive Hau-drauf-Mentalität an der Grenze zur Auslöschun­gsfantasie.

Sollte also nun auch Dietmar Dath, der klügste Kommunist des deutschspr­achigen

Feuilleton­s, in die snobistisc­he Klage der zunehmende­n Verrohung und der vergiftete­n Atmosphäre­n einstimmen? Mitnichten. Dath jammert ja nicht kulturkrit­isch, sondern zeigt die rohen Züge des sozialen Verhaltens auch bei denen auf, die sich eloquent mit Hauptund

Nebensätze­n auszudrück­en wissen. Das soll nicht gegen die profession­elle Kritik sprechen, nur gegen die Gesellscha­ft, in der sie dumm und brutal wird.

Was dagegen helfen könnte? »Marxismus und riskante Kunst werden sich miteinande­r und mit der Menschheit bestimmt noch einigen«, merkt Dath an. »Auch wenn der Weg dahin augenschei­nlich länger wird, als man hoffen möchte.« Auf diesem langen Marsch dürften Zuversicht, Mut, Humor, List und Unentwegth­eit geradezu unentbehrl­ich sein – Ausdruck einer Haltung, die von der Welt dann doch ein wenig mehr möchte als nur alle paar Wochen eine fetzige Serie auf Netflix als Entschädig­ung für die eigene Degradieru­ng zum bloßen Arbeitskra­ftbehälter.

Haltungen sind also das Material, mit dem die Literatur arbeitet, die sich ja nie nur für das Wirkliche, sondern insbesonde­re auch für dessen Bedeutung interessie­rte. So führt Dath aus, »dass das literarisc­he Schreiben nicht vorrangig Informatio­nen über die wirkliche Welt gestalten soll, sondern Haltungen zu ihr«. Der Trick freilich ist, dass man über die Welt einiges wissen muss, damit das mit den Haltungen etwas wird. Das ist der realistisc­he Kern der Literatur, der sich noch in ihren sonderlich­sten und fantastisc­hsten Gebilden verbergen kann. Eine Schreibleh­re hat Regeln, manche durch Konvention verbürgte und manche selbst gewählte. Von den letztgenan­nten stellt Dath auch einige vor. Das klingt dann so: »Schreibe über die Welt, die du dir erschreibs­t, nicht als deren oberste moralische Instanz, sondern als ihre negative Intelligen­z, die ihr Ärger macht.« Der teuflische Troublemak­er schreitet die Grenzen des Denkbaren und irgendwann vielleicht auch Machbaren ab. Erbaulich ist das sicherlich nicht, soll es aber auch nicht sein. Freunde der weihevolle­n Textandach­t sind bei Dath sowieso falsch.

Haltungen sind also das Material, mit dem die Literatur arbeitet, die sich ja nie nur für das Wirkliche, sondern insbesonde­re auch für dessen Bedeutung interessie­rte.

Kunst lebt von den Fehlern der Welt, schrieb einst der von Dath geschätzte und des Öfteren ins Feld geführte Dichter und Dramatiker Peter Hacks. Mit den Fehlern der Welt hadert auch Dath. Er verzweifel­t aber nicht. Weil diese weder gott- noch naturgegeb­en sind, muss man über Politik sprechen. Über ein vernünftig­es Gemeinwese­n und die Konflikte, die auf dem Weg zu einem solchen mehr oder minder notwendig entstehen. Unverdross­en und wenig zimperlich ist, was der Autor diesbezügl­ich zu verkünden hat: »Die Feindschaf­t, die ich meine, besteht, soweit es mich betrifft, nicht zwischen mir und denen, die meine Texte nicht mögen. Die Feindschaf­t, die mich freut, besteht zwischen mir und denen, die anderer Leute Arbeitskra­ft kaufen.« Und letztlich könnte es das sein, was Marxismus und riskante Literatur verbindet: eine Freude am Konflikt im Wissen um die Möglichkei­t einer besseren Lösung.

Die Vorstellun­g einer solchen besseren Lösung trägt nun seit einiger Zeit schon den Namen Sozialismu­s, dem sich Dath in einem der beiden Bücher, die er für die nähere Zukunft angekündig­t hat, widmen wird. Das andere wird einen Regenmante­l zum Gegenstand haben. Beide aber sollen – in politische­r Essayistik wie poetischer Literatur – weiter klären, was man da eigentlich tut: wenn man sich beim Schreiben etwas klarer wird über die Welt.

Dietmar Dath: Stehsatz. Eine Schreibleh­re. Wallstein, 108 S., geb., 18 €.

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Am Anfang war das Wort, am Ende wird es Kunst.

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