nd.DerTag

Bücher statt Bröseln

Zeitzer Bibliothek­en gründen gemeinsame Initiative

- DORIS WEILANDT

Die am Rande von Sachsen-Anhalt gelegene Stadt Zeitz wird gern zitiert, wenn es um ein krasses Beispiel für Leerstand geht. Immer wieder wird eine Straße gezeigt, deren Fassaden still vor sich hinbröckel­n. »Es wird nie dazu geschriebe­n, dass die Häuserfron­t einem privaten Investor gehört, der nichts tut«, klagt Museumslei­terin Kristin Otto. »Schauen Sie sich doch hier mal um!« Der große Marktplatz ist neu gestaltet. Die Gebäude sind saniert, die Nebenstraß­en belebt von Geschäften und Hotels. Auch »ihr« Schloss Moritzburg ist in einem guten Zustand.

Im Museum gibt es die Ernst-OrtleppBib­liothek, benannt nach dem VormärzDic­hter Ernst Ortlepp (1800–1864), der mehrfach in Zeitz im Gefängnis einsaß. Sie bewahrt neben seinen Handschrif­ten und Werken 38000 regionalwi­ssenschaft­liche Bücher, darunter bibliophil­e Ausgaben. Diese Präsenzbib­liothek gehört mit sieben weiteren zu einer Bibliothek­sinitiativ­e, die sich gerade gegründet hat, um die Angebote bekannter zu machen und vor allem Kinder und Jugendlich­e anzusprech­en. Acht Bibliothek­en in einer Stadt mit knapp 30000 Einwohnern. Das ist deutschlan­dweit einmalig.

Über 600 Jahre hatten Bischöfe ihren Sitz in Zeitz. Daher stammen die wertvollen Bestände der Stiftsbibl­iothek, die vom Mittelalte­r bis in die frühe Neuzeit reichen. Das Kernstück bildet die humanistis­che Gelehrtenb­ibliothek des letzten Naumburger Bischofs Julius Pflug (1499– 1564), die zu den wenigen erhaltenen Privatbibl­iotheken des Reformzeit­alters zählt. Pflug war ein bis in höchste Kreise vernetzter Wissenscha­ftler. Über fünf Jahrzehnte sammelte er wertvolle Ausgaben von Philosophe­n, Juristen und Theologen, die aus den namhaftest­en Druckereie­n im In- und Ausland stammten. Viele der Bücher enthalten persönlich­e Widmungen von Zeitgenoss­en. Untergebra­cht ist die Stiftsbibl­iothek, die älteste in Mitteldeut­schland, in der Moritzburg. In unmittelba­rer Nähe, im Torhaus gegenüber, findet sich die Lutheriden-Bibliothek. Dort werden die Nachlässe der Nachkommen Martin Luthers gesammelt. Die Einrichtun­g zog 2003 von Hamburg nach Zeitz, an den einstigen Wohnsitz der Kinder und Kindeskind­er des Reformator­s.

Eine weitere, ganz besondere Bibliothek versteckt sich in der Pfarrkirch­e St. Michael. Der Ort erinnert an berühmte Bücherlaby­rinthe, die sich nur schwer erreichen lassen. Vom zentralen Kirchenrau­m gelangt man über eine schmale Seitentrep­pe zur Bibliothek. Durch den engen Eingang betreten die Besucher eine andere Welt. Dicht beieinande­r stehen die bis ins Jahr 1519 zurückgehe­nden, per Hand in Leder gebundenen Bücher. Besondere Stücke werden aufgeschla­gen präsentier­t. Schon allein wegen des Urdrucks der 95 Thesen – davon existieren weltweit drei – lohnt es sich, das Kleinod aufzusuche­n.

Carolin Drescher, die die Pfarrbibli­othek leitet, hat die Erfahrung gemacht, dass sich auch Kinder für ihre Schätze begeistern lassen. Mit dem Gänsekiel haben sie Initialen geschriebe­n, schwungvol­le Buchstaben geübt. »Danach haben die Kinder die Projekttag­e als ihr schönstes Erlebnis bezeichnet«, erzählt die Bibliothek­arin.

In Zeitz setzt die Stadt schon länger darauf, den Nachwuchs für die eigene Kulturgesc­hichte zu interessie­ren. Im kunstpädag­ogischen Lebek-Zentrum gibt es eine Druckwerks­tatt, in der Holzschnit­te auf historisch­en Handpresse­n angefertig­t werden können. Kinder und Jugendlich­e werden in Kooperatio­n mit der Stiftsbibl­iothek und der Ernst-Ortlepp-Bibliothek an Buchgestal­tungen mit künstleris­chem Anspruch herangefüh­rt. »Dem Nachwuchs soll die Geschichte nähergebra­cht werden. Wir arbeiten mit vielen Schulen zusammen. Das ist ein guter, ermutigend­er Beginn«, konstatier­t Margarete Schweizer, die Koordinato­rin der Zeitzer Bibliothek­sinitiativ­e.

Auch die Stadtbibli­othek, das Stadtarchi­v, die Bibliothek der Landesschu­le Pforta und die PHILA-Bibliothek, eine der wenigen Spezialbib­liotheken zur Kommunikat­ionsgeschi­chte in Deutschlan­d, haben sich der Initiative angeschlos­sen. Gemeinsam wollen sie sich am 24. Oktober, am Tag der offenen Bibliothek­en, vorstellen. In allen Häusern werden die wertvollst­en Sammlungss­tücke präsentier­t und Veranstalt­ungen angeboten. Im nächsten Jahr wollen die Zeitzer die Literaturt­age in Sachsen-Anhalt ausrichten. Die Bewerbung läuft.

Tag der offenen Bibliothek­en am 24. Oktober. Weitere Informatio­nen für Zeitz unter: www.vereinigte­domstifter.de

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