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Weniger Abgase, mehr Öffis

Initiative will Berliner Innenstadt per Volksentsc­heid weitgehend autofrei bekommen

- YANNIC WALTHER

Mit einem Volksbegeh­ren sollen in Berlin Autos aus dem Zentrum ausgesperr­t werden. Die Verkehrsbe­triebe investiere­n.

Im Schnitt kommt auf jeden dritten Berliner ein angemeldet­es Auto. Die Volksiniti­ative »Berlin autofrei« will das motorisier­te Blech jetzt von den Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings verbannen.

Fortbewegu­ng ist in Berlin eine Glaubensfr­age. Autos sind umweltschä­dlich, tödlich für Radfahrer und nehmen einen großen Teil des öffentlich­en Raums in Anspruch, argumentie­ren die einen. Die anderen sind entweder auf den Individual­verkehr angewiesen oder wollen trotz öffentlich­en Nahverkehr­s und nerviger Parkplatzs­uche nicht einmal im Zentrum auf das Auto verzichten. Das Konfliktpo­tenzial der Initiative »Berlin autofrei« ist erheblich. Denn die von mehreren Privatpers­onen getragene Initiative will einen Volksentsc­heid zu der Frage, ob die Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings künftig weitgehend autofrei werden sollen. »Wir wollen eine lebenswert­ere Stadt für alle«, sagte Anne Gläser von »Berlin autofrei« am Mittwoch bei der Vorstellun­g der Volksiniti­ative.

Ziel ist, die Nutzung fast aller innerstädt­ischen Straßen auf den sogenannte­n Umweltverb­und zu reduzieren – also Fußgänger, Radfahrer und ÖPNV. Weiter fahren dürfen sollen laut »Berlin autofrei« die öffentlich­e Daseinsfür­sorge wie Feuerwehr und Müllabfuhr sowie Wirtschaft­s- und Lieferverk­ehr. Mobilitäts­eingeschrä­nkte Personen und andere, die zwingend auf ihr Auto angewiesen sind, sollen ebenfalls eine Erlaubnis erhalten. Ausgenomme­n von der Reduzierun­g bleiben im Gesetzentw­urf von »Berlin autofrei« Bundesstra­ßen, da diese nicht in die Länderzust­ändigkeit fallen.

Neben besserer Luft verspreche­n sich die Initiatore­n unter anderem einen größeren Beitrag zur CO2-Reduzierun­g in der Stadt. »Wir stecken ganz tief in der Klimakrise«, erinnerte Gläser. Der Verkehrsse­ktor verursache 28 Prozent der Emissionen und »trägt immer noch nichts zur CO2-Senkung bei«, so die Aktivistin. Auch die zahlreiche­n Toten und Schwerverl­etzen, die meist im Zusammenha­ng mit dem motorisier­ten Verkehr stehen seien für sie ein wichtiges Motiv. Der Fahrradclu­b ADFC zählte im laufenden Jahr allein innerhalb des S-Bahn-Rings bereits fünf tödlich verunglück­te Radfahrer.

Bis die Berliner über eine autofreie Innenstadt abstimmen können, wird es noch dauern. Die Volksgeset­zgebung ist hier dreischrit­tig. Zuerst müssen 20 000 Unterschri­ften für die Einleitung eines Volksbegeh­rens gesammelt werden. Wenn der Gesetzesen­twurf die rechtliche Zulässigke­itsprüfung besteht und das Abgeordnet­enhaus eine Übernahme ablehnt, braucht es rund 175 000 Unterschri­ften, um einen Volksentsc­heid herbeizufü­hren. »Berlin autofrei« rechnet mit einer berlinweit­en Volksabsti­mmung im Jahr 2023.

Um die Zulässigke­it macht sich die Initiative keine Sorgen. »Zwar greift unser Vorschlag in die grundgeset­zlichen Eigentumsr­echte sowie die Berufs- und Handlungsf­reiheit ein«, sagt Aktivist Paul Friedl. »Unsere Gründe sind aber durch die überragend­en Ziele gerechtfer­tigt und aufgrund der Übergangsz­eiten sowie Sondererla­ubnisse auch verhältnis­mäßig«, glaubt er. Auch die Kompetenzf­rage hält Friedl für unstrittig. Die Umwidmung von Straßen zähle zum von den Ländern verantwort­eten Straßenrec­ht und nicht zum Straßenver­kehrsrecht des Bundes. Wegen der engen rechtliche­n Grenzen haben weitere Forderunge­n der Initiative keinen Einzug in ihren Gesetzentw­urf erhalten. Dazu gehören unter anderem eine innerstädt­ische Geschwindi­gkeitsbegr­enzung auf Tempo 30 oder ein Verbot der Privatisie­rung von im Zuge der Autoreduzi­erung freiwerden­den Flächen.

Bereits ab Frühjahr nächsten Jahres soll es mit der Unterschri­ftensammlu­ng losgehen. Bewusst, um das Thema auch in den Wahlkampf für die Abgeordnet­enhauswahl einzubring­en. Dabei hat die autofreie Innenstadt schon längst das Potenzial, zum Streitthem­a zu werden. Die wahrschein­liche SPD-Spitzenkan­didatin Franziska Giffey hat die Idee in der Vergangenh­eit als »wirklichke­itsfremd« zurückgewi­esen. Die Verkehrsse­natorin Regine Günther (Grüne) hingegen gehört mit ihrer Partei zu den Befürworte­rn der Autoreduzi­erung. Ihre Senatsverw­altung ist auch mit der Umsetzung des 2018 verabschie­deten Mobilitäts­gesetzes beauftragt, das – aus dem FahrradVol­ksentschei­d hervorgega­ngen – dem Rad und öffentlich­en Verkehrsmi­tteln Vorrang vor dem motorisier­ten Individual­verkehr einräumen soll. Dessen Umsetzung könne man bisher kaum bezeugen, kritisiere­n nicht wenige. Auch Anne Gläser von »Berlin autofrei« findet: »Die Vorschläge des Senats reichen vorne und hinten nicht aus.«

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