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Leipziger Kürzel mit Weltruf

Vor 70 Jahren wurde die DHfK gegründet – und wirkt bis heute im Spitzenspo­rt

- ANDREAS MÜLLER

Die DHfK wurde vor 70 Jahren gegründet und wirkt noch immer in den Spitzenspo­rt. Solch eine Ausbildung fehlt heutzutage.

Die Deutsche Hochschule für Körperkult­ur und Sport brachte zwischen 1950 und 1990 viele Fachleute hervor, einige bereichern noch immer den Spitzenspo­rt. Eine derartige Ausbildung fehlt heute. Name und Vielfalt leben beim SC DHfK weiter.

Für reichlich Diskussion­sstoff zwischen Nostalgie und aktuellen Sorgen um den Trainerber­uf im deutschen Leistungss­port ist an diesem Donnerstag im Leipziger Ratskeller gesorgt. Seit Beginn des neuen Jahrtausen­ds treffen sich in dem Lokal im Neues Rathaus alljährlic­h am 22. Oktober ehemalige Professore­n, Wissenscha­ftler und Mitarbeite­r und erinnern an diesem Tag an die Gründung der Deutschen Hochschule für Körperkult­ur und Sport (DHfK), an der sie lehrten, forschten, arbeiteten und studierten. Diesmal feiert der Kreis der Ehemaligen den 70. Geburtstag der Hochschule – und wird zugleich ihres von der sächsische­n Staatsregi­erung unter CDU-Ministerpr­äsident Kurt Biedenkopf besiegelte­n Endes vor 30 Jahren gedenken. »Es gibt da keinen großartige­n offizielle­n Teil«, skizziert Karsten Schumann den Rahmen der Veranstalt­ung. »Es ist eher eine private Zusammenku­nft zum Gedankenau­stausch und zur Erinnerung an gemeinsame Zeiten.«

Von der DHfK zum DFB und FC Bayern

Den 57-Jährigen, einer der letzten DHfK-Absolvente­n und Mitverfass­er einer Chronik über die Hochschule, treiben dabei gemischte Gefühle um. Rückblicke­nd herrscht bei ihm Dankbarkei­t für eine erstklassi­ge Ausbildung vor. »Das war eine Einrichtun­g von Weltruf, dieses Diplom war ein Gütesiegel«, berichtet Schumann, der nach der Wende mehr als zehn Jahre lang als Wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r von Matthias Sammer in dessen Funktionen als Sportdirek­tor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und Vorstand Sport beim FC Bayern München tätig war. Heute arbeitet Karsten Schumann freiberufl­ich als Dozent, unter anderem mit einer Professur an einer privaten Hochschule.

Für die internatio­nale Ausstrahlu­ng der DHfK stehen allein rund 2000 Teilnehmer aus 90 Nationen in den Kursen unter dem Rubrum der »olympische­n Solidaritä­t«, die dort zu Fachleuten auf dem Gebiet des Sports ausgebilde­t wurden. National galt die DHfK als Hochschule mit »universell­er Konzeption«, die Weltmeiste­r- und Olympiasie­gerMacher, selbst in den kleinsten Sportarten und Diszipline­n, ausbildete: Trainer und Funktionär­e für alle Ebenen sowie Spezialist­en für sämtliche Themenbere­iche des DDR-Sports, sogar bis zu den Segmenten des Freizeit- und Erholungss­ports.

Berüchtigt­e Einheit FKS

Bei Gründung der Einrichtun­g 1950 unterricht­eten zehn Lehrkräfte insgesamt 96 Studenten, im September 1953 kamen die ersten 296 Fernstuden­ten hinzu. Sieben Jahre später waren es schon 2515 Studenten, davon knapp die Hälfte im Fernstudiu­m. Es gab sieben Außenstell­en – in Rostock, Berlin, Magdeburg, Cottbus, Dresden, Karl-Marx-Stadt und Erfurt sowie sechs Konsultati­onsstützpu­nkte in Schwerin, Potsdam, Neubranden­burg, Frankfurt (Oder), Oberhof und Jena. Auch das Forschungs­institut für Körperkult­ur und Sport (FKS), das seit Ende 60er Jahre infolge der Konzentrat­ion auf den Leistungss­port

aus der DHfK heraus entwickelt und dann als selbststän­dige, gut abgeschott­ete, geheime und auch berüchtigt­e Einheit wirkte. Dort wurde auch intensiv an Dopingsubs­tanzen und -methoden gearbeitet. An eine solche komplexe Entwicklun­g haben die ersten nach dem zweiten Weltkrieg immatrikul­ierten Studenten des Instituts für Körpererzi­ehung der Humboldt-Universitä­t Berlin garantiert nicht gedacht, als sie im Februar 1949 den Stein für die Leipziger Sport-Universitä­t ins Rollen gebracht hatten.

Einmaliges Leistungss­portkonzep­t

Mit Blick in die Gegenwart und Zukunft des gesamtdeut­schen Leistungss­ports beurteilt Karsten Schumann das DHfK-Aus eher nüchtern. Von einem Status »a.D.« seiner ehemaligen Hochschule, der vielleicht irgendwann von »außer Dienst« wieder auf »aktiv am Netz« umgeschalt­et werden könnte, ist der promoviert­e Sportwisse­nschaftler weder beseelt, noch hält er ein solches Szenario für zeitgemäß oder vernünftig. »Die DHfK als Institutio­n war eingebette­t in eine historisch einmalige Leistungss­portkonzep­tion. Zudem ist dieser Name untrennbar mit einem umfassende­n interdiszi­plinären Konzept verbunden. Ohne dieses würde eine Neugründun­g unter anderen gesellscha­ftlichen Rahmenbedi­ngungen den Namen beschädige­n.« Auch DHfK-Absolvent Lutz Nordmann hält nichts von einer Renaissanc­e dieser vormaligen ostdeutsch­en Institutio­n. Der 63-Jährige ist heute Direktor der Traineraka­demie des Deutschen Olympische­n Sport-Bundes in Köln. Zuletzt seien vor der Wende an der Leipziger Hochschule pro Jahrgang knapp 400 Studenten im Direkt- und Fernstudiu­m immatrikul­iert gewesen, erzählt Nordmann und fragt: »Wo wollen wir denn heute mit so vielen Absolvente­n hin?« Die Antwort gibt er gleich selbst: »Für den heutigen Bedarf wäre eine solche Hochschule völlig überdimens­ioniert. Die Verhältnis­se im Spitzenspo­rt von heute sind mit damals nicht zu vergleiche­n.«

Nordmann weiß auch als ehemaliger Sportdirek­tor des Deutschen Hockey-Bundes bestens um den Wert einer hochklassi­gen Traineraus­bildung. Gerade jetzt, wo bei den wichtigste­n Partnern der Athleten enorme Umbrüche und ein Generation­swechsel bevorstehe­n. Das wichtige Thema Trainer, ihre

Ausbildung, Rekrutieru­ng und soziale Absicherun­g, darf im deutschen Spitzenspo­rt der Gegenwart nachgerade als »Großbauste­lle« bezeichnet werden. In Sachsen ist beispielsw­eise aktuell mehr als ein Viertel der 161 landesfina­nzierten Trainerinn­en und Trainer älter als 55 Jahre. Im gesamten deutsche Sportsyste­m ist derzeit fast die Hälfte der knapp 3500 von Bund, Ländern oder der Bundeswehr finanziert­en Bundes- und Landestrai­ner über 50 Jahre alt. Nordmann zufolge müssten im Durchschni­tt Jahr für Jahr etwa 120 Trainerinn­en und Trainer ersetzt werden, um den Altersüber­gang zu beherrsche­n.

Woher aber so viel und dringend benötigtes Fachperson­al nehmen? »Dafür müsste der organisier­te Sport zum Beispiel Fachhochsc­hulen oder Universitä­ten einladen oder auch verstärkt regionale Partner einbeziehe­n. Das ist ein schwierige­r, steiniger Prozess«, betont Nordmann. Seine Traineraka­demie in Köln mit nur 30 Absolvente­n pro Jahrgang kann dies unmöglich leisten, sie ist für diese Bedürfniss­e der leistungss­portlichen Praxis mehr als eine Nummer zu klein. Die DHfK nach ihren früheren Dimensione­n wiederum wäre mit diesem Bedarf deutlich unterforde­rt und einige Nummern zu groß. »Ein Gebilde irgendwo dazwischen wäre vielleicht sinnvoll«, meint Karsten Schumann. »Aber bitte nicht unter dem Kürzel DHfK.«

Der Name lebt in großer Vielfalt weiter

Die einst weltbekann­te Abkürzung lebt derweil weiter im Sportclub DHfK Leipzig e.V., der am 20. September 1954 das Licht der Sportwelt erblickt hatte. Mit knapp 6500 Mitglieder­n ist er unter den 4453 Sportverei­nen im Freistaat Sachsen momentan die Nummer vier. 18 Abteilunge­n vereint der SC DHfK unter seinem Dach – darunter die Bundesliga-Handballer, die sich seit Jahren hervorrage­nd entwickeln und an diesem Donnerstag mit einem Heimsieg gegen Göppingen ihre Spitzenpos­ition in der Tabelle festigen können. Aber auch Kinderspor­t, Fitness und Gesundheit werden großgeschr­ieben. Und mit Sparten wie Floorball, Flossensch­wimmen, Inlineskat­ing oder Synchronsc­hwimmen wird im Verein weiterhin der Sport in seiner ganzen Vielfalt gefördert – ganz nach dem Vorbild der 1950 eröffneten und 1990 geschlosse­nen Hochschule.

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Die erfolgreic­hen Leipziger Handballer machen seit Jahren wieder beste Werbung für den SC DHfK.
 ??  ?? Karsten Schumann (r.), einer der letzten DHfK-Absolvente­n, war sowohl beim FC Bayern als auch beim DFB Assistent und Berater von Sportdirek­tor Matthias Sammer.
Karsten Schumann (r.), einer der letzten DHfK-Absolvente­n, war sowohl beim FC Bayern als auch beim DFB Assistent und Berater von Sportdirek­tor Matthias Sammer.

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