nd.DerTag

Verbalatta­cke als Gewalt

Haft ohne Bewährung für Linke wegen Anschreien­s von Polizisten

- PETER NOWAK

Laut Nürnberger Amtsgerich­t reicht es mittlerwei­le, Polizist*innen anzuschrei­en, um wegen Widerstand­s gegen Vollstreck­ungsbeamte und Beleidigun­g ins Gefängnis zu kommen.

18 Monate und 15 Monate Haft. So lautete das jüngst bekanntgeg­ebene Urteil des Amtsgerich­t Nürnberg gegen zwei Linke. Den 32 und 51 Jahre alten Männern wurde vorgeworfe­n, Polizist*innen verbal angegriffe­n zu haben. Das Urteil sorgte für Aufmerksam­keit, weil es nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dabei hatte selbst das Gericht anerkannt, dass die Angeklagte­n die Polizist*innen nicht einmal berührt hatten.

Gegenstand des Urteils ist ein Polizeiein­satz im Juni 2019 im linksalter­nativen Nürnberger Stadtteil Gostenhof. Lange Zeit lebten in dem Stadtteil vor allem Menschen mit geringen Einkommen. Dazu ist er eine Hochburg der Linken. So gibt es hier Stadtteilz­entren wie die »Schwarze Katze«. Dort treffen sich Menschen, die sich gegen die Verdrängun­g Ärmerer aus dem Viertel wehren. Das Zentrum liegt wiederum in der Nähe des Jamnitzerp­latzes, wo in den letzten Jahren viele Gutverdien­ende eingezogen sind. Die klagen oft über Menschen, die im Sommer auf dem Platz sitzen und Bier trinken.

So war es auch Ende Juni 2019. Die Polizei war wegen Ruhestörun­g gerufen worden. Zwei Beamte kamen – und trafen auf eine Menge, die sich nicht vertreiben lassen wollte und Parolen wie »Haut ab, haut ab« schrie. Unterstütz­t worden seien sie dabei von etwa 60 Menschen, die aus dem Stadtteill­aden »Schwarze Katze« kamen. Die beiden nun verurteilt­en Männer sollen Teil der

Gruppe gewesen sein. Die Polizist*innen zogen sich zurück und beklagten anschließe­nd psychische Gewalt durch die Rufe. »Ich habe mich so bedroht gefühlt, dass ich mich mittlerwei­le auf eine andere Stelle beworben habe«, sagte einer der beiden. Seine Kollegin bestätigt: »Wir wurden eingekreis­t, wir wurden die ganze Zeit angebrüllt«.

In Artikeln der Regionalpr­esse hieß es im Zusammenha­ng mit dem Vorfall und dem Prozess, die Polizei könnte die Kontrolle in Stadtteile­n wie Gostenhof verlieren. Darauf ging auch die Staatsanwa­ltschaft in ihrem Plädoyer ein. So berichtete­n Prozessbeo­bachter*innen, die Anklage finde es grundsätzl­ich problemati­sch, wenn sich Menschen ablehnend zu Polizeimaß­nahmen verhalten und dies auch noch durch gemeinscha­ftlich skandierte Parolen zum Ausdruck bringen. Der Richter erklärte, es müsse verhindert werden, dass in Nürnberg Zonen entstehen, in denen die Polizei sich nicht durchsetze­n kann.

Rechtsanwa­lt Iñigo Schmitt-Reinholtz, der einen der Verurteilt­en vertritt, vermutet, dass mit dem harten Urteil ein Exempel statuiert werden sollte. Er kritisiert auch, dass die beiden Männer willkürlic­h aus einer Gruppe herausgegr­iffen wurden, die Parolen gegen die Polizei skandierte.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig, weil die Männer Berufung eingelegt haben. Bisher gab es vor allem harte Urteile, wenn Polizist*innen im Einsatz berührt wurden. Dafür wurden zuletzt im Vorfeld des G20-Gipfels 2017 in Hamburg die Gesetze verschärft. Seither können auch Demonstran­t*innen, die unbeabsich­tigt oder in einer unübersich­tlichen Situation Polizist*innen berühren oder mit einer Fahne streifen, zu hohen Strafen verurteilt werden.

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