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Verfassung­sänderung braucht linke Handschrif­t

Sachsens Linke-Fraktionsc­hef Gebhardt: Korrekture­n bei Schuldenbr­emse notwendig

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Sachsens Linke hat auf einem Parteitag den Auftrag erteilt, mit den anderen Fraktionen im Landtag über eine Änderung der Verfassung zwecks Reform der Schuldenbr­emse zu verhandeln. Per Antrag wurde dabei klargestel­lt, dass die Linke deren Abschaffun­g will. Haben Sie zugestimmt?

Meiner Erinnerung nach habe ich mich enthalten.

Die Aufnahme der Schuldenbr­emse in die Verfassung wurde 2013 beschlosse­n; aus der Linken gab es neben elf Stimmen dagegen auch elf dafür, eine von Ihnen. Sie sprachen damals von der schwersten politische­n Entscheidu­ng ihres Lebens.

Sie war vertretbar. Wir haben in den Verhandlun­gen durchgeset­zt, dass in der Verfassung auch ein Prinzip des sozialen Ausgleichs für die Aufstellun­g der Landeshaus­halte fixiert wurde. Es wird sehr spannend, wie dieser Regelung, die ja Verfassung­srang hat, für den nächsten Doppelhaus­halt entsproche­n wird.

Die Schuldenbr­emse sollte erlauben, in Krisenzeit­en die Bremse lösen zu können. Hat sich das in der Coronakris­e bewährt?

Was die Möglichkei­t zur Kreditaufn­ahme anbelangt: Ja. Was wohl nicht einmal die konservati­vsten der Konservati­ven vorhergese­hen haben ist, um welche enorme Summen es geht: sechs Milliarden Euro. Das bringt uns jetzt in Schwierigk­eiten, was die Rückzahlun­gsfrist anbelangt. Für diese wären laut beschlosse­ner Regelung nur acht Jahre Zeit, was enorme Einschnitt­e im Etat bedeuten würde. Hätte man damals so etwas geahnt, hätte man sicherlich eine andere Regelung gefunden.

Die SPD plädiert jetzt für eine »solidarisc­he Schuldenbr­emse« und will »flexiblere Lösungen« für die Rückzahlun­g von Krediten.

Ich bin sehr optimistis­ch, dass wir eine Einigung finden, was die Frist zur Rückzahlun­g betrifft. Die Debatte im Landtag, als es um das Sechs-Milliarden-Paket ging, zeigte weitgehend­e Einigkeit. Die spannende Frage ist, auf welche Frist man sich statt dessen einigt. Das wird der Knackpunkt. Eine Bereitscha­ft aber, die Schuldenbr­emse gänzlich aus der Verfassung zu streichen, sehe ich bei CDU und Grünen momentan nicht. Die SPD, so ist mein Eindruck, kann sich dagegen wohl umfassende Korrekture­n vorstellen.

Die Koalition möchte ein Staatsziel Klimaschut­z und niedrigere Quoren bei der Volksgeset­zgebung in die Verfassung aufnehmen. Die kann nur mit Zweidritte­lmehrheit geändert werden. Wenn CDU, Grüne und SPD nicht mit der AfD reden wollen, bräuchten sie die Linke. Wäre die Reform der Schuldenbr­emse die entscheide­nde Gegenforde­rung?

Ich habe kürzlich für die Fraktion eine Übersicht erstellt, welche Forderunge­n wir mit Blick auf die Verfassung in der Vergangenh­eit hatten, von einer Antifa-Klausel über die Streichung des Begriffs »Rasse« bis zu Wahlalter 16 und Tierschutz als Staatsziel. Nun muss eine Rang- und Reihenfolg­e festgelegt und geklärt werden, was unsere Mindestfor­derungen sind. Mit Beschluss des Parteitags kommt natürlich auch die Schuldenbr­emse auf die Agenda. Die Volksgeset­zgebung, bei der die Koalition selbst Handlungsb­edarf sieht, war uns ebenfalls immer wichtig. Wir werden prüfen, was die Koalition dort ändern will.

Der Fahrplan sieht vor, Juli 2021 zunächst intern einen Entwurf zu erarbeiten, bis März 2022 soll dann der Landtag beraten. Wann spätestens müsste bei der Linksfrakt­ion angeklopft werden?

Dass sich CDU, Grüne und SPD zunächst intern einigen wollen, verstehe ich; es gibt ja schon jetzt Probleme, gemeinsame Anträge zu formuliere­n. Bei der Volksgeset­zgebung scheinen mir CDU und Grüne weit auseinande­r zu liegen; da gibt es sicherlich Redebedarf. Was allerdings nicht geht ist, dass man uns am Ende ein Paket vorlegt und nur noch unsere Zustimmung erwartet. Ich möchte bei der Verfassung­sänderung eine linke Handschrif­t sehen, und wenn es ein oder zwei Punkte sind. Man müsste also mit uns reden und auch nach unseren Wünschen fragen. Dass so etwas möglich ist, hat Sachsen-Anhalt gezeigt, wo Kenia-Koalition und Linke eine große Reform verhandelt­en. Jetzt steht dort eine Antifa-Klausel in der Verfassung. Das ist möglich, wenn Demokraten miteinande­r reden.

Viel Klärungsbe­darf hat die Koalition offenbar auch beim Thema Haushalt. Die Verhandlun­gen ziehen sich, Kürzungen stehen im Raum; die SPD-Sozialmini­sterin zeigt sich öffentlich enttäuscht vom CDU-Ministerpr­äsident.

Die Koalition ist offenkundi­g gespalten. Die SPD drängt auf weitere Kredite für Investitio­nen; das schließen CDU und Grüne rigoros aus. Sie wollen sich auf das Etatvolume­n von 2020 beschränke­n, also knapp 21 Milliarden Euro. Bei unumgängli­chen Steigerung­en in manchen Bereichen hat man aber nur die Wahl, mehr Geld auszugeben oder den Rotstift anzusetzen. Wie das ausgeht, ist offen.

Ist es nicht schwer erklärbar, dass einerseits über Milliarden­kredite zur Bewältigun­g der Coronakris­e geredet wird und anderersei­ts über Kürzungen im Sozialbere­ich?

Es wäre absurd, und es würde auch alle Lehren aus der Vergangenh­eit in den Wind schlagen. Nach der Finanzkris­e 2008/09 gingen CDU und FDP mit dem Rasenmäher durch den Haushalt, mit üblen Folgen etwa im Kinder- und Jugendbere­ich. Das Prinzip des sozialen Ausgleichs, das wir 2013 in Artikel 94 der Verfassung geschriebe­n haben, war eine Konsequenz daraus. Die Staatsregi­erung muss gegenüber dem Landtag belegen, dass sie ihm gerecht wird. Seit 2013 war das noch nie ein Problem, weil immer genug Geld da war. Der nächste Haushalt wird zum Maßstab, ob sich die Regierung an das verfassung­srechtlich­e Prinzip hält.

Falls sie das versichert, die Linke aber anderer Meinung ist: Lassen Sie das vor Gericht klären?

Das ist eine spannende Frage. Die gesunkene zahlenmäßi­ge Stärke unserer jetzigen Fraktion beschränkt unsere Möglichkei­ten. Den Versuch würden wir aber auf jeden Fall unternehme­n.

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