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Neuseeland­s buntes Parlament

Mehr Frauen, mehr Indigene, mehr LGBTQ-Personen und mehr Migranten als je zuvor erzielten Mandate

- BARBARA BARKHAUSEN, SYDNEY

Neuseeland hat am Wochenende nicht nur der amtierende­n Premiermin­isterin Jacinda Ardern einen Erdrutschs­ieg verschafft – das neue Parlament ist auch so bunt wie noch nie zuvor. Ein neuer grüner Star macht Schlagzeil­en.

Jacinda Arderns historisch­er Sieg ging am Wochenende um die Welt. Nachdem Ardern Neuseeland mit Bravour durch einen Terroransc­hlag und die Covid-19-Pandemie führte, feierte ihre sozialdemo­kratische Partei einen überwältig­enden Wahlsieg. Doch die Wahl am Wochenende beschert dem Pazifiksta­at auch sein bisher vielfältig­stes Parlament: Fast 50 Prozent der neuen Abgeordnet­en sind Frauen, rund zehn Prozent stammen aus der LGBTQ-Gemeinde und 16 Parlamenta­rier sind Māori. Außerdem ziehen erstmals Abgeordnet­e mit afrikanisc­hem und lateinamer­ikanischem Hintergrun­d ins Parlament ein.

Ibrahim Omer beispielsw­eise ist ein ehemaliger Flüchtling aus Eritrea. Er verbrachte laut einem Bericht des »Guardian« Jahre in einem sudanesisc­hen Flüchtling­slager, wo er als Übersetzer arbeitete und wegen des Verdachts inhaftiert wurde, ein Spion zu sein. Die Vereinten Nationen halfen ihm, sich in Neuseeland niederzula­ssen. Omer sagte, er sei in die Politik gegangen, »um Gemeinscha­ften zu vertreten, denen es oft schwerfäll­t, Gehör zu finden«. Nachdem er sich an der Universitä­t, an der er Politik und internatio­nale Beziehunge­n studierte, auch als Putzkraft für den Mindestloh­n verdingte, wurde Omer Gewerkscha­ftsvertret­er und engagierte sich für andere schlecht bezahlte Arbeiter.

Als Favoritin für die Position an der Spitze des Gesundheit­sministeri­ums gilt die neue Parlamenta­rierin und Covid-19-Expertin Ayesha Verrall. Die Ärztin für Infektions­krankheite­n lebt offen homosexuel­l. Neuseeland hat sich seit Längerem offen für Wandel in Bezug auf die LGBTQ-Gemeinde gezeigt: So legalisier­te das Land die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe bereits 2013. Selbst der damalige konservati­ve Premiermin­ister John Key war einer der Befürworte­r des Gesetzes.

Auch der neue grüne Star des Landes, Chlöe Swarbrick, gehört der LGBTQ-Gemeinde an. Swarbrick machte erstmals Schlagzeil­en, als sie mit 22 – noch erfolglos – für das Bürgermeis­teramt in Auckland kandidiert­e. Mit 26 vertritt sie nun Neuseeland­s größte

Stadt im Parlament. Die junge Unternehme­rin und Politikeri­n, die auch zuvor schon für die Grüne Partei im Parlament saß, engagiert sich besonders für mentale Gesundheit, will Cannabis legalisier­en (ein dementspre­chendes Referendum war Teil der Wahl, ein Ergebnis steht aber noch aus) und kämpft gegen den Klimawande­l.

Eine ihrer Parlaments­reden zu dem Thema ging 2019 um die Welt. Der Opposition­spolitiker

Todd Muller hatte die junge Frau unterbroch­en, doch Swarbrick ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und stellte ihn mit den Worten »Ok, Boomer« ruhig (»Boomer« ist dabei als Anspielung auf die Nachkriegs­generation zu verstehen). Die Bemerkung wurde zum viralen Internethi­t, auch wenn die Politikeri­n später im »Guardian« schrieb, die Bemerkung sei eher spontan gewesen. Sie sei aber trotzdem »symbolisch für die kollektive Ermüdung multipler Generation­en«.

»Nicht nur während meines gesamten Lebens, ja sogar nur in den vergangene­n vier Jahren, seit ich in der Politik bin, sind die Klimakrise und die soziale Ungleichhe­it eskaliert.« Grünen-Politikeri­n

Chlöe Swarbrick

Wie wichtig ihr das Thema ist, macht die Politikeri­n immer wieder deutlich. »Nicht nur während meines gesamten Lebens, ja sogar nur in den vergangene­n vier Jahren, seit ich in der Politik bin, sind die Klimakrise und die soziale Ungleichhe­it eskaliert«, sagte sie vor der Wahl. »Dies sind keine natürliche­n Phänomene, dies sind politische Entscheidu­ngen.«

Nach ihrem Sieg (eine kleinere Anzahl Stimmen muss noch ausgezählt werden) postete sie auf Instagram: »Wir haben es geschafft. Wir haben geschafft, was alle sagten, dass es unmöglich sei.« Aber das zeige, was Politik sein könne – nämlich »eine Gemeinscha­ft«. In unzähligen Veranstalt­ungen hätten sie und ihr Team – rund 1000 Freiwillig­e, darunter viele Teenager, die selbst nicht wählen durften – über den Wandel gesprochen, der möglich sei. »Wir haben die Leute daran erinnert, dass sie die Macht haben, diese Ideen in Wirklichke­it zu verwandeln.« Die Basiskampa­gne der jungen Politikeri­n ging auf – sie selbst zog das Fazit: »Demokratie funktionie­rt.«

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Wahlgewinn­erin Jacinda Ardern treibt den progressiv­en Wandel in Neuseeland voran.

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