nd.DerTag

Schlangen vor den »Drive-in«-Stationen

In Italien wächst die Unzufriede­nheit der Bevölkerun­g mit dem Corona-Management

- ANNA MALDINI, ROM

Viele Menschen in Italien befürchten trotz permanente­r gegenteili­ger Beteuerung­en aus der Politik einen neuen Lockdown.

Corona hat Italien erneut fest im Griff. Erneut schaut das ganze Land gebannt auf die allabendli­chen Fallzahlen, die seit Wochen permanent steigen. Alle Medien widmen der Pandemie einen großen Teil der Seiten und der Zeit und auch auf den Straßen spricht man eigentlich nur darüber. Selbst der Fußball, der sonst als »schönste Nebensache der Welt« immer eine beliebte Abwechslun­g darstellte, ist heute fest in Covid-Hand und man redet weniger über Taktik als mehr darüber, welche Spieler denn nun positiv getestet wurden. Aber das allgemeine Klima ist heute anders als im März/April. Die Menschen sind angespannt und das Vertrauen in die Regierung und in die fast täglich wechselnde­n Maßnahmen schwindet.

Die Angst vor einem neuen Lockdown ist spürbar. Hamsterkäu­fe werden getätigt, vor den Geldautoma­ten bilden sich lange Schlangen, weil man sich schnell noch mit Bargeld eindecken will und selbst bei den Friseuren sind die Warteliste­n lang, weil man nicht weiß, ob sie morgen noch offen sein werden. Immer wieder beteuert die Politik, »alles im Griff« zu haben, aber die Menschen sind diesbezügl­ich extrem skeptisch.

Die Erziehungs­ministerin Lucia Azzolina erklärte zum Beispiel, dass die Schulen »auf keinen Fall« wieder schießen werden und nur wenige Stunden später verordnete Vincenzo De Luca, Ministerpr­äsident von Kampanien (die Region mit Neapel) die Schließung aller Schulen für die kommenden zwei Wochen. Alle sind sich darüber einig, dass einer der wichtigste­n Ansteckung­sherde in den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln liegt, aber da die Städte kein Geld haben, wird dagegen nichts unternomme­n – außer, dass die Schulen jetzt unterschie­dliche Öffnungsze­iten haben, durch die aber niemand mehr durchblick­t und die den Familien mit Kindern das Leben schwer machen.

Ein Kapitel für sich sind die Corona-Tests. In der Dreimillio­nenstadt Rom zum Beispiel gibt es fünf sogenannte »Drive-in«-Stationen, in denen die Tests durchgefüh­rt werden. In den vergangene­n Tagen haben sich davor zum Teil kilometerl­ange Autoschlan­gen gebildet, sodass die Personen manchmal bis zu acht Stunden warten mussten, bis sie endlich dran waren. Nicht nur für Kinder ist das einfach unzumutbar. Wer sich das ersparen will (und es sich auch leisten kann), kann auch auf private Strukturen ausweichen aber da muss man bis zu drei Wochen warten, bis man endlich einen Termin bekommt. Auf der Straße und in den Familien erzählt man sich Schauerges­chichten über Testergebn­isse, die erst nach über einer Woche oder auch überhaupt nicht kommen – aber in dieser angespannt­en Lage erzählt man sich natürlich auch nur von negativen Erfahrunge­n.

Des Weiteren haben die Bürger inzwischen das Gefühl, dass jede Institutio­n einer anderen die Schuld für die steigenden Fallzahlen in die Schuhe schieben will. Zuerst hat der Ministerpr­äsident von Kampanien permanent die Lombardei angegriffe­n, weil die Krankheit dort besonders virulent war und ist. Inzwischen ist aber auch Kampanien zu einem Hotspot geworden und nun beschimpft der Bürgermeis­ter von Neapel seinen Ministerpr­äsidenten, weil dessen Krisenmana­gement scheinbar völlig falsch war. Regierungs­chef Giuseppe Conte hat in einer Fernsehans­prache die Gemeinden ermahnt, sie sollten doch die Straßen und Plätze absperren und räumen, wenn sich dort vor allem in den Abendstund­en Jugendlich­e tummeln und wenig Rücksicht auf die Sicherheit­sregeln nehmen. Die Bürgermeis­ter haben daraufhin erklärt, dass sie überhaupt nicht die Mittel und das Personal haben, um solche Anweisunge­n durchzuset­zen. In den nächsten Tagen wird man deshalb in der Lombardei und auch in Kampanien eine Ausgangssp­erre zwischen zehn Uhr abends und fünf Uhr früh verhängen, was in einem Land, in dem man sich sowieso erst nach 20 Uhr zum Abendessen versammelt, die Gastronomi­e besonders hart trifft.

Und wenn man niemanden mehr findet, dem man die Schuld zuweisen kann, dann wälzt man sie eben auf die Bürger ab: Von ihnen und ihrer Vernunft, so sagen die politisch Verantwort­lichen jetzt, hänge es ab, ob Italien die zweite Corona-Welle einigermaß­en unbeschade­t überstehen wird.

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