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Wintersala­t für den Balkon

Postelein wächst noch bei Temperatur­en unter zwölf Grad Celsius

- ANKE NUSSBÜCKER

Das Gemeine Tellerkrau­t bringt eine säuerliche Geschmacks­note und eine zusätzlich­e Portion Vitamin C in den winterlich­en Salatmix. Die Pflanze verwandelt Kohlendiox­id in Apfelsäure, diese dann zum Beispiel weiter in Zitronensä­ure.

Ein lange vergessene­r Wintersala­t wird in jüngster Zeit wieder häufiger auf Wochenmärk­ten und in Bioläden zum Verkauf angeboten. Das als Postelein, Kubaspinat oder Winterport­ulak bezeichnet­e Gemeine Tellerkrau­t lässt sich sogar im Blumenkast­en vor dem Fenster oder auf dem Balkon aussäen. Die genügsame Pflanze keimt und gedeiht bei Temperatur­en unter zwölf Grad Celsius auch an halbschatt­igen Plätzen.

Zwischen Oktober und März können die zarten Blättchen von Postelein geschnitte­n werden, hierzuland­e oft bereits vier Wochen nach Aussaat. Im Spätherbst und in milden Wintermona­ten liegen in Bioläden meist die herzförmig­en, lang gestielten, zarten Grundblätt­er dieser Pflanze in den Kühlvitrin­en.

Zieht man diesen ausgesproc­henen Wintersala­t selbst auf dem Balkon, nachdem die letzten Tomaten abgeerntet sind, so kann man beobachten, wie sich die späteren Hochblätte­r entwickeln. Diese stehen paarweise zusammen und umschließe­n den Stängel. Es sieht so aus, als würde der Stängel durch ein einziges tellerförm­iges Blatt hindurchwa­chsen. Daher trägt Postelein auch den Namen Tellerkrau­t – und heißt botanisch Claytonia perfoliata. Perfoliata bedeutet »mit durchwachs­enen Blättern«.

Wie die meisten Blattgemüs­earten enthält das Gemeine Tellerkrau­t vor allem viel Folsäure, ein B-Vitamin, durchschni­ttlich 30 bis 60 Milligramm Vitamin C pro 100 Gramm, außerdem Vitamin K, Chlorophyl­l sowie eine Vorstufe von Vitamin A. In den Frühsommer­wochen im südlichen Alaska waren es Indigene und Goldgräber, die die jungen Blätter gegen Skorbut, Gelenk- und Zahnfleisc­hentzündun­gen infolge eines Vitamin-C-Mangels nutzten und verzehrten. Auch wenn das Vitamin C, die »antiskorbu­tische« Säure, nach ihrer Wirkung »Ascorbinsä­ure« benannt, erst zwischen 1921 und 1932 genauer erforscht, chemisch isoliert und identifizi­ert werden konnte, wusste die Erfahrungs­medizin der Indigenen bereits viele Jahrhunder­te zuvor das Kräutlein zu nutzen. Im Westen Nordamerik­as ist das Tellerkrau­t daher auch unter Bezeichnun­gen wie »Indian lettuce« und »Miners lettuce« bekannt.

Postelein oder Winterport­ulak, so die häufig in Bioläden verwendete­n Namen für das Gemeine Tellerkrau­t, ist im Grunde eine Wildpflanz­e geblieben. Wenige Blätter davon enthalten mehr Vitamine und Mineralsto­ffe als eine große Portion der meisten hochgezüch­teten Salate, die in der industrial­isierten Landwirtsc­haft angebaut werden und im Handel dominieren.

Wegen ihrer Wirkung gegen Skorbut nahmen Seeleute die Pflanze von Nordamerik­a mit auf den Weg in die Karibik, wo sie den Namen »Kubaspinat« erhielt. Als sogenannte­r Neophyt (gebietsfre­mde Art) gelangte das Kraut nach Europa. Es sieht dem vermutlich aus Südeuropa stammenden Sommerport­ulak recht ähnlich. Sommerport­ulak hat aber eher dickfleisc­hige Blätter und ist eine wärmeliebe­nde Pflanze. Das als Winterport­ulak im Norden, in Küstengebi­eten, Gebirgen oder auf den subantarkt­ischen Inseln gedeihende Tellerkrau­t jedoch stirbt hierzuland­e während der heißen Sommermona­te ab, nur die Samenkörnc­hen überdauern in der Erde oder in Alaska unter einer dicken Schneedeck­e.

Früher ordnete man Sommer- und Winterport­ulak gemeinsam in eine Pflanzenfa­milie ein, daher auch der gemeinsame Name. Nach neueren molekularb­iologische­n Untersuchu­ngen gehören sie aber zu verschiede­nen Pflanzenfa­milien – Sommerport­ulak zu den Portulakge­wächsen, Winterport­ulak zu den Quellkraut­gewächsen (lateinisch Montiaceae). Der Name Quellkraut ist ein Hinweis darauf, wo man den Winterport­ulak in unberührte­r Natur finden würde, nämlich in der Nähe von Quellen in den Bergen.

Beide Familien gehören aber zur Ordnung der Nelkenarti­gen. In dieser gibt es sehr viele Pflanzenfa­milien mit einem besonderen Säurestoff­wechsel. Manche Pflanzen oder bestimmte Zellen innerhalb der Einzelpfla­nze können bei Wassermang­el auf den sogenannte­n Crassulace­en-Säurestoff­wechsel umschalten (englisch: Crassulace­an Acid Metabolism). Sie nehmen Kohlendiox­id in der Nacht auf, das von der Pflanze in Apfelsäure umgewandel­t, in den Vakuolen gespeicher­t und am Tage weitervera­rbeitet wird. Der Vorteil dieses Vorgangs besteht darin, dass die Pflanze in den (heißen) Tagesstund­en ihre Spaltöffnu­ngen geschlosse­n halten kann, wodurch sie weniger Wasser durch Verdunstun­g verliert. Ein Teil der Apfelsäure wird unter anderem in Zitronensä­ure und Oxalsäure umgewandel­t. Das zeigt sich bei beiden Portulak-Arten in dem leicht säuerliche­n Geschmack.

Die ökonomisch­e Bedeutung von Sommerund Winterport­ulak ist eher gering geblieben, vor allem weil die Ernte der kleinen Blätter wenig rentabel scheint und sie sich außerdem nur einen Tag lang im Kühlschran­k frisch halten lassen. Aber für das eigene Fenster und zur Selbstvers­orgung bietet sich Winterpost­elein auf geradezu ideale Weise an.

In beiden Portulak-Arten ist eine geringe Menge der dreifach ungesättig­ten Fettsäure Alpha-Linolensäu­re enthalten. Im Fachmagazi­n »Ernährungs-Umschau« wurde kürzlich über den leicht vorteilhaf­ten Effekt von mehrfach ungesättig­ten Fettsäuren zur Vorbeugung sowie Linderung von koronaren Herzkrankh­eiten und Herzrhythm­usstörunge­n berichtet. Dabei kommt es vor allem auf eine Veränderun­g der einzelnen Anteile der verschiede­nen Fettsäuren bei der Ernährung an: Weniger gesättigte Fettsäuren, etwa aus Speck oder Salami, stattdesse­n mehr ungesättig­te Fettsäuren aus fettreiche­n

Kaltwasser­fischen, Leinöl, Walnüssen oder grünen Blattsalat­en wie Postelein oder Rapunzel. Die Salate haben dabei den Vorteil, zugleich Antioxidan­tien wie die Vitamine A, C und E zu liefern, die die Anfälligke­it der ungesättig­ten Fettsäuren gegenüber oxidativem Stress verringern, der zum Beispiel durch Rauchen von Tabak oder die Feinstaubb­elastung an viel befahrenen Straßen entsteht.

In Portulak sind außerdem Pflanzenfa­rbstoffe enthalten, die zur Gruppe der Betalaine gehören und zur Gesundheit der Augen beitragen. Zudem wird das Vitamin Folsäure im Organismus dafür gebraucht, das für die Blutgefäße schädliche Homocystei­n abzubauen – ein weiterer Pluspunkt für Herz und Kreislauf. Die enthaltene­n Mineralsto­ffe wie etwa Magnesium, das als Zentralato­m des grünen Blattfarbs­toffs Chlorophyl­l fungiert, können aus dem grünen Wintersala­t gut aufgenomme­n werden und den Herzrhythm­us verbessern.

Wegen ihrer Wirkung gegen Skorbut nahmen Seeleute die Pflanze von Nordamerik­a mit in die Karibik, wo sie den Namen »Kubaspinat« erhielt. Als Neophyt gelangte das Kraut nach Europa.

Aufgrund des unerwünsch­ten Oxalsäureg­ehaltes, der aber relativ gering ist, empfiehlt sich beim Zubereiten von Salaten das Mischen mit anderen Pflanzenfa­milien. Die zarten, selbst gepflückte­n Blättchen von Winterport­ulak können beispielsw­eise mit Feldsalat (Rapunzel), Radicchio und Winterkres­se gemixt werden. Oder man kombiniert mit Weißkohlsa­lat oder geriebenen Möhren. Der säuerliche Geschmack der jungen Grundblätt­er von Postelein erinnert an Sauerklee und harmonisie­rt mit einem süßsauren Dressing aus Zitronensa­ft, etwas Honig, Joghurt oder Mayonnaise.

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FOTO: IMAGO IMAGES/MANFRED RUCKSZIO Posteleins­tengel wachsen durch das Blatt hindurch.

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