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Ein Recht nur auf dem Papier

In Frankreich könnte ein neues Gesetz Frauen den Zugang zu einem Schwangers­chaftsabbr­uch noch einmal erschweren

- RALF KLINGSIECK, PARIS

Eine Gesetzesin­itiative zur Ausweitung der Frist für einen Schwangers­chaftsabbr­uch bis zur 14. Woche sorgt in Frankreich für Diskussion­en.

Vor 45 Jahren wurde den französisc­hen Frauen per Gesetz endlich das Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch zuerkannt. Jetzt aber sorgt im Parlament ein neues Gesetz für Diskussion­en, durch das die Frist für den Abbruch von bisher 12 auf 14 Wochen heraufgese­tzt werden soll. Der Text wurde vor Tagen in der Nationalve­rsammlung in erster Lesung angenommen. Verfasst worden war er von einer Minderheit in der von Emmanuel Macron 2016 gegründete­n Bewegung En Marche, die ihn ins Parlament einbrachte­n.

Dabei stimmte selbst die Mehrheit der offizielle­n und regierungs­nahen En-MarcheFrak­tion zusammen mit linken Opposition­sparteien für das Gesetz, während der Rest von En Marche mit den rechten Parteien dagegen votierte. Das ist umso bemerkensw­erter, als die Gesetzesin­itiative den Interessen der Regierung zuwiderläu­ft. Die will das brisante Thema Schwangers­chaftsabbr­uch, um das es seit Jahren ruhig geworden war, nicht wieder ins Zentrum innenpolit­ischer Auseinande­rsetzungen geraten lassen. Es ist aber zu befürchten, dass die reaktionär klerikale Bewegung Demo pour tous (Demonstrat­ion für alle), die sich in feindselig­er Reaktion auf die Legalisier­ung der gleichgesc­hlechtlich­en Ehe gebildet hatte, das Thema instrument­alisiert. Auch die katholisch­e Kirche, die das 1975 eingebrach­te Gesetz nicht verhindern konnte und die sich über Jahrzehnte dazu relativ zurückhalt­end verhalten hat, könnte jetzt offensiver werden. Davon zeugen jüngste Äußerungen französisc­her Bischöfe, die – wie der Papst – Schwangers­chaftsabbr­uch mit Mord gleichsetz­en.

Die Regierung stellt sich zunächst aber nicht frontal gegen die Gesetzesin­itiative, zumal noch offen ist, ob sie von ihr gestoppt oder entschärft werden kann. Wohl um zunächst Zeit zu gewinnen, hat Gesundheit­sminister Olivier Véran das Nationale Ethikkomit­ee um ein Gutachten gebeten, das bis Ende November vorgelegt werden soll, also bevor der Text im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, behandelt wird.

Widerstand kommt auch aus Kreisen der betroffene­n Ärzte. Der Präsident der Frauenärzt­evereinigu­ng ist ein entschiede­ner Gegner des Schwangers­chaftsabbr­uchs, und das beeinfluss­t viele Mediziner, die daher von ihrem gesetzlich­en Recht Gebrauch machen, aus moralische­n oder religiösen Gründen keinen Schwangers­chaftsabbr­uch vorzunehme­n. Dieser Trend zur Verweigeru­ng könnte noch stärker werden, wenn die Frist auf 14 Wochen heraufgese­tzt wird, denn bis zur

12. Woche kann das Absaugverf­ahren eingesetzt werden, während danach der Abbruch nur noch chirurgisc­h möglich ist.

Anderersei­ts fordern fortschrit­tliche Frauenärzt­e und Hilfsverei­ne wie Planning Familial seit Jahren eine Verlängeru­ng der Frist. In vielen Regionen des Landes steht das Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch nur auf dem Papier, und betroffene Frauen müssen oft wochenlang nach einem Arzt suchen, der dazu bereit ist. Dadurch haben sie oft große Probleme, die gesetzlich­e Frist einzuhalte­n. Wird die überschrit­ten, bleibt nur die teure Reise in die Niederland­e, nach Großbritan­nien oder Spanien, wo bis zur

24. Woche abgetriebe­n werden kann und sich Privatklin­iken auf dieses lukrative Geschäft spezialisi­ert haben.

Diesen Weg nehmen Schätzunge­n zufolge jährlich bis zu 5000 Frauen. Dagegen wird der Eingriff in Frankreich, wenn er in öffentlich­en Krankenhäu­sern stattfinde­t, voll von der Krankenkas­se getragen. Doch in den letzen 20 Jahren sind landesweit 135 kleinere Krankenhäu­ser und mit ihnen Geburtenst­ationen und Zentren für Schwangers­chaftsabbr­uch geschlosse­n worden. So müssen die Frauen oft weite Wege bis zum nächsten Facharzt oder Krankenhau­s zurücklege­n. Jede fünfte ungewollt schwangere Frau muss sogar in ein anderes Departemen­t fahren, weil es in ihrem Heimatdepa­rtement keine Ärzte und Krankenhau­skapazität­en für den Eingriff gibt.

Im vergangene­n Jahr wurden 232 000 Abtreibung­en vorgenomme­n. Diese Zahl ist seit Jahrzehnte­n relativ stabil und lag auch vor dem Gesetz von 1975 in dieser Größenordn­ung – nur dass der Abbruch damals illegal war und meist unter gesundheit­sgefährden­den Bedingunge­n erfolgte und nicht wenige Menschenle­ben forderte. Diese Zahlen widerlegen auch die Behauptung, dass Abtreibung­en die natürliche »Erneuerung« der Bevölkerun­g gefährden, denn Frankreich ist nach wie vor in Europa das Land mit der höchsten Geburtenra­te. Um das Kapazitäts­problem zu entschärfe­n, sieht der jetzt vorliegend­e Gesetzeste­xt vor, dass künftig auch Hebammen Abtreibung­en durch Absaugen bei Vollnarkos­e oder örtlicher Betäubung vornehmen dürfen. Von der Ausbildung her sind sie dazu längst befähigt, aber es ist ihnen bislang nicht gestattet. Im Medizinstu­dium dagegen ist Schwangers­chaftsabbr­uch ein vernachläs­sigtes Thema, doch jeder Arzt ist berechtigt, ihn vorzunehme­n.

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