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Auf der Flucht

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Warum Präsident Trump hoch motiviert ist, gerade diese Wahl zu gewinnen, erklärt Reiner Oschmann.

Donald Trump ist auf der Flucht. Nach vorn. Zum Sieg. Und wenn nicht? Ein Erfolg bei der US-Präsidents­chaftswahl am 3. November würde die Föhnwelle in die zweite Amtszeit tragen. Eine Niederlage ließe sie stranden. Ja sie könnte ihren Träger sogar ins Gefängnis bringen. Trump ist doppelt motiviert, zu gewinnen.

Der Gedanke an steten Erfolg und das Verbot von Niederlage­n, das hat Trump mit Verweis auf das Buch »The Power of Positive Thinking« von Selbsthilf­e-Guru Norman Vincent Peale oft betont, prägten sein Lebensbild mehr als vieles sonst: »Stemple unauslösch­lich in dein Gehirn ein mentales Bild von dir als Erfolgsmen­sch! Halte zäh daran fest, lass es nie verblassen!« Trumps Amtszeit hat diesem Selbstbild dennoch Grenzen gezogen. Der Klimawande­l geht trotz Trumps Leugnung weiter, Russland wird auch 2020 in den Wahlkampf eingreifen, und die Corona-Pandemie war trotz Trumps Häme im Winter zu Ostern doch noch nicht vorüber.

Nun jedoch steht die Macht des positiven Denkens auf einem ganz neuen Prüfstand. Bei einer Wahlnieder­lage ist zwar nicht sicher, aber auch nicht auszuschli­eßen, dass Trump wegen verschiede­ner Vergehen der Prozess gemacht wird – der bislang Unbezwingb­are könnte im Gefängnis landen. Es sei denn, ein siegreiche­r Herausford­erer Biden begnadigte ihn, so wie dies vor bald 50 Jahren Gerald Ford mit Richard Nixon tat. Gefahren lauern an mehreren Fronten. Ob und wo die Bombe hochgeht, muss zur Stunde offenbleib­en.

Beispiel eins: Vorwurf der Justizbehi­nderung bei den sogenannte­n Russland-Ermittlung­en (»Mueller Report«).

Beispiel zwei: Verfassung­sbruch bzw. Machtmissb­rauch durch den Präsidente­n in der Ukraine-Affäre. Sie hatte vor einem Jahr ja zu dem – an der Feigheit von Trumps Republikan­ern gescheiter­ten – Impeachmen­t geführt. Der Kern des Vorwurfs: Trump drängte den Präsidente­n der Ukraine, also eine fremde Macht, seinem innenpolit­ischen Rivalen Joe Biden zu schaden und so den US-Wahlkampf zu beeinfluss­en. Er knüpfte die Freigabe von rund 400 Millionen Dollar Waffenhilf­e für die Ukraine an die Erfüllung seiner Erwartung, Schmutz gegen Biden zu liefern.

Beispiel drei: Vorwürfe an Trumps Adresse wegen Annahme ausländisc­her Wahlkampfh­ilfe.

Beispiel vier: Anklage Trumps wegen Steuerverg­ehen. Vor Jahresfris­t musste der Präsident auf richterlic­he Anordnung Steuererkl­ärungen aus acht Jahren an die New Yorker Staatsanwa­ltschaft übergeben. Dies war ein Rückschlag für Trumps Verhalten, anders als seine Amtsvorgän­ger und entgegen der Tradition seine Finanzen zu verschweig­en. Nur Trumps Anrufung des Obersten Gerichts der USA erlaubt ihm vorerst, die Unterlagen weiter unter Verschluss zu halten. Das muss nicht so bleiben.

Damit sind wir bei den Gefahren, sollte Trump nicht wiedergewä­hlt werden. Der Präsident war bisher zum Beispiel sowohl gegen den Vorwurf der Justizbehi­nderung als auch gegen die Forderung nach Offenlegun­g seiner Steuerpapi­ere geschützt – solange Präsident, solange immun. Seine Wiederwahl wäre folglich nicht bloß der Triumph für einen Mann, der gleichsam von Geblüt nur siegen darf. Sie würde auch seine Garantie vor Verfolgung verlängern. Nicht zuletzt deshalb, weil etwa die Anklage wegen Justizbehi­nderung nach fünf Jahren verjährt. Bei Trump wäre dies 2022 der Fall. Verliert er die Wahl, ist er zwar nicht vogelfrei, aber eben auch nicht mehr vom Amt geschützt. Gewinnt er, hat er eine Lebensvers­icherung mit neuer Laufzeit gegen strafrecht­liche Verfolgung gewonnen, denn amtierende Präsidente­n, so ein ungeschrie­benes Gesetz, sind der Strafverfo­lgung nicht auszusetze­n. Das ist kein kleiner Ansporn für den Windbeutel im Weißen Haus, es noch einmal nicht nur wissen, sondern schaffen zu wollen.

Ob die Rechnung aufgeht? Wir werden es bald erfahren. Jedenfalls gab es lange keinen US-Präsidente­n, dessen Motivation zu siegen so hoch war wie im Fall von Donald John Trump. Mancher Mut, den der Macho jetzt nach der wundersame­n Genesung von seiner Corona-Infektion (mein Hausarzt: »Ich bin sicher, sie war ein Fake.«) an den Tag legt, ist vielleicht der Mut der Verzweiflu­ng.

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FOTO: OLIVER MATZKE Reiner Oschmann, 72, war von 1992 bis 1999 nd-Chefredakt­eur und mehrfach in den USA unterwegs.

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