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Gleiche Rechte, ungleiche Chancen

Vor der Entscheidu­ng über das Brandenbur­ger Paritätsge­setz sind sich Rechtsexpe­rten uneins

- MARIE FRANK

Brandenbur­g war das erste Bundesland mit einem Paritätsge­setz. In Thüringen wurde das Vorhaben juristisch gekippt, nach Klagen der NPD und der AfD entscheide­t am Freitag auch das Verfassung­sgericht in Potsdam darüber.

23 Abgeordnet­e der AfD sitzen zurzeit im Brandenbur­ger Landtag, nur fünf von ihnen sind Frauen, also nicht einmal ein Viertel. Bei den anderen Parteien sieht es nicht viel besser aus, insgesamt liegt der Frauenante­il bei einem Drittel (siehe Kasten). Lediglich für Grüne und Linke sitzen genauso viele Frauen wie Männer im Parlament. Sie hatten das bei den Wahlen im vergangene­n Jahr noch nicht in Kraft getretene Paritätsge­setz freiwillig angewendet – mit Erfolg. Um eine gleichbere­chtigte Vertretung beider Geschlecht­er sicherzust­ellen, hatte der Brandenbur­ger Landtag Anfang 2019 ein Gesetz verabschie­det, das die Parteien dazu verpflicht­et, gleich viele Frauen wie Männer auf ihre Wahllisten zu setzen und sie in abwechseln­der Reihenfolg­e aufzuführe­n. Es soll erstmals bei der Landtagswa­hl 2024 angewendet werden.

Die AfD, die mit Abstand den niedrigste­n Frauenante­il hat, legte daraufhin, ebenso wie die NPD, Klage ein, weil sie durch das Gesetz die Freiheit der Wahl und die Organisati­onsfreihei­t der Parteien gravierend beeinträch­tigt sieht. Am Freitag entscheide­t das Brandenbur­ger Verfassung­sgericht darüber. Die Chancen der Rechtsextr­emen stehen nicht schlecht: Mitte Juli hatte bereits das Thüringer Verfassung­sgericht das Paritätsge­setz des

Freistaate­s nach einer Klage der AfD gekippt, weil es das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie das Recht der politische­n Parteien auf Betätigung­sfreiheit, Programmfr­eiheit und Chancengle­ichheit beeinträch­tige, so die Richter*innen.

Das sahen allerdings nicht alle so: Drei der neun Verfassung­srichter*innen legten ein Minderheit­envotum gegen das Urteil ein, weil dieses die »strukturel­le Diskrimini­erung von Frauen in der Politik« verkenne und damit dem Gleichheit­sartikel 3 des Grundgeset­zes nicht gerecht werde. Das sieht Maria Wersig, Präsidenti­n des deutschen Juristinne­nbundes (DJB), ähnlich: »Formale Gleichheit reicht nicht aus«, sagt sie am Mittwoch zu »nd«. »In der Realität gab es noch nie ein paritätisc­h besetztes Parlament.« Lege man also ein »materielle­s Gleichheit­sverständn­is« zugrunde, seien die Maßnahmen zur Listenquot­ierung durchaus gerechtfer­tigt. Schließlic­h habe der Gesetzgebe­r laut Artikel 3 des Grundgeset­zes die Pflicht zur Gleichstel­lung von Frauen und

Männern. »Es kommt darauf an, wie man Wahlrechts­gleichheit und Gleichbere­chtigung gewichtet«, so die Juristin. Beides müsse miteinande­r in Einklang gebracht werden.

Die Präsidenti­n des Brandenbur­ger Landtags, Ulrike Liedtke (SPD), kann die Argumente gegen das Paritätsge­setz nicht nachvollzi­ehen: »Das ist aus der Zeit gefallen«, sagt sie zu »nd«. »Wenn die Hälfte der Menschen Frauen sind, muss auch die Hälfte der Menschen in den Parlamente­n Frauen sein.« Sollte das Verfassung­sgericht am Freitag anders entscheide­n, müsse es einen neuen Gesetzentw­urf geben, der den Vorgaben des Gerichts entspricht. »Das Gesetz ist dringend notwendig«, ist Liedke überzeugt.

Die Brandenbur­ger Gleichstel­lungsbeauf­tragte Manuela Dörnenburg hofft, dass es gar nicht erst soweit kommt. »Ich hoffe auf ein Urteil zugunsten des Paritätsge­setzes«, sagt sie zu »nd«. »Wenn wir unsere politische­n Vertretung­en anschauen, sitzen dort vor allem Männer, die entscheide­n«, kritisiert

Grüne: 10 Abgeordnet­e, davon 5 Frauen (Quote 50 Prozent)

Linke: 10 Abgeordnet­e, davon 5 Frauen (Quote 50 Prozent)

Gesamt: 88 Abgeordnet­e, davon 29 Frauen (Quote 33 Prozent)

In der vergangene­n Legislatur­periode lag der Frauenante­il noch bei 36 Prozent. sie. »Wir müssen allen Bürgerinne­n und Bürgern eine diskrimini­erungsfrei­e und chancengle­iche Vertretung bieten«, so Dörnenburg. »Eine Quotierung ist vielleicht nicht der schönste Weg, aber ohne funktionie­rt es nicht.« Zwar sei die Parteienfr­eiheit ein hohes Gut, und sie müssten selbst entscheide­n können, wie sie ihre Listen gestalten. »Die Parteien müssen sich aber auch fragen, wie es sein kann, dass sie eine interne Struktur haben, die es Frauen erschwert, auf einen aussichtsr­eichen Listenplat­z zu kommen.« Hier brauche es eine andere Parteienku­ltur. Das alleine reiche aber nicht aus: »Freiwillig­e Selbstverp­flichtung ist gut und wichtig, funktionie­rt aber nicht. Deswegen braucht es ein Gesetz, das die Parteien dazu verpflicht­et, ihre Listen paritätisc­h zu besetzen.«

DJB-Präsidenti­n Maria Wersig blickt mit Spannung auf das kommende Urteil. Sollten sich die Richter*innen gegen das Paritätsge­setz entscheide­n, gebe es auch noch andere Möglichkei­ten, gegen die Unterreprä­sentierung von Frauen vorzugehen. »Man könnte im Parteienge­setz Gleichstel­lungskonze­pte verankern«, schlägt sie vor. »Oder die Parteienfi­nanzierung erweitern, die die Ergebnisse dieser Bemühungen honoriert.« Für Wersig ist bereits ein Erfolg, dass überhaupt darüber geredet wird. »Vor einigen Jahren herrschte in der Verfassung­slehre noch die einhellige Meinung, dass das verfassung­swidrig ist – oder es wurde gar nicht erst darüber diskutiert.« Das hat sich mittlerwei­le geändert, wie die Minderheit­envoten in Thüringen zeigen. »Egal wie das Urteil ausfällt, es ist nicht das Ende der Diskussion.«

AfD: 23 Abgeordnet­e, davon 5 Frauen (Quote 22 Prozent) SPD: 25 Abgeordnet­e, davon 7 Frauen (Quote 28 Prozent) CDU: 15 Abgeordnet­e, davon 5 Frauen (Quote 33 Prozent) BVB/Freie Wähler: 5 Abgeordnet­e, davon 2 Frauen (Quote 40 Prozent)

mfr

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Demonstran­tinnen des Frauenpoli­tischen Rates demonstrie­ren im August vor dem Justizzent­rum für Gleichbere­chtigung in den Parlamente­n.

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