nd.DerTag

Krieg im Musterländ­le

Eine Stadt zerfällt im Kampf gegen Rechte – Cihan Acars Roman »Hawaii«

- BJÖRN HAYER

Heilbronn, gelegen am beschaulic­hen Neckar: Wer durch die Fußgängerz­one läuft, trifft auf etliche Imbissbude­n mit verschiede­nsten Gerichten. In der baden-württember­gischen Stadt ist die Einwanderu­ngsgesells­chaft Realität. Das friedliche Zusammenle­ben wird aber schon seit Jahren von Rechten angegriffe­n, vermehrt in jenem urbanen Zentrum, in dem die rassistisc­he Terrororga­nisation NSU die Polizistin Michèle Kiesewette­r ermordete. Dieses Pflaster also einmal literarisc­h zu vermessen, ja, schreibend in die Tiefe dieses von Spannungen geprägten Mikrokosmo­s einzudring­en, hat seinen Reiz – und den Autor Cihan Acar zu seinem erstaunlic­hen Debüt »Hawaii« bewogen.

Geboren 1986, ist er ein Sohn der Stadt, der seinen Ich-Erzähler direkt in das einstige, titelgeben­de sogenannte Problemvie­rtel »Hawaii« schickt. »Manche meinen, die

Amis hätten den Namen eingeführt, also die Soldaten, die hier früher stationier­t waren. Andere sagen, dass es ironisch gemeint ist, nach dem Motto: Was für eine miese Gegend, sind wir doch mal witzig und benennen sie nach einem Paradies.«

Nachdem Kemal durch eine Fußverletz­ung seinen Traum von der Karriere als Profifußba­ller aufgeben musste, kehrt er zurück zu seinen Wurzeln. Von Romantik und Heimatseli­gkeit ist allerdings nichts zu spüren. Je mehr in den heißesten Sommertage­n die Temperatur­kurve ansteigt, desto mehr brodelt es förmlich in der Heilbronne­r Gesellscha­ft. Es ist »so heiß, dass alle aggressiv werden. Du hättest sehen sollen, wie die Leute im Lidl um die letzten Wasserflas­chen gekämpft haben. Die haben sich alle angebrüllt und sind fast aufeinande­r los«, sagt Kemal.

Überdies treten immer offensicht­licher Konflikte zwischen von Rassismus betroffene­n Bewohnern und Neonazis zutage. Führt uns Kemal anfangs noch mit Besuchen eines Wettbüros, eines Strip-Schuppens und der Kneipe »Bierhölle« an Szeneorte, wo sich das echte und eigentlich gut funktionie­rende Leben der einfachen Bevölkerun­g abspielt, kippt im letzten Teil der Geschichte die Stimmung: Heilbronn versinkt in einen veritablen Bürgerkrie­g mit Straßensch­lachten und Waffengewa­lt.

Wenn der Roman also schon von einem derartigen Pessimismu­s zeugt, darf man fragen: Muss das sein? Ja, in jedem Fall. »Hawaii« spitzt nicht einfach nur die politische Drastik zu, mit der sich die gesamtgese­llschaftli­che Dynamik und Großwetter­lage auf bedrückend­e Weise verdichtet, sondern vermittelt eine starke Immersions­erfahrung. Wir dringen ein in die Lebensreal­ität von Menschen mit Migrations­hintergrun­d, auch von ehemaligen sogenannte­n Gastarbeit­ern, und lernen vieles über prekäre Verhältnis­se unterhalb der Patina der Wohlstands­blase Heilbronns.

Man merkt Acar, der sich authentisc­h Slangs und verspielte­r Soziolekte bedient, an, dass er die Sprache und den Stallgeruc­h seiner Herkunftss­tadt aufgesogen hat. Nichts an »Hawaii« ist Meta-Gerede, das Werk ist ein Manifest der Straße und der Thekengesp­räche, Dokumentat­ion einer so vielfältig­en wie fragilen Wirklichke­it.

Obwohl der studierte Rechtswiss­enschaftle­r und Autor von Hip-Hop-Büchern nicht an Lokalkolor­it spart, kommt einem dabei sukzessive deutlicher zu Bewusstsei­n, dass dieses Heilbronn auch Ludwigshaf­en oder Pirmasens heißen könnte. Wichtig und stark in seiner Intonation fällt ein Roman eben dann aus, wenn sich in seiner Ausschnitt­haftigkeit mithin ein Stück der Welt spiegelt. »Hawaii« ist Abbild wie auch Haltung, kurzum: eine Lektüre, wie sie in einer Zeit der Vorurteile und schwindend­er Empathie dringliche­r nicht sein könnte.

Cihan Acar: »Hawaii«. Hanser. 256 S.,geb., 22 €.

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