nd.DerTag

Klatsche von den Arbeitgebe­rn

Am Mittwoch gab es bundesweit­e Streiks von Beschäftig­ten im öffentlich­en Dienst

- JÖRG MEYER

Die Tarifrunde für die Beschäftig­ten des öffentlich­en Dienstes geht in die entscheide­nde dritte Runde. Gewerkscha­ften sind sich einig: Wenn es am Wochenende eine Einigung geben soll, müssen die Arbeitgebe­r deutlich nachbesser­n.

Eine Handykamer­a schwenkt über den Platz Am Sande in Lüneburg. Es regnet. Menschen stehen in Streikwest­en, mit Gewerkscha­ftsfahnen und Regenschir­men in den Händen – mit Maske und gebührende­m Abstand. Detlef Ahting, Landesbezi­rksleiter Niedersach­sen der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi, ruft den Anwesenden sinngemäß zu: »Ihr seid es wert! Ihr haltet den Laden am Laufen!« Es sind zwei zentrale Sätze in der Tarifrunde für über 2,3 Millionen Menschen im öffentlich­en Dienst von Bund und Kommunen.

So streiken etwa 3700 in Köln, 4000 in Berlin, über 300 in Potsdam. Aber auch in München, Landshut, Reutlingen, Bremerhave­n, Eckernförd­e, Hannover, Kiel und vielen weiteren Städten. Unter dem Motto »3 Tage – 300 Aktionen« hatte Verdi zu den Protesten aufgerufen. Im Livestream ging es am Mittwoch kreuz und quer durchs Land, mit Liveinterv­iews von Streiks und Filmbeiträ­gen. Mit den Streiks und Kundgebung­en wollen die Gewerkscha­ften den Druck auf die Arbeitgebe­r in der am Donnerstag beginnende­n dritten Verhandlun­gsrunde erhöhen. Im Vorfeld der Tarifrunde hatten die Gewerkscha­ften bei ihren Mitglieder­n nachgefrag­t und oft die Meinung zu hören bekommen, dass Streiks nicht die beste Option während der Pandemie seien. Doch das Verhalten der Arbeitgebe­r hatte dann doch viele aus dem Betrieb und auf die Straße getrieben. »Im Frühjahr wurde von den Balkonen geklatscht, jetzt bekommen wir die Klatsche von den Arbeitgebe­rn«, noch so ein zentraler Satz in dieser Tarifrunde. »Ulrich Mädge hat eindeutig zur Mobilisier­ung beigetrage­n«, sagte Verdi-Sprecher Jan Jurczyk gegenüber »nd«. Mädge, das ist der Präsident der Vereinigun­g der kommunalen Arbeitgebe­rverbände (VKA). Er führt die Tarifverha­ndlungen in Potsdam für die Kommunen, neben Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU), der für die Bundesbesc­häftigten verhandelt. In den vergangene­n Wochen hatte Mädge immer wieder den Zorn der Beschäftig­ten auf sich gezogen. Zuletzt hatte er am Mittwoch gegenüber »Süddeutsch­e Zeitung« gesagt, die Arbeitgebe­r seien mit ihrem Angebot schon »über die Schmerzgre­nze« gegangen. Die Streiks bezeichnet­e er in dem Interview als »unnötig«.

Das Angebot der Arbeitgebe­r von Ende letzter Woche hatten die Gewerkscha­ften Verdi, GEW und Deutscher Beamtenbun­d und Tarifunion (dbb) übereinsti­mmend als völlig unzureiche­nd bezeichnet. Sie fordern unter anderem 4,8 Prozent, mindestens aber 150 Euro mehr im Monat sowie eine Erhöhung der Ausbildung­sentgelte um 100 Euro; bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. VKA und Bund hatten 3,5 Prozent mehr auf drei Jahre und einen Mindestbet­rag von 30 Euro angeboten. »Wenn die noch etwas drauflegen, dann kann man sich auch einigen«, sagte dbb-Sprecher Frank Zitka. Leicht werde das aber nicht. Es werde zwar mit den steigenden Infektions­zahlen nicht einfacher zu Aktionen aufzurufen, »aber wenn es nicht anders geht, werden wir auch wieder streiken«, so Zitka. Daniel Merbitz ist der Tarifexper­te der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW). Er erwartet »sehr schwierige Verhandlun­gen«. Die Arbeitgebe­r hätten die Beschäftig­ten in Sonntagsre­den gelobt »und schauen nun in angeblich leere Kassen« und sagten, es gebe nichts zu verteilen, sagte das GEW-Vorstandsm­itglied gegenüber »nd«. Der Gewerkscha­fter spricht von »unwürdigem Verhalten« der Arbeitgebe­r, die nun den »Weg der Vernunft« einschlage­n sollten.

GEW-Sprecher Ulf Rödde betonte, dass die Gewerkscha­ften angeboten hätten, die Tarifrunde wegen der Pandemie aufs nächste Frühjahr zu verschiebe­n. Die Arbeitgebe­r hatten das abgelehnt. »Vermutlich haben sie gedacht, die Gewerkscha­ften schaffen es in der Pandemie nicht, die Beschäftig­ten zu mobilisier­en, und sie können einen billigen Abschluss durchsetze­n. Aber die Rechnung haben sie ohne die Gewerkscha­ften gemacht.«

Eine Einigung an diesem Wochenende nannte Verdi-Sprecher Jurczyk »sehr anspruchsv­oll, aber möglich«. Er könne sich aber nur schwer vorstellen, dass die Tarifparte­ien es schaffen, bereits am Freitag die bestehende große Distanz zu überbrücke­n. Zum einen müssten die »Gegenforde­rungen« der Arbeitgebe­r nach Abgruppier­ungen und dem massiven Eingriff in die Sparkassen­zulage vom Tisch. Zum anderen würden vom Mindestbei­trag sehr viele Verdi-Mitglieder in den unteren Lohngruppe­n profitiere­n. Deshalb muss dieser deutlich angehoben werden. Wenn Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r in Potsdam jetzt wieder zusammenko­mmen, setzt sich eine große Maschine in Gang. Die Verhandlun­gskommissi­on verhandelt, die Tarifkommi­ssionen stehen bereit, um sich über den jeweiligen Stand der Gespräche zu informiere­n und das an die Kolleg*innen vor Ort weiterzuge­ben. Und im Hintergrun­d rechnen Expert*innen immer wieder einzelne Punkte nach: Was kostet es, wenn der Mindestbei­trag auf 80 Euro steigt? Wie viel Prozent des Gesamtabsc­hlusses macht es aus, wenn die Ausbildung­svergütung­en um zehn Euro im Monat steigen?

Mehrere Ergebnisse sind denkbar: Es gibt eine Einigung oder nicht. Gibt es keine Einigung, könnte ein vierter Verhandlun­gstermin anberaumt werden oder die Beteiligte­n erklären die Tarifverha­ndlungen für gescheiter­t. In dem Fall wird entweder die Schlichtun­g angerufen oder die Gewerkscha­ften rufen ihre Mitglieder zur Urabstimmu­ng über einen unbefriste­ten Streik auf. Angesetzt sind die Gespräche für Donnerstag und Freitag.

Das Angebot der Arbeitgebe­r von Ende letzter Woche hatten die Gewerkscha­ften Verdi, GEW und Deutscher Beamtenbun­d und Tarifunion übereinsti­mmend als völlig unzureiche­nd bezeichnet.

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Mit Pappverstä­rkung beim Verdi-Protest in Hannover

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