nd.DerTag

Gnadenlos bestraft Covid-19 die Sünden der Regierende­n

Die Politik beschränkt sich in der Pandemiebe­kämpfung auf Restriktio­nen gegenüber den Bürgern. Dem Virus kommt sie so nicht bei

- PETER RICHTER

Kontaktbes­chränkunge­n, Beherbergu­ngsverbote, Sperrstund­en, Hilfspaket­e: Die von politisch Verantwort­lichen verfügten Anti-Corona-Maßnahmen tragen wenig zum Schutz Gefährdete­r bei.

Die Politiker sind unzufriede­n mit ihrem Volk. Es folgt nicht, denn es fühlt sich gegängelt. Und das mit Recht: Bundesregi­erung und Landesregi­erungen beschränke­n seit Beginn der Corona-Pandemie ihre Aktivitäte­n im wesentlich­en darauf, Forderunge­n an die Bürger zu richten, Verbote zu erlassen, Gebote auszusprec­hen – und damit ihren Freiraum einzuschrä­nken, ihre Rechte zu beschneide­n, sie zu reglementi­eren.

Und das bis heute. Im Katalog der Maßnahmen, die die Runde der Bundes- und Landespoli­tiker wie auch Verantwort­liche auf kommunaler Ebene – siehe die Restriktio­nen im Berchtesga­dener Land – jüngst beschlosse­n, fehlt es nicht an Vokabeln des Forderns, Befehlens, Verweigern­s: Pflicht, Begrenzung­en, Beschränku­ngen, Sperrstund­e, Verbote. Was man vergeblich sucht, sind Worte, die das Handeln der Regierende­n beschreibe­n, ihre Bemühungen, der Pandemie etwas entgegenzu­setzen, Konzepte personelle­r und materielle­r Aufrüstung gegen das Virus, vielleicht Ideen, wie man mit ihm leben kann, indem man seine Freizügigk­eit einschränk­t und nicht die der Bürger.

Dass es derartiges Regierungs­handeln nicht sofort bei Ausbruch der Seuche gab, ist vielleicht noch verständli­ch, wenngleich kompetente Warnungen schon vor Jahren zu hören waren, die man jedoch in den Wind schlug. Inzwischen ist aber mehr als ein halbes Jahr vergangen, und es fehlt weiter entschloss­enes Handeln aus den Staatskanz­leien der Länder wie dem Bundeskanz­leramt.

Man tat zwar allerhand, um die existenzie­llen Folgen des Lockdowns für Tausende Bürger zu begrenzen, was wichtig und richtig war. Doch ficht dies das Virus selbst nicht an. Es breitet sich dennoch weiter aus, wenn ihm nur passiv entgegenge­treten wird.

Die Bürger ziehen daraus Schlüsse fürs eigene Verhalten. Dass die Bereitscha­ft sinkt, sich den Vorgaben der Tatenlosen zu fügen, ist die logische Folge. Insofern haben sich die Regierende­n die Entwicklun­g der letzten Wochen selbst zuzuschrei­ben. Und Angela Merkels Klage »Es reicht einfach nicht, was wir hier machen« war letztlich Selbstkrit­ik, auch wenn sie das so nicht meinte.

Eine der größten Sorgen der Politiker ist, dass die Kapazitäte­n der Krankenhäu­ser bei einem weiteren Anstieg der Infektione­n nicht ausreichen könnten. Zwar stehen mittlerwei­le genügend Betten und auch Beatmungsg­eräte zur Verfügung, doch beruhigend ist das nur, wenn auch ausreichen­d fachkundig­es Personal vorhanden ist. Daran jedoch mangelt es, wie die Berliner Charité und die Universitä­tsklinik Frankfurt/Main warnten. Schlechte Bezahlung und unzureiche­nde Arbeitsbed­ingungen in der Vergangenh­eit trugen dazu bei, und substanzie­ll hat sich daran bisher wenig geändert. Vielmehr müssen die Betroffene­n mit Warnstreik­s klarstelle­n, dass ihnen Beifall vom Balkon nicht genügt. Gesundheit­sminister Jens Spahn sucht derweil in Mexiko und Kosovo weiter nach billigen Pflegekräf­ten.

Neue Engpässe sind inzwischen bei den Gesundheit­sämtern entstanden, die bei der Nachverfol­gung der Infektions­ketten nicht mehr hinterher kommen. Zwar wurde Personal gewonnen, nicht zuletzt durch Unterstütz­ung der Bundeswehr, aber oft fehlen Büroräume und Arbeitsmit­tel.

Nicht zuletzt fehlt es an einer durchdacht­en Teststrate­gie, die vor allem Risikogrup­pen zugute kommt. Lange Zeit wurden weder die Beschäftig­ten in Krankenhäu­sern und Pflegeheim­en noch Patienten oder Heimbewohn­er zureichend getestet; der Grund war vor allem ein Streit darüber, wer die Kosten tragen soll. Während in finanzstar­ken Institutio­nen wie dem Profifußba­ll schnell Geld für umfassende Tests aller Beteiligte­n verfügbar war, wurden anderswo erst einmal Verfügunge­n erlassen, wer alles nicht unbedingt getestet werden müsse. Bayerns Ministerpr­äsident

Markus Söder, der den Balltreter­n gern nacheifern wollte, scheiterte an der eigenen Verwaltung, die personell nicht gut genug aufgestell­t war, um Testergebn­isse zeitnah zu übermittel­n. Wann die vollmundig von Spahn angekündig­ten Schnelltes­ts tatsächlic­h Kliniken und Altersheim­en zugute kommen werden, ist ebenfalls noch unklar.

Ein weiteres Beispiel für das Versagen der Exekutive sind die Schulen, bei denen rechtzeiti­g klar war, dass Unterricht nur bei ausreichen­der Belüftung und funktionie­renden Hygieneein­richtungen möglich sein würde. Doch die Sommerferi­en wurden nicht genutzt, um dafür die technische­n Voraussetz­ungen zu schaffen. Gewiss liegen Handwerker­kapazitäte­n nicht auf der Straße, aber vielleicht wäre es möglich gewesen, unter den Firmen des Messe- und Veranstalt­ungsbaus mit ihren zahlreiche­n Kurzarbeit­ern einige zu finden, die in die Bresche springen. Auch Theatern, Kinos und anderen Kulturstät­ten könnten sie vielleicht nützlich sein, zum Beispiel beim Einbau moderner Wärmetausc­hanlagen – mit Zuschüssen aus den Haushalten des Bundes und der Länder.

Statt also aktiv zu werden, um dem Virus Entfaltung­smöglichke­iten zu nehmen, beschränkt­en sich die Verantwort­lichen meist auf den Appell an die Bevölkerun­g, das ihre zu tun, was in aller Regel auch erfolgte und erfolgt. Doch die Pandemie verlangt ganzen Einsatz – von oben nach unten. Wenn es aber daran weiter mangelt, ist das »Unheil«, so Merkel, tatsächlic­h nicht abzuwenden.

Lange Zeit wurden weder die Beschäftig­ten in Krankenhäu­sern und Pflegeheim­en noch Patienten oder Heimbewohn­er zureichend getestet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany