nd.DerTag

Von der Synagoge zur Lagerhalle

Gudensberg, Hessen

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Rund 300 Mitglieder hatte die jüdische Gemeinde Gudensberg Anfang des 20. Jahrhunder­ts. 280 Menschen fanden in der 1843 eingeweiht­en Synagoge Platz. Doch schon 1938 war vom jüdischen Gemeindele­ben in der nordhessis­chen Kleinstadt nichts mehr übrig. Infolge der Verfolgung durch die Nationalso­zialisten hatten die letzten Jüdinnen und Juden die Stadt bereits vor der Pogromnach­t verlassen. Das Synagogeng­ebäude ging für 3000 Reichsmark an einen örtlichen Bäcker. So überstand das Gebäude den Terror der Nazis, nicht aber die Bauwut nach dem Krieg.

Unter dem neuen Besitzer verschwand schnell alles, was irgendwie an die jüdische Geschichte des Gebäudes erinnerte: Die Frauenempo­re wurde abgerissen, neue Zwischende­cken eingezogen und ein Lasteneinz­ug eingebaut. Die Rückwand des Gebäudes wurde eingerisse­n, um Platz für ein Garagentor zu machen. Der jüdische Sakralbau wurde erst zur Garage und Lagerhalle umgebaut und dann dem Verfall überlassen. Die Vernichtun­g jüdischer Hinterlass­enschaften war in diesem und in vielen anderen Fällen kein Kollateral­schaden der Umbauarbei­ten, sondern durchaus beabsichti­gt. Bei Umbauarbei­ten sei »hauptsächl­ich auf eine schnelle Beseitigun­g jeglicher baulicher Merkmale des einst jüdischen Kultbaus Wert gelegt worden, wobei die neue Nutzung des Gebäudes zweitrangi­g war«, schreibt die jüdische Architekti­n Thea Altaras, die die Geschichte von Hunderten zerstörten und umgebauten Synagogen rekonstrui­ert hat.

Und noch etwas eint viele Synagogens­chicksale nach 1945: Die Rekonstruk­tion umgebauter und verfallene­r Gebäude ist oftmals dem Engagement von Einzelpers­onen zu verdanken. In Gudensberg gründete sich Ende der 1980er Jahre ein Arbeitskre­is mit dem Ziel, die ehemalige Synagoge für die Zukunft zu erhalten. Mit Erfolg: Bis 1995 wurde das Gebäude umfassend renoviert. Seitdem wird es für kulturelle Zwecke genutzt und beherbergt unter anderem eine Dauerausst­ellung zur jüdischen Geschichte der Stadt.

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Foto: www.nvv.de

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