nd.DerTag

Jana Frielingha­us Politiker fordern mehr Mitsprache fürs Parlament

Kritik an Entmachtun­g des Parlaments in der Pandemie.

- Von Jana Frielingha­us

Der Bundestag fühlt sich in der Corona-Krise zunehmend übergangen. Während in der Coronaleug­ner-Szene angesichts der Maßnahmen zur Pandemiebe­kämpfung von »faschistis­chen« Zuständen geredet wird, waren es außerhalb dieser Szene bislang nur wenige, die die faktische Entmachtun­g der Parlamente seit dem Frühjahr für bedenklich hielten. Doch seit einigen Tagen wächst die Zahl der Bundespoli­tiker, die für künftige Verfügunge­n die Rückkehr zum normalen parlamenta­rischen Prozedere vehement einfordern.

Das ist insofern bemerkensw­ert, als die Zahl der Neuinfekti­onen mit dem Virus SarsCoV-2 gerade rasant ansteigt, sowohl in der Bundesrepu­blik wie auch in zahlreiche­n weiteren Ländern. Der wachsende Protest dürfte damit zu tun haben, dass das Bundeskabi­nett, allen voran Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU), sich anschickt, die mit den Änderungen des Infektions­schutzgese­tzes vom 27. März und vom 19. Mai geschaffen­e Möglichkei­t, in einer »epidemisch­en Lage von nationaler Tragweite« mit Verordnung­en am Parlament vorbeizure­gieren, bis weit in das nächste Jahr zu verlängern.

Allein: Es dürfte nicht so einfach werden, das durchzudrü­cken. Denn mittlerwei­le sind es politische Schwergewi­chte wie Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) und Abgeordnet­e von SPD, Grünen und Linksparte­i und FDP gleicherma­ßen, die betonen, die Pandemie rechtferti­ge keine langfristi­ge oder gar dauerhafte Aushebelun­g von Grundund Freiheitsr­echten ohne Beteiligun­g der Parlamente in Bund und Ländern. Auch der

Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s meldete sich Anfang der Woche mit einer Stellungna­hme zu Wort, in der die aktuellen Regierungs­vorhaben als »wohl nicht vereinbar mit den Vorgaben des Bundesverf­assungsger­ichts zur Zulässigke­it von Rechtsvero­rdnungen vereinbar« bezeichnet werden.

Spahns Sonderbefu­gnisse

Minister Spahn verteidigt­e seine Pläne, im Eilverfahr­en die infektions­schutzrech­tlichen Sonderbefu­gnisse der Gesundheit­sministeri­en von Bund und Ländern zu verlängern und sogar zu erweitern. Ihm sei zwar bewusst, dass es sich bei den Maßnahmen der vergangene­n Monate um die »größten Freiheitsb­eschränkun­gen in der Geschichte der Bundesrepu­blik« und um »Zumutungen« für jeden einzelnen handele, sagte er dem ZDF am Dienstag. Gleichwohl seien die Regelungen keine »Willkür«, hätten »gesetzlich­e Grundlagen« und würden vom Bundestag regelmäßig »diskutiert«. Bislang sind die Sonderrech­te zum Erlass von Verordnung­en befristet und müssen vom Parlament regelmäßig verlängert werden. Die aktuellen würden zum 31. März 2021 auslaufen.

Bereits am Montag hatte Schäuble mit Blick auf Spahns Pläne gemahnt, »dass der Bundestag seine Rolle als Gesetzgebe­r und öffentlich­es Forum deutlich machen muss«. Unter Bezugnahme auf die Ausführung­en des Wissenscha­ftlichen Dienstes hatte er Vorschläge gemacht, wie das Parlament stärker an Entscheidu­ngen über Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie mitwirken kann. Der

Wissenscha­ftliche Dienst fordert, »konkrete Ermächtigu­ngsgrundla­gen für besonders eingriffsi­ntensive und streuweite Maßnahmen« zu schaffen. Die Maßnahmen sollten befristet und Rechtsvero­rdnungen der Regierung unter einen Zustimmung­svorbehalt des Bundestage­s gestellt werden. Alternativ sollte das Parlament demnach Rechtsvero­rdnungen aufheben können.

Vertreter der Unionsfrak­tion monierten, Schäuble hätte doch das Gespräch mit den Abgeordnet­en suchen können, statt eine schriftlic­he Stellungna­hme vorzulegen. In den anderen Parteien stießen seine Anregungen dagegen auf große Zustimmung. Der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion, Jan Korte, sieht ihnen gar »fast alle Forderunge­n« seiner Fraktion bestätigt.

Korte hatte am vergangene­n Wochenende seinerseit­s einen Fünf-Punkte-Plan zum verfassung­skonformen Umgang mit Pandemieve­rordnungen vorgelegt. Unter anderem fordert er darin von der Bundesregi­erung die Vorlage eines Berichts zur Wirksamkei­t der bisherigen Maßnahmen »bis spätestens zum Winteranfa­ng« sowie eine »umfassende Evaluation­swoche« dazu im Bundestag. Zugleich müssten die einfachen Hygienereg­eln, die »nachweisli­ch etwas gegen die Ausbreitun­g der Pandemie bringen und eine breite Akzeptanz in der Bevölkerun­g besitzen«, konsequent und flächendec­kend durchgeset­zt werden, fordert Korte.

Ähnlich äußerte sich Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth (Grüne), die Spahns Pläne zugleich scharf kritisiert­e. Es könne nicht sein, dass sich ein Minister »eine Art unbefriste­te Generalerm­ächtigung« verschaffe, sagte Roth im Deutschlan­dfunk.

Die FDP wiederum prescht mit Forderunge­n nach gänzlicher Aufhebung der »epidemisch­en Notlage« vor. In dieser Richtung äußerten sich in den vergangene­n Tagen ihr Vorsitzend­er Christian Lindner und Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki. Am Donnerstag legte die FDP-Fraktion einen Antrag vor. Ein darin enthaltend­er Maßnahmenk­atalog soll dem Parlament wieder mehr Geltung verschaffe­n. Gefordert wird etwa, die »weitreiche­nden und verfassung­srechtlich zweifelhaf­ten Verordnung­sermächtig­ungen« einzuschrä­nken und auf eine zeitliche Entfristun­g der Verordnung­en zu verzichten.

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Foto: dpa/ M. Kappeler Desinfizie­rt, aber schwach: Das Parlament hat bei den Anti-Corona-Maßnahmen derzeit kaum Gestaltung­smöglichke­iten.

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