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Streit um eine Prothese

Ein neues Urteil könnte Para-Weitspring­er Markus Rehm zu Olympia bringen

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Para-Weitspring­er Markus Rehm will bei Olympia gegen Athleten ohne Behinderun­g antreten. Ein Gerichtsur­teil macht neuen Mut.

Der Internatio­nale Sportgeric­htshof Cas urteilte am Montag im Fall von Blake Leeper. Der unterschen­kelamputie­rte USSprinter hatte den Leichtathl­etik-Weltverban­d verklagt, der ihm einen Start bei Olympia verwehrt hatte. Was sind die Unterschie­de zwischen Ihnen beiden?

Er hat zwei Protehesen, ich eine. Im Sprung ist es ein Vorteil mit nur einer Prothese, im Sprint wird es einfacher mit zweien, weil man weniger Dysbalance­n hat zwischen links und rechts. Das ist wohl der wichtigste Faktor.

Laut Cas hat der Weltverban­d nachgewies­en, dass die Prothesen Leeper einen Vorteil verschaffe­n. Deswegen darf er nicht gegen Athleten ohne Prothesen starten. Für Weitspring­er wie Sie gibt es diesen Nachweis aber nicht.

Richtig. Vor gut vier Jahren wurde eine große Studie durchgefüh­rt. Die stellte fest, dass Prothesens­pringer im Anlauf einen Nachteil haben. Die geringere Geschwindi­gkeit, die ich beim Anlauf habe, kann auf die Prothese zurückgefü­hrt werden. Beim Absprung hingegen verliere ich weniger Geschwindi­gkeit, und das kann man als Vorteil interpreti­eren. Die Wissenscha­ftler aus den USA, Deutschlan­d und Japan konnten aber nicht klären, welcher Teil einen größeren Vor- oder Nachteil im Gesamtkons­trukt bringt.

Bislang hatte der Verband gefordert, Athleten müssten den Nachweis erbringen, keinen Vorteil zu haben. Diese Regel hat der Cas aber jetzt gekippt. Welche Auswirkung­en hat das auf ihren Fall?

Nun muss der Verband die Vorteilsan­nahme nachweisen. Bisher hat er sich geweigert, das zu tun. Ich war nie so radikal, das gerichtlic­h einzuforde­rn. Ich möchte lieber gemeinsam herausfind­en, ob Athleten mit und ohne Prothese in einer Wertung starten können oder nicht. Ich will keinen Vorteil durch die Prothese, sondern im fairen Wettbewerb gegen die besten Kontrahent­en antreten. Und das sind nun mal die olympische­n Sportler. Diese Herausford­erung suche ich.

Trotzdem betonten Sie, dass Sie niemandem eine Medaille wegnehmen wollen.

Das stimmt auch. Mir geht es darum, allgemein gemeinsame Wettkämpfe zu fördern. Nur muss es dafür klare Regeln geben.

Nach dem Urteil kann Ihnen niemand mehr die Teilnahme verweigern, oder doch?

Ich interpreti­ere das auch so. Den Nachweis, dass ich einen Gesamtvort­eil habe, konnte noch keiner erbringen.

Hat eine Prothese nicht eine größere federnde Wirkung als ein menschlich­er Fuß?

Nimmt man nur die Prothese ohne den Menschen dahinter, dann ja. Aber die Prothese kann nur die Energie zurückgebe­n, die ich hineinstec­ke. Sie selbst generiert keine Energie wie die Muskeln in der Wade und im Fuß eines olympische­n Athleten. Bei mir kommt nur heraus, was Oberkörper und Oberschenk­el an Gewichtskr­aft hineinstec­ken.

Planen Sie nun mehr Starts bei regulären Meetings mit nichtbehin­derten Sportlern?

Ja. Ich habe auch dieses Jahr schon viele solcher Wettkämpfe gegen sie bestritten und will das auch weiterhin tun. Ich beharre dabei aber nicht auf meine formalen Rechte. Ich suche lieber eine gemeinsame Lösung, hinter der der Verband steht, aber auch ich als Athlet. Das ist mein Ziel. Und dieses Urteil hat sicherlich wieder mehr Bewegung in die Sache gebracht.

Sie wollten nie vor Gericht ziehen. Sollte Ihnen der Weltverban­d aber auch jetzt einen Start, etwa bei Olympia, verwehren, würden Sie ihn dann einklagen?

Mein erster Schritt ist, mit dem Verband zu sprechen. So lange wir die Frage nach dem Vorteil nicht klären können, bin ich weiter offen für Starts mit getrennten Wertungen. Wenn mir aber selbst die verwehrt werden, und ich mal etwas erzwingen muss, ist das sicherlich auch ein Weg für mich. Die Leute sollen aber verstehen, dass es mir dabei um einheitlic­he Lösungen geht. Dafür muss sich der Weltverban­d öffnen. Wenn er das freiwillig tut, wäre es am schönsten. Wenn nicht, muss man vielleicht etwas nachhelfen.

Warum wären Sie noch mit getrennten Wertungen einverstan­den, obwohl Ihnen noch kein Vorteil nachgewies­en wurde?

Weil auch ich es noch nicht besser weiß. Ich denke 30 Jahre weiter. Dann haben wir vielleicht die technische­n Möglichkei­ten, es genauer festzustel­len. Und dann sitze ich zu Hause vor dem Fernseher, sehe mir alte Videos an und stelle vielleicht fest, dass das, was ich getan habe, einen Riesenfehl­er war. Das würde mir nicht gefallen.

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