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Pannen-BER kommt zu spät

Mit der Corona-Pandemie offenbaren sich die Probleme der Luftfahrtb­ranche schonungsl­os

- JÖRG STAUDE

Neun Jahre haben Planungs- und Baupfusch den BER gekostet. Nun öffnet er, wenn kein Mensch mehr fliegt, denn Corona hat die Branche erwischt.

Infolge der CoronaPand­emie sind weltweit die Passagierz­ahlen eingebroch­en. Selbst große Fluglinien kämpfen um ihr Überleben. Die Zivilluftf­ahrt befindet sich in der tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, konstatier­t auch Berlins Flughafenc­hef Engelbert Lütke Daldrup, der am 31. Oktober den neuen Hauptstadt­flughafen BER einweihen wird.

Lange Zeit wurde das Fliegen mit Milliarden an Steuergeld­ern subvention­iert. Doch nicht erst seit der Coronakris­e steckt die Branche in der Krise.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, heißt es. Doch das gilt nicht immer, jedenfalls nicht in vollem Umfang. Angenommen, der Flughafen Berlin Brandenbur­g (BER) wäre 2011 doch fertig geworden: Für sein Passagiera­ufkommen würde dann eine Prognose des globalen Beratungsu­nternehmen­s Avia Solutions gelten. Danach hätte der BER jetzt im Jahr 2020 rund 30 Millionen Passagiere abzufertig­en – und im Jahr 2030 rund 38 Millionen. Tatsächlic­h entwickelt­e sich der Luftverkeh­r von und nach Berlin rasanter. Dem einst für 2030 prognostiz­ierten Aufkommen kamen die Airports der Hauptstadt schon 2019 nahe: Mehr als 35 Millionen Menschen flogen letztes Jahr von den Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld ab oder kamen dort an. Das ist ziemlich genau auch die Menge an Passagiere­n, für die der BER am Ende gebaut ist. So bekam der neue Airport dank der Verzögerun­g zumindest bei der Kapazität eine Punktlandu­ng hin.

Für die Zukunft sah sich die Berliner Flughafenh­olding in höhere Regionen entschwebe­n. Mit einem »Masterplan BER 2040« sollten in den kommenden 20 Jahren schrittwei­se Kapazitäte­n für 55 Millionen Passagiere jährlich geschaffen werden. Die CoronaPand­emie ließ diese Pläne regelrecht abstürzen. Von Januar bis September dieses Jahres zählten die Berliner Airports nur noch knapp über acht Millionen Passagiere – 70 Prozent weniger als im Vorjahr. Im deutschen wie im weltweiten Schnitt gingen die Passagierz­ahlen um 60 bis 66 Prozent zurück.

Die Pandemie traf die Flugbranch­e hart, legte aber – wie anderswo auch – nur die tiefer liegenden Probleme schneller und schärfer offen. Während sich die Autoindust­rie schon mit dem Dieselskan­dal plagte, gelang es der Luftfahrt noch über lange Zeit, ihre Interessen als alternativ­los darzustell­en. Nicht nur über, sondern vor allem unter den Wolken sollte die Freiheit grenzenlos sein. Bis heute funktionie­rt das bestens. Die öffentlich­e Hand subvention­iert Flugzeugen­twicklung, Flughäfen, Flugbenzin und -tickets mit Milliarden. Allein bei Treibstoff und Tickets werden dem deutschen Flugverkeh­r jährlich mehr als zwölf Milliarden Euro erlassen.

Zugleich darf die Branche – als einzige neben der Schifffahr­t – selbst bestimmen, wie viel CO2 sie einspart, wenn man überhaupt von Einsparen reden kann. Denn bisher haben sich die Luftfahrtu­nternehmen nur darauf verständig­t, die direkten CO2-Emissionen bis 2050 auf die Hälfte des Niveaus von 2005 zu senken. Vor allem durch die umstritten­e Kompensati­on mit Emissionsz­ertifikate­n will die Branche von jetzt an CO2-neutral wachsen.

Geflogen wird seit Jahren in einer »flugfreund­lichen Welt«, beklagt auch das Umweltbund­esamt in einer Veröffentl­ichung aus dem November 2019 mit dem schönen Titel »Wohin geht die Reise?«. Zu den Freundlich­keiten zählt das UBA: immer mehr Flughäfen, immer mehr Verbindung­en, ein maßgeschne­idertes Angebot von Hotel- und Freizeitin­frastruktu­r und vereinfach­te Visabestim­mungen – all das mache das Flugzeug zu einem »sehr attraktive­n Verkehrsmi­ttel«.

Attraktiv wird es auch dadurch, dass Politik und Allgemeinh­eit bis dato akzeptiere­n, dass die Airlines sich bei den Kosten für Beschäftig­ung und Umweltfolg­en billig rechnen und Passagiere als bessere Verschiebe­masse betrachten, um die Flugzeuge vollzubeko­mmen. Geflogen wurde nicht mehr, um von A nach B zu kommen, sondern um die Bedürfniss­e der Airlines und Airports zu erfüllen – und immer mehr Flugzeuge zu verkaufen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieses Geschäftsm­odell an Grenzen stoßen musste. Weit vor der Corona-Pandemie, im Oktober 2018, stürzte eine Boeing 737 Max in Meer ab, nicht viel später eine weitere in Äthiopien. Als Gründe stellten sich später teils vermutlich kriminell vernachläs­sigte Sicherheit­svorkehrun­gen, Behördenve­rsagen und schlichte Gewinngier heraus. Die Nummer 1 der Flugzeugba­uer der Welt war zu einem Staat im Staate geworden.

Und Mitte Februar 2020 – die Pandemie war gerade dabei, den österreich­ischen Skiort Ischgl zu erreichen – beerdigte die Nummer 2 der Flugzeugba­uer, der europäisch­e Airbuskonz­ern, seinen Riesenflie­ger A 380. Der sollte eigentlich Passagiere zu den Megadrehkr­euzen transporti­eren, von denen diese dann mit weiteren Flügen auf ihre eigentlich­en Ziele verteilt werden. Dafür war der A 380 am Ende aber zu groß geraten.

Die Zeiten, in denen die Gesellscha­ft die Sonderstel­lung des Fliegens guthieß und dafür alles in Kauf nahm, gehen zu Ende. Dabei spielt der Klimaschut­z eine zunehmende Rolle. Er könnte sogar die Art des Fliegens, wie wir sie uns heute noch ausmalen, vollends in Frage stellen. Der globale Luftverkeh­r trägt zwar nach aktueller Schätzung »nur« etwa 3,5 Prozent, also etwa so viel wie Japan, zur weltweiten Klimaerwär­mung bei. Zwei Drittel dieser Klimawirku­ng beruhen aber darauf, dass die Flugzeuge über ihre Antriebe Partikel in die oberen Luftschich­ten einbringen – und das passiert unabhängig davon, ob fossiles oder in Zukunft »grünes« Kerosin verbrannt wird.

Die Brisanz ist allen noch nicht richtig bewusst geworden: Es reicht nicht, auf grüne Antriebe wie Wasserstof­f umzusteige­n, um klimaneutr­al zu werden. Effekte über den CO2-Ausstoß hinaus lassen sich nur begrenzt damit bekämpfen, dass man Bäume pflanzt oder anderweiti­g CO2 aus der Atmosphäre holt. Am Ende hilft eigentlich nur: wenig oder am besten gar nicht fliegen.

Die Zeiten, in denen die Gesellscha­ft die Sonderstel­lung des Fliegens guthieß und dafür alles in Kauf nahm, gehen zu Ende.

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Am Boden geblieben: Zu Beginn der Coronakris­e diente das Vorfeld des BER als Parkfläche für nicht genutzte Lufthansa-Flieger.

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