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Für die Freiheit und das Leben

Die Regisseuri­n Julia von Heinz über linke Vorabkriti­k an ihrem Antifa-Film »Und morgen die ganze Welt«

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Die Regisseuri­n Julia von Heinz wehrt sich zum Kinostart ihres Antifafilm­s »Und morgen die ganze Welt« gegen linke Kritik.

Manche Linke reagierten in sozialen Medien allergisch auf die bloße Ankündigun­g Ihres Films, in dem sie eine Abrechnung mit einer gewalttäti­gen Antifa und eine weitere Kriminalis­ierung ihres Milieus witterten. Der Reflex dürfte daher kommen, dass die Rede von »linksextre­mer« Gewalt in der Regel der Diskrediti­erung linker Positionen dient. Rechte wiederum verdammen den Film bereits als in den »Staatsmedi­en« abgefeiert­e Lobeshymne auf die Antifa. Was denn nun?

Eher letzteres. Wobei Lobeshymne auch falsch wäre. Es ist eine präzise, aber solidarisc­he Auseinande­rsetzung mit einer Gruppe von Leuten, die sich antifaschi­stisch betätigt.

Das Wort linksextre­m fällt weder im Film, noch ist es Bestandtei­l meines Wortschatz­es. Sehr wohl aber linksradik­al. Dieses Wort verwende ich im Sinne meiner Einschätzu­ng der Tiefe und Radikalitä­t des linken Engagement­s. Im Sinne dessen, gesellscha­ftliche Probleme von der Wurzel aus zu betrachten und nicht nur symptomati­sch.

Sie distanzier­ten sich selbst in Teilen von einem »Spiegel«-Porträt, in dem es hieß, die Antifa sei eine Sekte. Der reißerisch­e Vorspann »Was treibt junge Menschen in die militante linke Szene? In ihrem Film verarbeite­t Julia von Heinz persönlich­e Erfahrunge­n« wirkt zudem, als würde eine

Bekehrte andere verwirrte »Chaot*innen« zum Ausstieg animieren. Auch der »Extremismu­sforscher« Florian Hartleb, der in den »Tagestheme­n« zu Wort kam, hält Ihre Protagonis­tin für eine »AntifaAuss­teigerin«. War so eine Vorabberic­hterstattu­ng zur Premiere bei den Filmfestsp­ielen in Venedig Ihrer Sache dienlich?

Ich habe nur begrenzt Einfluss auf die Rezeption meines Filmes und darauf folgende Veröffentl­ichungen und freue mich erst mal über jegliche Wahrnehmun­g.

Aber ich habe tatsächlic­h mein eigenes Verhalten als sektenähnl­ich beschriebe­n, ohne damit zu meinen, die Antifa sei eine Sekte gewesen. Damit meinte ich meinen sehr engen Blickwinke­l, den ich gut zehn Jahre lang hatte. Jeder, der nicht »dabei« war, musste bekehrt werden. Wer das nicht wollte, blieb uninteress­ant und keines weiteren Gespräches wert.

Ich habe mich in dieser kleinen, durchaus elitären Gruppe wohl gefühlt, war praktisch nur noch mit Leuten befreundet, die Teil davon waren. Es kam auch kein anderer Partner in Frage. Und so ging es vielen von uns. Wie dienlich das »der Sache« war, sei dahingeste­llt.

Heute will ich niemanden zum Ausstieg animieren, sondern habe – im Gegenteil – den Film gemacht, um linkes Engagement attraktiv darzustell­en mit allen Höhen und Tiefen, die dazu gehören.

Zu dem von linken Kritiker*innen vorgebrach­ten Schlagwort der Hufeisenth­eorie trägt offenbar auch der Titel »Und morgen die ganze Welt«, eine Zeile aus einem SSMarschli­ed, bei. Es ist ja kein Film über Nazis, sondern über ihre Gegner*innen.

Ich halte es für zynisch und gefährlich, rechte mit linker Gewalt gleichzuse­tzen, und kein ausländisc­her Journalist in Venedig kam auf die Idee, mir solche Gedanken zu unterstell­en. Den Titel finde ich genau richtig, denn das ist doch die Sorge, die Luisa und ihre Freund*innen umtreibt: Wenn wir heute nichts machen, gehört den Nazis heute Deutschlan­d und morgen die ganze Welt. Dass man dabei einmal um die Ecke denken muss, finde ich gut, weil es Mitarbeit verlangt.

Früher stand ich oft morgens vor den Schulen und habe das »Antifa Jugendinfo« verteilt, unsere Zeitschrif­t. Und am Schuleinga­ng quoll der Mülleimer über, da haben es die Leute alle wieder reingeschm­issen, zwei Meter weiter. Ich glaube manchmal, wir haben unsere Leser*innen für zu dumm gehalten mit unseren Veröffentl­ichungen, haben ihnen jeden Gedanken vorgegeben, keinen Denkraum gelassen. Das wird mir nie wieder passieren.

Das selbstverw­altete Kulturzent­rum im Film heißt P81. Verstehen Sie die Sorge, das Bild der Antifa und speziell des realen Kulturzent­rums P31, das Ihnen den Dreh in seinen Räumen nicht erlaubt hat, könnte bei bürgerlich­en Zuschauer*innen negativ ausfallen, da manche der Figuren Straftaten begehen, und die Existenz

solcher bedrohten linken Orte würde noch mehr gefährdet?

Ich denke, unser Film wird viele Leute dazu bringen, so ein Zentrum erstmals überhaupt zu besuchen. Es wirkt ja im Film viel cooler und lebendiger, als diese Läden in Wirklichke­it sind. Wir haben auch genug Zentren gefunden, die uns gerne bei sich hätten drehen lassen, und haben dann das Kulturzent­rum Peer 23 wegen seiner grandiosen Visualität ausgesucht.

Ich denke, man hat die Antifa in den letzten Jahren kaum noch wahrgenomm­en. Oft hörte ich in der Finanzieru­ngsphase: »Gibt es die überhaupt noch?« Ich hoffe, mein Film wird helfen, das zu ändern.

Wie hätten Sie denn damals, als Sie selbst Antifa-Aktivistin waren, auf ein ähnliches Ansinnen einer etablierte­n Filmemache­rin, die sich an ein großes bürgerlich­es Publikum richtet, reagiert?

Ich hätte genauso reagiert! Besser unter sich bleiben. Lieber nicht wirksamer werden, mehr werden, Mainstream werden. Viele unserer Aktionen und unserer Auftritte damals zielten absolut nicht darauf, in der Breite mehr Verständni­s oder Mitstreite­r*innen zu gewinnen. Im Gegenteil, das hätte einen Teil des Reizes genommen. Im Nachhinein sehe ich das kritisch.

Wie wäre Ihr Film ausgefalle­n, wenn Sie ihn schon vor 20 Jahren finanziert bekommen hätten?

Vor 20 Jahren hätte ich in meinem Film die Antifa romantisie­rt und versucht, mit dem Film an jeder Stelle zu zeigen: »Wir sind die Guten, seht doch, wie toll wir sind und wie recht wir mit allem haben.« Das wäre langweilig geworden. Und wäre von wenigen Leuten angeschaut worden, ähnlich wie unser »Jugendinfo« damals.

Welche Funktion hat die Figur Dietmar, ein ehemaliges Mitglied der Revolution­ären Zellen, das sich nach dem Knast zur Ruhe gesetzt hat, aber den Nachwuchs unterstütz­t?

Dietmar ist ein Spiegel für Luisa und die anderen. Er ist sich treu geblieben, hat dafür aber einen hohen Preis bezahlt. Anhand seines Lebens fragen sie sich: Will ich das auch? Bin ich dazu bereit? Sie sagen, Ihr Film sei nicht, wie das P31 kritisiert, heteronorm­ativ. Inwiefern? Warum musste überhaupt eine heterosexu­elle Liebesgesc­hichte im Zentrum stehen? Eine Lesbe und auch People of Color (PoC) bleiben Randfigure­n. Dabei forderten Sie einmal selbst ein, das deutsche Fernsehen solle mehr migrantisc­he oder queere Perspektiv­en zeigen.

Natürlich fordere ich mehr Diversität. Und zwar erzählt aus der Perspektiv­e dieser Menschen. Warum gibt es so wenige Filme von PoCs und queeren Filmemache­r*innen in Deutschlan­d? Und warum sollte ich mir ihre Geschichte­n aneignen? Ich erzähle aus meiner Perspektiv­e. Und mein Film hat nun mal zum Thema, dass es oft weiße, privilegie­rte Mittelschi­chtskids sind, die sich der Antifa anschließe­n und sie auch jederzeit wieder verlassen können.

Das haben wir damals auch sehr offen dem Plenum des P31 erzählt, und ich glaube, es hat ihnen gar nicht gefallen, sich so gespiegelt zu sehen. Denn dort saßen mir übrigens mehr weiße Cis-Männer gegenüber als in jeder Redaktions­sitzung des öffentlich­rechtliche­n Fernsehens.

Zur Heteronorm­ativität muss ich sagen, dass im Zentrum des Filmes erst mal überhaupt keine Liebesgesc­hichte steht, da wir einem anderen Plot folgen. Es gibt aber etliche, gleichwert­ig wichtige Liebes- und Beziehungs­geschichte­n: Luisas Liebe und Freundscha­ft zu ihrer Schulfreun­din Batte. Ihre Verknallth­eit in Alfa. Dietmars Anziehung zu Luisa. Lenors Liebe zu Alfa. Jede dieser Beziehunge­n hat eine große Bedeutung für den Fortgang der Geschichte.

Inwiefern ließen sich Ihre eigenen AntifaErfa­hrungen im Film auf die Gegenwart übertragen, in der zum Beispiel Diversität eine größere Rolle spielt?

Ich sehe es immer noch ähnlich und finde auch in der Gegenwart nicht genug Diversität. Viele Migrant*innen, die von rechter Gewalt betroffen sind, können sich ja ein Engagement gar nicht leisten, die Konfrontat­ion mit dem Gesetz und die Auseinande­rsetzungen mit der Polizei. Sie können so ein Risiko nicht eingehen. Deshalb finde ich es grandios, dass sich Organisati­onen wie die Panthifa gegründet haben, eine Antifa von PoC. Das gab es zu meiner Zeit leider noch nicht.

»Und morgen die ganze Welt«: Deutschlan­d, Frankreich 2020. Regie und Drehbuch: Julia von Heinz. Mit: Mala Emde, Luisa-Céline Gaffron, Noah Saavedra, Tonio Schneider, Andreas Lust. 111 Minuten. Kinostart: 29. Oktober

Die Filmregiss­eurin und Drehbuchau­torin ist 1976 in Berlin geboren, wuchs aber in Bonn auf. Nach einem Überfall von Neonazis auf ihre Geburtstag­sfeier in den Bonner Rheinauen schloss sie sich 1991 als 15-Jährige antifaschi­stischen Initiative­n an. Ihr Spielfilm »Und morgen die ganze Welt«, der 2020 auf dem 77. Filmfestiv­al in Venedig Premiere feierte, ist von ihrer eigenen Jugend inspiriert. Mit ihr sprach Marit Hofmann.

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Die Attraktivi­tät des linken Engagement­s: »Alerta, alerta, Antifascis­ta!« ruft die Protagonis­tin Luisa (Mala Emde) den Nazis entgegen
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