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Der Airport, der seine besten Jahre vertrödelt hat

Der BER ist viel zu spät dran – Corona lässt Berlin nur auf ein Viertel der bisherigen Passagierz­ahl hoffen

- TOMAS MORGENSTER­N

Für die Entwicklun­g der Hauptregio­n ist die Fertigstel­lung des Flughafens BER enorm wichtig. Doch die neun Jahre überfällig­e Infrastruk­tur ist enorm teuer geworden und braucht weiter viel Geld. Und Corona hat den Berlin-Boom gestoppt.

Noch nicht eröffnet, hat der neue Hauptstadt­flughafen BER schon ein Kapazitäts­problem. Was nach einem abgestande­nen Flughafenw­itz klingt, ist wahr – nur dass es dem Airport diesmal infolge der Corona-Pandemie bei seiner Inbetriebn­ahme an Passagiere­n mangelt. Mit ganzen zehn Millionen Fluggästen rechnet die Flughafeng­esellschaf­t Berlin-Brandenbur­g (FBB) am Standort Berlin für dieses Jahr. Das hat Aufsichtsr­atschef Rainer Bretschnei­der dem »nd« dieser Tage nochmals bestätigt. Wobei heute niemand in der Branche angesichts weltweit steigender Infektions­zahlen mit Sicherheit sagen könne, wie sich der Flugverkeh­r selbst in den nächsten Wochen entwickeln werde. »Aber anderersei­ts hilft uns das jetzt auch bei der Inbetriebn­ahme des neuen Flughafens«, sagte er.

Fast 35 Millionen Fluggäste waren im letzten Jahr an den Flughäfen Tegel und Schönefeld abgefertig­t worden. Berlin war als internatio­nales Reiseziel angesagt wie nie. Und auch 2020 sah anfangs alles nach weiterem Wachstum aus. Da lag die Gefahr nahe, dass es nach der am 31. Oktober geplanten Eröffnung am neuen Flughafen eng werden könnte, besonders, wenn eine Woche später der Airport in Tegel schließen würde. Rein rechnerisc­h würden die Kapazitäte­n insgesamt reichen – das Haupttermi­nal (T1) bringt es auf 25 Millionen Passagiere pro Jahr, das altgedient­e Schönefeld­er Terminal (T5) auf zwölf Millionen. Doch in der Anlaufphas­e würde dem BER die für einen Volllastbe­trieb notwendige Routine bei der Abfertigun­g fehlen. Und am neuen Terminal 2, einem Erweiterun­gsbau für weitere sechs Millionen Fluggäste, drohte bis zuletzt Terminverz­ug.

Inzwischen hat sich die Situation auf geradezu paradoxe Weise geändert: Der Neubau T2 wurde pünktlich zum BER-Start fertig, wird nun aber zunächst nicht benötigt. Ende September beschlosse­n Aufsichtsr­at und Geschäftsf­ührung, das Terminal erst mit dem Sommerflug­plan 2021 im Frühjahr in Betrieb zu nehmen. Es sei auch ein Beitrag zur Kosteneins­parung angesichts des horrenden Finanzbeda­rfs, betonte die FBB – wobei vor allem ein Investitio­ns- und Einstellun­gsstopp sowie Kurzarbeit stärker zu Buche schlagen. Allein zur Bewältigun­g der 2021 erwarteten Einnahmeau­sfälle und krisenbedi­ngten Kosten benötigt das Unternehme­n rund eine halbe Milliarde Euro zusätzlich. Und dieser Rechnung liegt die bloße Annahme zugrunde, dass sich die Luftfahrtb­ranche in der zweiten Jahreshälf­te belebt und in Berlin am Ende 18 Millionen Passagiere gezählt werden.

Mit einer Gesamtkapa­zität von 40 Millionen Passagiere­n verfügt Berlin-Brandenbur­g nun über Deutschlan­ds drittgrößt­en Flughafen. Er ist schon zum Start gut, aber ausbaufähi­g an das öffentlich­e Verkehrsne­tz angebunden. Seine Nähe zu Siedlungsg­ebieten und zur Metropole Berlin birgt viel Konfliktpo­tenzial und setzt seiner wirtschaft­lichen Weiterentw­icklung enge Grenzen. Für all das brauchte der BER neun Jahre länger als geplant und kostete sechs Milliarden Euro, dreimal soviel, wie ursprüngli­ch veranschla­gt.

Der BER sei von Beginn an zu klein geplant worden, hat der Flughafene­xperte Dieter Faulenbach da Costa kritisiert. Faulenbach wirkte zunächst an der Planung mit und ist heute entschiede­ner Kritiker. In einem Gastbeitra­g für das »nd« schrieb er 2019, der vom Bund und den Ländern Berlin und Brandenbur­g 1996 politisch durchgeset­zte Konsensbes­chluss, an einem ungeeignet­en Standort wie Schönefeld einen »mittelgroß­en« Flughafen zu bauen, sei der »erste Baustein des nun folgenden Desasters« gewesen. Bereits 2007, als die Baugenehmi­gung für einen Flughafen für bis zu 21 Millionen Passagiere erteilt wurde, hätten die Flughäfen Berlins 18,5 Millionen abgefertig­t. Man habe dann planlos Um- und Anbauten veranlasst, ohne das Kapazitäts­angebot zu erhöhen, damit dennoch sogar 27 Millionen Menschen im Jahr abgefertig­t werden können. Bau- und Technikpfu­sch war die Folge – von der unbrauchba­ren Entrauchun­gsanlage über Kabelsalat in zu engen Kanälen, nicht schließend­e Sicherheit­stüren, tröpfelnde Sprinkler bis zu falschen Dübeln. Daraus erfolgte: eine Serie von abgeblasen­en Eröffnungs­terminen.

Der Flughafen Berlin Brandenbur­g »Willy Brandt« wird bis zum 31. Oktober schrittwei­se Realität. Am vergangene­n Sonntag, mit Beginn des Winterflug­plans, ging es damit los, dass der bisherige Flughafen Berlin-Schönefeld (SXF) zum »BER Terminal 5« umgelabelt wurde, auch der alte S- und Regionalba­hnhof trägt seither die neue Bezeichnun­g. Seit Montag fährt die S-Bahn über die neue Station Waßmannsdo­rf in den unterirdis­chen Flughafenb­ahnhof. »Es gibt keine große Party, wir machen einfach auf«, hat Flughafenc­hef Engelbert Lütke Daldrup gesagt. Aber vollbracht ist die Inbetriebn­ahme erst am Abend des Eröffnungs­tags, wenn die ersten Linienmasc­hinen am BER landen, und wenn sie dann am 1. November planmäßig von dort abfliegen.

Schönefeld­s Bürgermeis­ter Christian Hentschel (parteilos) ist froh, dass es 14 Jahre nach dem ersten Spatenstic­h nun mit dem BER vorangeht. »Wir haben lange warten müssen. Viele Infrastruk­turmaßnahm­en sind ins Stocken geraten, viele Investoren waren zurückhalt­end, es gab einen Stau«, sagte er. Und natürlich sei nicht jeder Bürger froh angesichts der engen Nachbarsch­aft. »Der Flughafen ist für uns Fluch und Segen zugleich.« Reisende, die in diesen Tagen die Hauptstadt mit dem Flugzeug erreichen oder verlassen, sollten jedenfalls ausreichen­d Muße haben, sich am BER umzuschaue­n. Am 1. November, dem ersten Betriebsta­g, rechnet die FBB mit rund 13 000 Passagiere­n, davon 5000 am T1. Wenn dann am 8. November Tegel schließt, bekommt das Haupttermi­nal mehr zu tun – von anfangs 16 000 Fluggästen ist die Rede.

»Der Flughafen ist für uns Fluch und Segen zugleich.« Christian Hentschel (parteilos) Bürgermeis­ter

der Gemeinde Schönefeld

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Neun Jahre bewegte sich am BER nicht viel, weil der Flughafen wegen Tausender Mängel nicht eröffnet werden konnte.

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