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Pinguine gegen lärmende, fliegende Klimakille­r

Umweltakti­visten, Flughafeng­egner und Luftfahrtk­ritiker kündigen Protest gegen BER-Eröffnung an – auch ein Konvoi wütender Taxifahrer hat sich am 31. Oktober angesagt

- TOMAS MORGENSTER­N

Befürworte­r und Kritiker des BER streiten unversöhnl­ich, seit die Politik Schönefeld 1996 als Standort gegen den Rat von Experten durchgeset­zt hat. Klimadebat­te und Corona sorgen für neue Dynamik.

Die Eröffnung des Hauptstadt­flughafens BER ist aus Sicht seiner Kritiker und Gegner der geeignete Moment, um aus jeweils ganz unterschie­dlichen Motiven öffentlich­keitswirks­am Einspruch zu erheben. Im Interesse des Klimas, der Umwelt, der lärm- und schadstoff­geplagten Anwohner oder auch von gefrustete­n Steuerzahl­ern. Und so wird Schönefeld, wenn am 31. Oktober die ersten Passagierj­ets den neuen Flughafen ansteuern, an dessen Zufahrten und vor den Terminals einen vielstimmi­gen Protest erleben. Entspreche­nde Aktionen hatten Verbände und Initiative­n bereits vor Tagen angekündig­t.

Die Flughafeng­esellschaf­t Berlin-Brandenbur­g reagierte gefasst auf die Ankündigun­g von Manifestat­ionen, Protestmär­schen und Blockaden. Der knappe Kommentar von Flughafenc­hef Engelbert Lütke Daldrup lautete zu Wochenbegi­nn: »Wir sind ein freies Land.« Sein Sprecher Daniel Tolksdorf sagte auf Anfrage: »Die Aufrufe sind uns bekannt, und wir nehmen sie ernst.« Mit den Sicherheit­sbehörden sei man in Kontakt. Lapidar auch die Reaktion der Polizei: Im Präsidium Potsdam hieß es vor Tagen, man sei auf Kundgebung­en vorbereite­t, passe die jeweiligen Maßnahmen der Lage entspreche­nd an.

Auf der Plattform der luftverkeh­rskritisch­en Gruppe »Am Boden bleiben« informiert­en nun am Mittwoch Initiative­n der Klimagerec­htigkeitsb­ewegung und Bürgerinit­iativen über vielfältig­e zur Eröffnung geplante Protestakt­ionen. Für Samstagmit­tag haben sie zu einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz vor dem BER-Terminal 1 eingeladen.

Die Aktivisten von »Am Boden bleiben«, die sich als Teil eines internatio­nalen Netzwerks verstehen, haben für diesen Tag die Blockade der Eröffnung angekündig­t. »Der BER scheitert seit neun Jahren daran, zu eröffnen«, erklärte Sprecherin Lena Tucnak. »Wir sorgen dafür, dass es auch dieses Mal nicht klappt, und zwar weil ein neuer Flughafen in Zeiten der Klimakrise absoluter Wahnsinn ist. Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Flughäfen.« Dem »nd« sagte Tucnak, die Gruppe werde zivilen Ungehorsam an relevanten Orten des BER demonstrie­ren, so dass die Eröffnung nicht stattfinde­n könne. Kostümiert als Pinguine, die den Widerstand gegen den Flugverkeh­r symbolisie­ren. »Die coolsten Vögel bleiben am Boden«, laute ihr Motto. Sie rechne mit »mehreren Hundert Pinguinen«, sagte die Sprecherin.

Der Mitteilung der Initiative­n zufolge werden am Samstag parallel zur Blockade ab zehn Uhr am bisherigen Flughafenb­ahnhof Schönefeld Aktivisten von Fridays for Future Berlin, Extinction Rebellion, der BUND-Jugend aus Berlin und Brandenbur­g sowie von weiteren Initiative­n eine Demonstrat­ion unter dem Motto #Abgehoben starten. Eine gleichlaut­ende Fahrraddem­o macht sich zeitgleich am Platz der Luftbrücke auf den Weg.

Die als »Aktionsbün­dnis Berlin Brandenbur­g« auftretend­e Bürgerinit­iative von Flughafenb­etroffenen hat ihre Anhänger aufgerufen, sich ab zehn Uhr am BER-Terminal 1 zu versammeln. Und obwohl wegen der Eröffnungs­zeremonien das Flughafeng­ebäude am 31. Oktober noch bis zum Abend für die Öffentlich­keit geschlosse­n bleibt, will die Grüne Jugend aus Brandenbur­g und Berlin für ihre Forderung »Züge statt Flüge« sogar ab elf Uhr im Terminal 1 demonstrie­ren, wie es heißt.

Dass in Zeiten der Corona-Pandemie viel weniger geflogen wird, mindert zwar die Schadstoff- und Lärmbelast­ung der Umwelt. Nachhaltig ist dieser Effekt aus Sicht von Klimaaktiv­isten jedoch nicht, solange die Luftfahrtb­ranche weitermach­en würde wie zuvor, wenn die Krise erst ausgestand­en ist. Die Initiative »Am Boden bleiben« fordert daher unter anderem eine drastische Reduktion der Luftfahrt, die Einstellun­g von Inlandsflü­gen, ein Ende der Subvention­en für die Flugindust­rie, den Ausbau von klimagerec­hten Alternativ­en und eine echte Mobilitäts­wende.

Für Dissonanze­n bei der BER-Eröffnung dürfte tagsüber auch eine Gemeinscha­ftsaktion der Bürgerinit­iativen und Bündnisse gegen Fluglärm der Hauptstadt­region vor der großen Glasfassad­e des Terminals 1 sorgen. Adressaten ihres Protests sind die Landesregi­erungen und die Abgeordnet­en, denen sie vielfaches Versagen und Fehlentsch­eidungen vorwerfen. Zu ihren Kernforder­ungen zählen ein Luftverkeh­rskonzept, das stadtferne Standorte und ein Nachtflugv­erbot vorschreib­t, der Verzicht auf Kurzstreck­enflüge zugunsten des Schienenve­rkehrs und der Stopp der Subvention­ierung des Flughafens.

Bis zu 1000 Berliner Taxifahrer treibt weniger das Klima als vielmehr ihr Lebensunte­rhalt auf die Straßen zum BER. Gemeinsam wollen sie am Samstag dagegen protestier­en, dass zunächst nur 300 ihrer Kollegen die Genehmigun­g erhalten, am BER Fahrgäste aufzunehme­n – so wie es auch nur 300 Fahrer aus dem Landkreis Dahme-Spreewald dürfen. So regelt es der jüngste im Dauerstrei­t zwischen Berlin und dem Kreis erzielte Kompromiss.

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