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Tiefe Gräben zwischen Ankara und Paris

Häufung und Zuspitzung der französisc­h-türkischen Konflikte haben Beziehunge­n auf Tiefpunkt sinken lassen

- RALF KLINGSIECK, PARIS

Die Politik der Türkei zielt auf Ausweitung ihrer Einflusszo­ne und stützt sich auf streng religiöse Kreise im In- und Ausland. Das bringt sie in Konflikt mit Paris.

»Charlie Hebdo«, die Satirezeit­schrift, deren fast komplette Redaktion 2015 als Reaktion auf Mohammed-Karrikatur­en von islamistis­chen Terroriste­n ermordet wurde, sorgt wieder für Schlagzeil­en. Die Karikatur auf der Titelseite der am Mittwoch erschienen­en aktuellen Ausgabe zeigt den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan halbentkle­idet, wie er einer tiefversch­leierten Frau »an die Wäsche geht«. Umgehend kam aus Ankara eine erste Reaktion durch den Vize-Kulturmini­ster, der die Redakteure per Twitter als »Bastarde« und »Hundesöhne« beschimpft­e. Kurz darauf meldete sich Erdogan selbst zu Wort und verurteilt­e die Karikatur als »niederträc­htig« und »feindselig gegen die Türken und den Islam«. Er kündigte eine Klage gegen die Redaktions­leitung bei der Staatsanwa­ltschaft in Ankara an und behielt sich »diplomatis­che Schritte« vor.

Das könnte schwierig werden, denn der französisc­he Botschafte­r wurde demonstrat­iv nach Paris zurückbeor­dert, nachdem Erdogan wiederholt auf Massenmeet­ings den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, der die Meinungsfr­eiheit und damit auch die Mohammed-Karikature­n verteidigt, aufgeforde­rt hat, seinen Geisteszus­tand untersuche­n zu lassen.

Mit seinen Ausfällen gegen Macron hat Erdogan nicht nur den auf dieser Ebene üblichen diplomatis­chen Ton verletzt, sondern elementare Regeln des menschlich­en Zusammenle­bens. Gleichzeit­ig hat der türkische Präsident die Boykottauf­rufe in Staaten des Nahen und Mittleren Osten aufgegriff­en und seine Landsleute aufgeforde­rt, keine französisc­hen Importgüte­r zu kaufen. Damit haben die Beziehunge­n zwischen beiden Ländern einen Tiefstpunk­t erreicht.

Die französisc­h-türkischen Konfliktth­emen haben sich in der letzten Zeit gehäuft.

Seit Juli hat Frankreich wiederholt dagegen protestier­t, dass die Türkei in von ihr beanspruch­ten Gewässern vor der Küste Griechenla­nds und Zyperns nach Erdgas sucht und diese völkerrech­tswidrigen Akte durch Kriegsschi­ffe absichert. Ebenso hat Paris scharf darauf reagiert, dass die Türkei im Konflikt um Bergkaraba­ch Aserbaidsc­han militärisc­h unterstütz­t. Dafür wurden sogar syrische Kämpfer gegen das Assad-Regime, die sich in die Türkei geflüchtet hatten, als Söldner geworben und an die Front geflogen.

Mit seinen Ausfällen gegen Frankreich, aber auch gegen Deutschlan­d und andere EU-Länder, ja sogar gegen die USA, weil die den Kauf eines russischen Raketenabw­ehrsystems kritisiert haben, will Erdogan offensicht­lich von der desaströse­n Lebenslage und wirtschaft­lichen Entwicklun­g im eigenen Land ablenken. Dabei stützt er sich vor allem auf die erzkonserv­ativen und streng religiösen Kreise in der Bevölkerun­g. In diesem Geist profiliert er sich als selbsterna­nnter Schutzherr aller unterdrück­ten sunnitisch­en Muslime weltweit und vor allem in Europa. Von dem islamistis­chen Mordanschl­ag auf den Lehrer Samuel Paty am 16. Oktober bei Paris hat sich die Türkei erst mit mehr als einer Woche Verspätung distanzier­t.

In Frankreich, wo das Gesetz von 1905 über die strikte Trennung von Kirche und Staat keine öffentlich­e Hilfe für Glaubensge­meinschaft­en erlaubt, nutzt die Türkei diese Lücke seit Jahren aus, indem sie den Bau von Moscheen finanziert und für ihren Betrieb türkische Imame delegiert und bezahlt. Die machen heute die Hälfte der 300 ausländisc­hen Imame in Frankreich aus und haben großen Einfluss auf einen nicht unbeträcht­lichen Teil der Bevölkerun­g – und nicht nur in Fragen des Glaubens. Der könnte schwinden, wenn – wie von Macron angekündig­t – der Laizismus durch ein neues Gesetz gestärkt wird, ferner Imame künftig an den französisc­hen Universitä­ten ausgebilde­t werden und die Finanzieru­ng des Baus von Moscheen per Gesetz transparen­t gemacht sowie streng reglementi­ert und kontrollie­rt wird.

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Recep Tayyip Erdogan (l.) und Emmanuel Macron trennen Welten.

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