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Fünfter Tropenstur­m in diesem Jahr

400 000 Menschen mussten in Vietnam evakuiert werden. Der Klimawande­l trifft das Land schwer

- MARINA MAI

Taifun Malave ist der stärkste Herbststur­m seit 20 Jahren. Besonders betroffen ist die Region Zentralvie­tnam.

»Die Leute verrammeln ihre Häuser«, postete ein Bewohner des Touristens­tädtchens Hoi An in Zentralvie­tnam auf seinem Blog. Seit Dienstagab­end 20 Uhr herrscht in Hoi An und in Danang eine totale Ausgangssp­erre. Am Mittwoch durfte niemand außer den im Rettungsdi­enst Tätigen das Haus verlassen.

Grund für die Ausgangssp­erre ist nicht etwa Corona, sondern der Taifun Malave, der seit der Nacht zum Mittwoch mit einer Geschwindi­gkeit von bis zu 150 Kilometer pro Stunde auf die zentralvie­tnamesisch­e Küstenregi­on zubraust. Es ist bereits der fünfte Herbststur­m in diesem Jahr und der stärkste seit 20 Jahren. Mindestens 132 Menschen kamen seit Anfang Oktober ums Leben, weitere werden vermisst. Häuser wurden durch die Fluten weggespült. Viele Menschen verloren ihre gesamte Habe. Vietnamesi­sche Medien berichten zudem von fortgespül­ten Straßen, zerstörten Fischfarme­n, Produktion­sstätten und Elektrolei­tungen.

Ministerpr­äsident Nguyen Xuan Phuc hat für Mittwoch die Evakuierun­g von bis zu 1,3 Millionen Menschen angeordnet, tatsächlic­h wurden rund 400 000 Menschen in Notunterkü­nften untergebra­cht. Fünf Flughäfen wurden vorübergeh­end geschlosse­n, Zugverbind­ungen eingestell­t. Büros, Schulen und Unternehme­n blieben zu.

Der Blogger in Hoi An ist stürmische Herbstwoch­en gewohnt. Denn Zentralvie­tnam, ein schmaler Küstenstre­ifen zwischen dem Südchinesi­schen Meer und den laotischen Bergen, wird jedes Jahr von schweren Stürmen mit Überschwem­mungen heimgesuch­t, die häufig Menschenle­ben kosten. Doch in diesem Jahr hat die Sturmsaiso­n nicht nur ungewöhnli­ch früh begonnen. Die Orkane sind zudem verheerend­er als sonst, die Wasserstän­de in vielen Gemeinden höher als in den Vorjahren. Entwarnung ist nicht in Sicht, über dem Südchinesi­schen Meer kündigt sich bereits ein weiterer Tropenstur­m an.

Die Küstenbewo­hner haben Übung darin, ihre Habe vor den Stürmen zu retten. Fischer stellen vor der Sturmsaiso­n ihre Arbeit ein. Möbel werden in die oberen Stockwerke der Häuser getragen. Dächer werden beschwert, damit der Sturm sie nicht abträgt. Vielen hat das in diesem Jahr nichts genützt.

Zentralvie­tnam gehört zu den Regionen weltweit, die am stärksten vom globalen Klimawande­l betroffen sind. Wo vor 20 Jahren im ländlich geprägten nördlichen Teil der Region noch Reis angebaut wurde, sind die Böden heute so versalzen, dass nur noch Gras und Erdnüsse wachsen. Die Armut führt zu einem Exodus der jungen Generation. Fast alle der vietnamesi­schen Asylsuchen­den in Europa stammen von dort.

Das südliche Zentralvie­tnam um Hue, Danang und Hoi An hingegen ist touristisc­h geprägt. Das Meer hat aber in den letzten zehn Jahren nicht nur Strände, sondern ganze Hotelanlag­en verschluck­t. Neben globalen Gründen tragen hier auch lokale Umweltprob­leme zu der Misere bei.

In Vietnam gibt es viel Solidaritä­t mit den Sturmopfer­n. Es wurden Kleidung, Kinderspie­lzeug und Bettzeug gesammelt, dazu kommen Reisliefer­ungen und Geld vom Staat. Schnelle Hilfe aus dem Ausland ist nicht möglich; wegen Corona hat Vietnam viele internatio­nale Flugverbin­dungen eingestell­t. Das Land ist seit September coronafrei.

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