nd.DerTag

Wer sich hängen lässt, fühlt sich mies

Eine Überblicks­studie zeigt: Körperhalt­ung und Bewegung beeinfluss­en die Psyche

-

Wir alle wissen: Wer traurig ist, lässt den Kopf hängen. Sie haben herausgefu­nden, dass es auch anders herum funktionie­rt: Die Körperhalt­ung beeinfluss­t die Psyche. Wie kann man sich das erklären?

Zwischen motorische­n und emotionale­n Prozessen existieren höchstwahr­scheinlich enge Wechselwir­kungen. Es gibt in der Psychologi­e Modelle, die besagen, dass Emotionen in Netzwerken organisier­t sind. Darin sind verbale Informatio­nen, die mit einer fröhlichen oder traurigen Stimmung assoziiert sind, abgespeich­ert, aber auch bestimmte Bilder und motorische Prozesse. Wenn man einen Knoten in diesem Netzwerk aktiviert, also einen Knoten, der körperlich­e Aspekte repräsenti­ert, etwa durch eine bestimmte Sitzhaltun­g, dann breitet sich die Aktivierun­g im gesamten Netzwerk aus.

Man könnte also auch mit einem positiv besetzten Bild arbeiten?

Genau, die Aktivierun­g würde sich dann ebenfalls im gesamten Netzwerk ausbreiten und hätte vielleicht Auswirkung­en auf die Körperhalt­ung. Man kann auf unterschie­dlichen Wegen Zugang zu diesem EmotionsNe­tzwerk bekommen. Die einzelnen Elemente innerhalb des Netzwerkes beeinfluss­en sich gegenseiti­g. Das kennen Sie vielleicht selber: Wenn Sie traurig sind, dann schießen Ihnen bestimmte Gedanken durch den Kopf. Und Sie bewegen sich auch in einer bestimmten Art und Weise, weil die einzelnen Prozesse miteinande­r verknüpft sind.

Lassen sich Veränderun­gen an den Hormonen oder den Gehirnströ­men messen, wenn man eine bestimmte Körperhalt­ung einnimmt?

Die Gehirnströ­me wurden bislang noch nicht untersucht. Auf hormonelle­r Ebene haben wir in unserer Metaanalys­e zum Thema erst mal keine Effekte feststelle­n können. Aber die Anzahl der Studien, die Hormone untersucht hat, war auch klein. Was wir gefunden haben, waren Effekte beispielsw­eise auf die Stimmung und auf das Verhalten.

Wie ist man bei den Studien vorgegange­n?

Es gab bei den über 70 Studien, die wir einbezogen haben, viele unterschie­dliche Methoden. Das waren nicht nur Fragebögen, sondern auch zum Beispiel Spielsitua­tionen, die meist am Computer simuliert werden. Dabei kann man zum Beispiel messen, wie risikoreic­h sich Menschen entscheide­n.

Verhalte ich mich risikoreic­her, wenn ich eine besonders aufrechte Körperhalt­ung einnehme und die Brust rausstreck­e?

Das hat sich nicht gezeigt. Man hat die Testperson­en in den Experiment­en einer aufrechten, zusammenge­sunkenen oder neutralen Bedingung zugeordnet und sich die Effekte angeschaut. Wir haben festgestel­lt, dass sich vor allem eine zusammenge­sunkene Körperhalt­ung auswirkt. Beim Vergleich einer besonders aufrechten, Raum greifenden gegenüber einer normalen Haltung haben wir keine starken Effekte gesehen. Es scheint also wichtiger zu sein, nicht zusammenge­sunken dazusitzen, als eine besonders expansive Haltung einzunehme­n.

Können Sie sich vorstellen, dass darauf aufbauend ein Bewegungsp­rogramm für depressive Menschen entstehen könnte?

Ja, das könnte gerade für Leute etwas sein, die schon einiges erfolglos ausprobier­t haben. Oder man könnte im Rahmen komplexere­r Behandlung­sprogramme daran ansetzen, indem man sagt: Achtet auch auf euren Körper und schaut, ob ihr gewohnheit­smäßig eine gewisse Körperhalt­ung einnehmt. Wir sind gerade dabei, solche Behandlung­en zu entwickeln. Man muss allerdings betonen, dass die Körperhalt­ung oder Bewegung nicht »die« Lösung des Depression­sproblems ist. Wie es jemandem geht, wird von vielen verschiede­nen Faktoren beeinfluss­t – einer davon ist Haltung und Bewegung.

Man spricht gern allgemein von »schlechter Haltung«. Was wirkt denn besonders negativ auf die Psyche? Der hängende Kopf? Der schlurfend­e Gang?

In unserer Studie hat sich das alles weitgehend vergleichb­ar ausgewirkt.

Kinder müssen in der Schule lange sitzen, oft in einer schlechten Haltung. Wirkt sich das auch psychisch aus?

Das könnte durchaus sein. Man könnte versuchen, Kinder im Rahmen einer ganzheitli­chen Schulung darin zu unterstütz­en, auch auf ihre Haltung zu achten. Das ist ja auch für den Rücken nicht unerheblic­h.

Könnte es auch auf die Stimmung drücken, wenn man den Kopf oft in Richtung Handy senkt?

Bislang gibt es dazu keine Untersuchu­ngen. Bei den Studien, die wir ausgewerte­t haben, handelt es sich um relativ kurze Experiment­e. Es war wichtig zu zeigen: So etwas hat überhaupt Effekte. Was bisher noch nicht nachgewies­en ist: Wie sieht das eigentlich im Alltag aus, wenn Leute gewohnheit­smäßig bestimmte Körperhalt­ungen einnehmen? Solche längerfris­tigen Dinge zu erforschen, ist sicherlich sinnvoll.

Es gibt auch die Empfehlung, sich im Spiegel anzulächel­n, um die Stimmung zu heben. Kann das funktionie­ren?

Es ist umstritten, ob da wirklich etwas dran ist. Ich denke, das hängt auch immer von der Haltung ab, die man einnimmt. Mir täten depressive Menschen leid, die sich morgens vor dem Spiegel anlächeln und denken: Das ist die Lösung meines Depression­sproblems! Da ist die Gefahr, dass die Botschafte­n zu einfach werden.

Sie haben sich stark mit Gangbilder­n beschäftig­t. Was kann man daraus ablesen?

Wir haben vor über zehn Jahren eine Studie veröffentl­icht, wo wir uns die Gangmuster depressive­r Patienten angeschaut haben. Ihr Gangmuster war unter anderem durch eine langsamere Gehgeschwi­ndigkeit und durch weniger starke Auf- und Abbewegung­en des Oberkörper­s gekennzeic­hnet. Diese Patienten neigen auch zum Schlurfen, während sich gesunde Menschen beim Gehen eher abstoßen. Außerdem haben wir bei depressive­n Testperson­en eine zusammenge­sunkene Körperhalt­ung, weniger Armschwing­ungen, dafür aber stärkere seitliche Schwankung­en festgestel­lt. Sie laufen also weniger zentriert, sondern schwanken eher nach rechts und links. Wir haben auch untersucht, wie sich Gangbilder auf das Gedächtnis auswirken. Depressive neigen nämlich dazu, sich negative Informatio­nen zu merken, nichtdepre­ssive dagegen positive Informatio­nen. Bei einer Studie mit psychisch gesunden Menschen haben wir gefunden: Leute, die sozusagen depressiv gehen, behalten eher negative Informatio­nen als Leute, die sich fröhlicher bewegen.

Nutzen Sie Ihre Erkenntnis­se auch persönlich? Etwa, indem Sie einen flotten Spaziergan­g machen, wenn Sie schlecht gelaunt sind?

Ich mache schon lange Qigong. Da fand ich es immer erstaunlic­h, wie sich bestimmte Bewegungen oder Körperhalt­ungen auswirken können. Das war für mich die eigentlich­e Inspiratio­nsquelle für meine Forschung.

Johannes Michalak ist Professor für Klinische Psychologi­e und Psychother­apie an der Universitä­t Witten/Herdecke. Er ist Mitautor einer Metastudie, in der bisherige Ergebnisse zur wechselsei­tigen Beeinfluss­ung von Körperhalt­ung einerseits, Stimmung und Verhalten anderersei­ts zusammenge­fasst wurden. Angela

Stoll sprach mit dem Wissenscha­ftler, der zusammen mit Kollegen aus Dänemark, den USA und Deutschlan­d mehr als 70 Studien untersucht­e.

 ??  ??
 ??  ?? Johannes Michalak
Johannes Michalak

Newspapers in German

Newspapers from Germany